MAIN-KINZIG-KREIS
Stille Nacht - eine etwas andere Weihnachtsgeschichte
Symbolbild: Pixabay
Samstag, 25.12.2021
Eine Geschichte aus dem Buch "Weihnachten fällt wohl ins Wasser" von Kurt F. Svatek. Zur Verfügung gestellt vom TRIGA Verlag in Gelnhausen. Viel Spaß beim Lesen!
Ob die Nacht des 24. Dezember 1818 wirklich heiliger war als ähnliche Nächte in unseren Zeiten, sei dahingestellt. Stiller war sie sicher. Gab es doch weder Radio noch Fernsehen, Autos, Eisenbahnen oder Flugzeuge. Auch kein Telefongeklingel und kein Blick nach der neuesten SMS-Nachricht störten die Mette in der St. Nikolaus Kirche der Salzburger Ortschaft Oberndorf, als das berühmteste Weihnachtslied der Welt erstmals erklang.
Aber der Text bezog sich ja auch gar nicht auf Oberndorf und auch nicht auf Mariapfarr im Lungau, wo er zwei Jahre zuvor schon von Joseph Mohr, einem Priester, geschrieben worden war. Am 24. Dezember 1918 kam jedoch die Musik hinzu, komponiert vom Arnsdorfer Lehrer und Organisten Franz Xaver Gruber. Das sind die Fakten. All die romantischen Geschichten, die sich um die Entstehung des Liedes ranken, sind Vermutungen und Legenden, also eigentlich keiner näheren Betrachtung wert.
Der Text bezog sich aber schon damals nicht nur auf das Weihnachtsgeschehen selbst. Nur, ob es im Jahre 7 oder 4 vor unserer Zeit, oder wann immer die Geburt zu datieren ist, ruhiger war, kann auch ohne Weiteres hinterfragt werden. Denn auch in späteren Zeiten war es in der Welt zu Weihnachten nicht unbedingt friedsam. Und damit sind nicht die Hektik der Hausfrau in der Küche und die Quengeleien der aufgeregten Kinder gemeint.
Die Entstehung des Liedes fiel in die Zeit nach den Napoleonischen Kriegen. So drückt der Text der vierten Strophe große Friedenssehnsucht aus. Doch wirklich friedlich ging es zur stillsten Zeit des Jahres trotzdem nie zu. Natürlich fällt jedem gleich das schlimme Erdbeben in Südostasien des Jahrs 2004 mit den anschließenden beiden großen Flutwellen ein. Die Tsunami-Katastrophe forderte damals über 230.000 Todesopfer. Nur zwei Jahre später spülten starke Regenfälle auf Sumatra wiederum ganze Dörfer davon. 2003 zerstörte ebenfalls am 26. Dezember ein Erdbeben die iranische Stadt Bam. Dabei kamen gut 45.000 Menschen zu Tode.
Doch auch in so manchem anderen Jahr gab es zu Weihnachten Unglücksfälle und Schrecknisse wie zu gewöhnlichen Tagen: Am Heiligen Abend 1912 kamen bei der Explosion in einer Zeche auf der japanischen Insel Hokaido 245 Bergleute ums Leben, ein Eisenbahnunglück in Frankreich forderte 1933 mehr als 200 Todesopfer, Attentate algerischer Extremisten töteten 1961 44 Menschen, 70 kamen im selben Jahr durch die Entgleisung eines Zuges in Süditalien ums Leben. In England war es so kalt, dass allein durch Unfälle auf den vereisten Straßen 100 Menschen starben. Am 25. Dezember 1964 forderte ein Wirbelsturm auf Sri Lanka über 4000 Menschenleben. Am Christtag des Jahres 1705 wurden 1031 Bauern aus Sendling bei München ermordet, die sich gegen die österreichische Besatzung Bayerns erhoben hatten. Vom Unheil, das von den Weltkriegen ausging, gar nicht zu reden.
Und doch gab es auch einmal einen Waffenstillstand, und zwar am 25. Dezember 1800 in Steyr zwischen Österreich und Frankreich im Rahmen der Napoleonischen Kriege. Ein Weihnachtswunder anderer Art ereignete sich am 24. Dezember 1958, als eine »Super Constellation« der AUA kurz vor der geplanten Landung am Flughafen Schwechat abstürzte. Alle Passagiere überlebten das Unglück. Auch das politische Leben ging zu den Feiertagen oftmals seinen gewohnten Gang. Da traten Minister zurück, etwa – was für ein Geschenk – am 26. Dezember 1851 der österreichische Finanzminister, andere wurden angelobt; am Heiligen Abend des Jahres 1867 sogar die gesamte österreichisch-ungarische Regierung.
Die Geheimpolizei machte am 24. Dezember 1814 den ersten Christbaum in Wien aus, und zwar bei der Bankiersfamilie Arnstein in der Bräunerstraße 9. Der erste allgemeine Gewerkschaftskongress wurde in Wien 1893 vom 24. bis 26. Dezember abgehalten, und 1947 beendeten die Weihnachtsfeiertage die Währungsreform in Österreich, durch die alle Geldbeträge über 150 Schilling zu zwei Drittel abgewertet wurden.
Auch die Kunst sorgte für Aufsehen: Am Heiligen Abend des Jahres 1871 wurde Verdis Oper »Aida« in Kairo uraufgeführt und am 25. Dezember 1900 erschien in der Weihnachtsbeilage der Wiener »Neuen freien Presse« auf den Seiten 34 bis 41 erstmals die Erzählung »Lieutnant Gustl« von Arthur Schnitzler. Inhalt und Präsentation der Erzählung führten beim Wiener Adel, Bürgertum und den Militärs zu einem Skandal.
Aber es gab auch echte »Christkinder«: 1834 etwa kam auf Schloss Possenhofen die spätere Kaiserin von Österreich, Elisabeth zur Welt, 1874 Rosa Albach-Retty, 1879 der nachmalige Flugpionier Igo Etrich, 1899 Humphrey Bogart oder am 24. Dezember 1922 Ava Gardner. Geboren wurden darüber hinaus die Politiker Mao Tse-tung (1893), Anwar as Sadat (1918) und der spätere Kardinal von Wien Theodor Innitzer (1875).
Zu den Weihnachtsfeiertagen verließen aber auch berühmte Persönlichkeiten diese Welt, wie 1935 der Komponist Alban Berg, 1957 Kammerschauspielerin Käthe Dorsch, 1961 der Pharmakologe und Nobelpreisträger Otto Loewi und 1977 Charlie Chaplin. Die Geschichte hält also an den Tagen zwischen dem 24. und 26. Dezember ihren Atem nicht an. Irgendwie sind diese Tage auch wie alle anderen im Jahr.