SINNTAL
Neujahrsesel-Tradition wird in Sinntal gepflegt
Fotos: Walter Dörr
Montag, 02.01.2023
Am Silvestertag waren sie wieder in Breunings unterwegs und besuchten auch die umliegenden Höfe. Die Tradition des „Neujahresels” gibt es schon seit vielen Jahrzehnten. Diesmal zogen neun Jugendliche mit gespenstisch geschwärzten Gesichtern von Haus zu Haus. Und wenn sie an den Türen klingelten, stießen sie - mit viel Phantasie mit dem ursprünglichen Esel-Iaa-Iaa vergleichbar - immer wieder urige Laute aus.
Für die ausgesprochenen guten Wünsche für das neue Jahr 2023 schenkten die Bürger der Truppe gerne einen wärmenden Schnaps ein (obwohl das angesichts der fast spätsommerlichen Temperaturen nicht nötig war) und belohnten die Aktion mit Naturalien (Wurst, Brot), die in einer handgeflochtenen Weidenkötze gesammelt wurden, oder Geld. Im vergangenen Jahr spendete man den eingenommenen Betrag für die Opfer der Überflutung im Ahrtal.
Viele Jahrzehnte besteht schon der Silvesterbrauch in Breunings und wird alljährlich von Jugendlichen – überwiegend aus der Bloogesellschaft - weiter gepflegt. Der Neujahrsesel ist ein mit verschiedenen Fellen gestaltet Etwas „zwischen Teddybär und Motorradsitz”. Er hat über 30 Jahre auf seinem Buckel - wenn er denn einen hätte. Wie die Jugendlichen wissen, stammt sein mit besticktem Tuch verkleidetes Eisengestell von einem Renault R 4 Automobil. Mit blinkenden gelben Augen ist „das Tier“ fast verkehrssicher. Das Jahr über fristet der Neujahresel ein trauriges Dasein, denn er wird nicht artgerecht in der hintersten Ecke des Feuerwehrgerätehauses gehalten. Bis kurz vor Silvester. Dann wird er lebendig – auch nach altersbedingt nötig gewordenen Renovierungen.
Der Neujahresel: störrisch, angriffslustig und knuddelig lieb
Der
Neujahresel (in anderen Gegenden gibt es Neujoarsgäulje, Veitsgäulje
oder Feizjesgäulje) kann ganz knuddelig lieb, aber auch störrisch und
angriffslustig sein. Der, dem „das Gerät“ umgeschnallt wird, bestimmt
sein Wesen. Auf dem Esel, kann auch geritten werden. Der Breuningser
Neujahrsbrauch ist etwas Besonderes, sodass auch zweimal der Hessische
Rundfunk in dem kleinsten Sinntaler Ortsteil (nur rund 280 Einwohner)
filmte. Wieviel Generationen schon an Silvester durch das Dorf gezogen
sind, ist den jungen Leuten nicht bekannt. Um 1900 schätzt man – das
älteste erhaltene Foto stammt von 1927.
Warum „unter all dene
Käuz“ auch immer jemand „als e Fraache“ (Blondine mit Luftballonbrüsten
in einer Kittelschürze) sein muss, weiß man nicht. Bei ihrem Rundgang
passierte in den zurückliegenden Jahren das eine oder andere
Missgeschick, wie der Verlust von Zähnen nach einem Sturz. Ob da
unbedingt der Alkohol Auslöser war, soll mit Rücksicht auf eventuell von
der Krankenkasse zu stellende Regressansprüche nicht näher erläutert
werden. Schnapszählerstatistiken belegen aber, dass es schon mal 30
Kurze pro Person waren, die vernichtet wurden. Und es wird kein Fusel
ausgeschenkt, sondern guter Hausbrand mit entsprechenden Prozenten, wird
betont. Ebenfalls bekannt sind Adressen, bei denen immer besondere
Cocktails gemixt werden. Und dem Mix an Getränken muss man standhalten.
Do you know what a Esel is?
Zur
Ruhe kommt die Truppe in der Zeit, während in der Friedenskirche der
Silvestergottesdienst gefeiert wird. Über 25 Jahre beherbergte da Inge
Rother die Jugendlichen und reichte „Eselsfutter“. Zum 10. Mal war in
2022 Sophie Löffert nun schon „Eselsmutter“ und päppelte ihr Lieben mit
Hackfleisch-Pizza auf. Die Esel-Gesellschaft, in der Integration
großgeschrieben wird (angesichts freundschaftlicher Bande zu ihm oder
ihr von außerhalb), freut sich übrigens, dass der Brauch des
Neujahresels bei den Neubürgern gerne angenommen wird.
„Perfekt ausländisch“ erklärte man einem Engländer mit der Frage „Do you know what a Esel is?“, was da in Breunings abgeht. Dass laut Überlieferungen auch die bösen Geister vertrieben werden sollen, das wollen „die Esel“ nicht und scherzen, dass es dann noch weniger Einwohner in Breunings geben werde. Jochen Löffert kutschierte die diesjährige Neujahresel-Gruppe mit seinem alten Lanz-Bulldog zu den abseits gelegenen Höfen.