REGION
Prof. Dr. Repp klärt auf: Soll ich mein Kind impfen lassen?
Archivfoto: O|N
Donnerstag, 16.12.2021
Auch in unserer Region laufen jetzt die Corona-Impfungen für Kinder zwischen fünf und elf Jahren an. KINZIG.NEWS hat mit Professor Dr. Reinald Repp, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Fulda, über das Thema Kinderimpfung gesprochen.
Prof. Dr. Repp, im vergangenen Jahr wurde verkündet, dass es Forscherinnen um den Mainzer Wissenschaftler Prof. Sahin der Firma Biontech in Rekordzeit gelungen ist, einen Impfstoff gegen das Coronavirus auf der Basis der mRNA-Technologie herzustellen. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie davon erfahren haben?
"Ich halte diese Entwicklung für eine geniale Leistung der Mainzer Wissenschaftler. Man konnte hier live eine Großtat der Medizin mitverfolgen. Dass aufgrund des Ausmaßes der Covid-19 Pandemie weltweit viele Ansätze für einen möglichen Impfstoff verfolgt werden, war zu erwarten. Umso mehr ist es ein großes Glück, dass es in der unmittelbaren Nachbarschaft unserer Region geklappt hat, einen Impfstoff zu entwickeln, auf den die Welt dringlich gewartet hat. Mit dem Vakzin konnte man weltweit bereits Millionen Menschenleben retten. Natürlich kann ich aufgrund der Geschwindigkeit der Impfstoffentwicklung auch die Sorgen einiger Menschen nachvollziehen. Doch es brauchte eine zügige Lösung. Mittlerweile wurden weltweit über 8 ½ Milliarden Imfpdosen gegen COVID-19 verabreicht, am häufigsten der Impfstoff von Biontech – und dies gibt natürlich eine enorme Erfahrung und Sicherheit.
Was ist Ihre Botschaft an die Bürger, die das Corona-Virus lieber noch einige Monate aussitzen wollen?
"Das Coronavirus wird noch eine lange Zeit bleiben, soviel steht fest. Durch die Impfung wird das Risiko für schwere Verläufe jedoch drastisch reduziert und die Chance besteht, dass wir hoffentlich bald wieder normal leben können. Je mehr Menschen sich jetzt impfen lassen, umso schneller können wir diese Normalität wieder erreichen."
Wie wird die Impfung von Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren angenommen?
"In Deutschland sind aktuell 48 Prozent dieser Jugendlichen gegen das Coronavirus geimpft. Das spiegelt auch die Lage meiner niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen wider. Wenn man bedenkt, dass die Stiko die Impfung für diese Altersgruppe erst vor vier Monaten allgemein empfohlen hat, ist dies keine schlechte Quote."
Was sind die größten Ängste unentschlossener Eltern?
"Große Ängste sind gar nicht so häufig, wie gelegentlich berichtet wird. Besonders Eltern chronisch kranker Kinder wollen, dass ihre Kinder geimpft werden, weil die Risikoabwägung für die Impfung absolut positiv ausfällt. Mögliche Langzeitfolgen der Impfung beschäftigen die Eltern natürlich auch. Bei Erwachsenen kann man sagen, dass die Wahrscheinlichkeit für bisher unerkannte Spätfolgen extrem gering ist, weil mittlerweile alleine von dem Biontech-Impfstoff in der EU und den USA zusammen über 800 Millionen Dosen verabreicht wurden und Nebenwirkungen bei Impfungen generell nur ganz selten später als 6 Wochen danach auftreten. Aber in der Medizin gilt auch, dass Kinder nicht einfach nur "kleine Erwachsene" sind und für die Altersgruppe der 6 – 11-Jährigen sind die Erfahrungen noch begrenzt. Dass die Covid-Infektion selbst Langzeitfolgen haben kann, ist mittlerweile gut bekannt und dies muss man auch im Auge haben.
Die allgemeinen Impfreaktionen sind mild und verschwinden nach einigen Tagen, Komplikationen durch die Impfung sind sehr unwahrscheinlich, wenn auch nicht ganz ausgeschlossen. Am Beispiel der angepassten Impfempfehlung für Moderna kann man erkennen, dass die Pharmakovigilanz, also die kontinuierliche und systematische Überwachung aller Geimpften, funktioniert. Bei der Herzmuskelentzündung konnte man bei den mRNA Impfstoffen 1,3 Fälle pro 100.000 Zweit-Impfungen feststellen, vergleichsweise häufig aber bei jungen Männern zwischen 16 und 19 Jahren mit 13,7 Fälle pro 100.000 Zweit-Impfungen. Dennoch überwiegt der Nutzen durch die Impfung ganz eindeutig, da wir bei jungen Männern - und auch bei anderen Covid-19-Patienten - deutlich mehr Fälle von Herzmuskelentzündungen beobachten als bei den Geimpften."
Vor Kurzem kam der Biontech-Impfstoff für Kinder ab 5 Jahren in Deutschland an. Dieser Schritt stößt auch bei Kinderärzten und deren Verbänden nicht uneingeschränkt auf Zustimmung.
"Eine Nutzen-Risikoanalyse sollte für Kinder immer sehr streng erfolgen. Man sollte die Impfung jedoch unbedingt ermöglichen. Denn leider gibt es auch eine relevante Anzahl an Kindern, die wegen Covid in die Klinik kommen. Glücklicherweise ist die Sterblichkeit sehr gering. Die Gefahr durch die Impfung ist wahrscheinlich wesentlich geringer als durch die Krankheit - aber einige Daten fehlen hier noch. Es scheint mir im Moment immer noch eine eher emotionale Debatte zu sein. Bei Covid-19 sehen wir derzeit ein Risiko von 1:100 für die stationäre Aufnahme von Kindern. Nach den Daten des Robert-Koch-Instituts waren in Deutschland bis Ende Oktober 29 Kinder im Zusammenhang mit Covid gestorben, davon 19 mit Vorerkrankungen. Daher sollte man aus heutiger Sicht vorerkrankte Kinder definitiv impfen. Bei gesunden Kindern kann die Entscheidung zurzeit eher individuell erfolgen."
Aktuell hat die STIKO eine klare Empfehlung ausgesprochen. An die sollten wir uns halten: In Abwägung aller bisher vorhandenen Daten empfiehlt die STIKO die COVID-19-Impfung für Kinder im Alter von 5-11 Jahren mit verschiedenen Vorerkrankungen. Zusätzlich wird die Impfung Kindern empfohlen, in deren Umfeld es Kontaktpersonen mit hohem Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf gibt, die selbst nicht oder nur unzureichend durch eine Impfung geschützt werden können (z. B. Hochbetagte sowie Immunsupprimierte). Darüber hinaus können auch 5- bis 11-jährige Kinder ohne Vorerkrankungen gegen COVID-19 nach entsprechender ärztlicher Aufklärung geimpft werden, sofern ein individueller Wunsch der Kinder und Eltern bzw. Sorgeberechtigten besteht.
Was raten Sie impfwilligen Jugendlichen, deren Eltern skeptisch gegenüber einer Corona-Impfung sind?
"Eltern sollten Kinder in jedem Alter ernst nehmen. Das ist ein Grundprinzip der Pädiatrie: Kinder sind entscheidungsfähig. Rechtlich müssen die Eltern natürlich ihre Zustimmung erteilen. Dennoch sind auch Jugendliche mündig und verdienen Eigenverantwortung, nicht nur bei der Impfung gegen das Coronavirus. Aktuell gibt es aus meiner Sicht keinen Grund von der Impfung abzuraten."
Was haben Ihrer Meinung nach Impfungen Kindern generell gebracht? Kann sich die Corona-Impfung da einreihen?
"Die Kindersterblichkeit ist in den letzten 150 Jahren drastisch zurückgegangen. Noch 1870 ist in Deutschland jedes 4. Kind im 1. Lebensjahr gestorben. Entscheidende Faktoren für die geringere Kindersterblichkeit sind sauberes Wasser, eine bessere Ernährung und natürlich Impfungen. Impfungen sind noch immer die effizienteste Art des Ressourcennutzens in der Medizin. Kinderheilkunde ist Prävention und die beste Prävention ist die Impfung – daher ist sie eine geniale Maßnahme. Um noch mehr von dem Nutzen einer Impfung zu überzeugen, müssen die Menschen jedoch bei bestehenden Ängsten abgeholt werden."
Sind Kinder bisher die größten Pandemie-Verlierer gewesen?
"Bildung ist unendlich wichtig. Leider mussten Kinder gerade zu Beginn der Pandemie deutlich zurückstecken. Den Begriff 'Verlierer' finde ich dennoch schwierig. Das individuelle Risiko für schweren Verlauf von Kindern ist gering. Die Maßnahmen waren daher eher für Ältere notwendig, um die Pandemie einzudämmen. Kinder wurden natürlich durch den Lockdown voll getroffen und hatten kaum individuellen Zusatznutzen. Im Verhältnis haben sie daher schon eine hohe Bürde getragen."
Was sollen noch zweifelnde Eltern Ihrer Meinung nach tun?
"Der Wille des Kindes sollte im Zentrum des elterlichen Handelns stehen und respektiert werden. Man sollte die Kinder nicht bevormunden. Der individuelle Nutzen der Impfung überwiegt auch bei Kindern. Dies stützen auch die pädiatrischen Fachgesellschaften für Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren. Bei den kleineren Kindern fehlen aktuell noch Daten - aber der Trend geht in eine ähnliche Richtung. Unangebracht ist jedoch, Kinder und Jugendliche, die sich aktuell noch nicht impfen lassen möchten, zu stigmatisieren."
Wie schaut aus Ihrer Sicht die Corona-Zukunft aus?
"Irgendwann wird jede und jeder mit dem Virus in Kontakt kommen. Die Impfung schützt vor schwerer Erkrankung, dem Tod und auch vor milden Verläufen und vor der Weitergabe, wenn auch in geringerem Maße. Genesene haben auch einen sehr guten Schutz vor den bisher bekannten Varianten des Virus. Natürliche Immunität wird in der Zukunft in der breiten Bevölkerung ankommen. Die Hoffnung ist, dass dies unter dem Schutz der Impfung ablaufen wird und damit möglichst wenige schwer erkranken oder gar dabei sterben werden und in Zukunft die Durchseuchung so hoch ist, dass SARS-CoV2 zum banalen Atemwegsinfekt wird, ohne dass wir jedes Jahr impfen und vor jedem Winter Angst haben müssen". (Adrian Böhm)