FULDA/MKK

Impuls von Stefan Buß: Die Frau am Jakobsbrunnen

Stadtpfarrer aus Fulda - Stefan Buß
Archivbild KN
von STEFAN BUß


Samstag, 11.03.2023

Wer kennt es nicht, das herrliche Gefühl des ersten Schlucks kühlen Brunnenwassers nach einer langen Wanderung an einem heißen Sommertag? Es erfrischt nicht nur die ausgetrocknete Kehle, sondern verändert das Lebensgefühl und mobilisiert Energie. Mindestens für den Moment spürt man nicht mal mehr die Blasen an den Füßen. 

Das habe ich auf so mancher Wander- oder Pilgertour selber schon so erfahren. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen scheint das Versprechen Jesu, das er der Frau am Brunnen macht, gar nicht so attraktiv zu sein: «Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben.» Möchten wir das überhaupt: ein Leben ohne Durst? Gehört der Durst nicht ebenso zu einem glücklichen Leben wie der erfrischende Schluck Wasser? Der Lebenszusammenhang der Erzählung von der Begegnung Jesu mit der Frau am Brunnen (Jo. 4) ist mit dem unseren nicht vergleichbar: In kargen, heißen und trockenen Landstrichen rund ums Mittelmeer ist Wasser Mangelware. Die Frau muss es aus einem tiefen Brunnen schöpfen und den schweren Krug zurück ins Dorf tragen, und das erst noch zur Mittagszeit. 

Vor diesem Hintergrund bekommt die Verheißung von Wasser, das in jenem, der es empfängt, «zur sprudelnden Quelle wird, deren Wasser ewiges Leben schenkt» (Jo. 4,14b), einen anderen Klang. Kein Wasser mehr schleppen, nicht mehr abhängig sein von manchmal fast ausgetrockneten Brunnen und Rinnsalen, den Durst mit frischem, lebendigen und nicht mit abgestandenem Wasser löschen. Wer möchte das nicht? Die ersten Christinnen und Christen haben die Erfahrung gemacht, dass die Begegnung mit Jesus genau dies bewirkt. In diesen Begegnungen bekam der Schrei des 63. Psalms eine Antwort: «Gott, du mein Gott, dich suche ich – meine Seele dürstet nach dir, wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser». Sie erfuhren Jesus und seine Art, auf die Menschen zuzugehen und ihnen Gottes Güte erfahrbar zu machen, als «Quelle lebendigen Wassers». 

Diese Quelle befreite sie von der ängstlichen Sorge, verdursten zu müssen, die Menschen von all dem abhängig macht, was verspricht, den Durst zu löschen: Besitz, gutes Essen und Trinken, materielle Sicherheit, traditionelle Religiosität. Anknüpfend an unsere Erfahrungen beim Wandern könnte man sagen: Die Begegnung mit Jesus war für die ersten christlichen Gemeinden wie der erste Schluck kühlenden Brunnenwassers auf der anstrengenden Wanderung, der das Gefühl verleiht, alle Müdigkeit und Anstrengung sei wie weggeblasen. Die Evangelien sind voll von solchen Geschichten: Angefangen von der Frau am Jakobsbrunnen, die ihren Krug stehen lässt und ihre Erfahrung so begeistert mit anderen teilt (Jo. 4,28), dass sie andere anstecken kann mit ihrem Glauben, über die Kranken, die Heilung erfahren, bis zu den Ausgegrenzten, die wieder Gemeinschaft erleben und den Verfeindeten, denen Versöhnung gelingt. 

Dort, wo es gelingt, diese Erinnerungen an Jesus und seine Begegnungen wach und lebendig zu halten, und dafür zu sorgen, dass das Wasser nicht abgestanden schmeckt, sondern weiterhin sprudelt, können Menschen bis heute diese Erfahrung machen: Dass sie keine Angst mehr zu haben brauchen vor dem Verdursten. Allerdings wird diese Erfahrung nur jenen zuteil, die ihren Durst zulassen und bereit sind, auch Durststrecken in Kauf zu nehmen.