SCHLÜCHTERN

Knatterndes Weitzelfest in Schlüchtern

Knatterndes Weitzelfest in Schlüchtern
Fotos: Walter Dörr
von WALTER DÖRR


Dienstag, 06.08.2024

Das Weitzelfest in Schlüchtern, das, weil es immer am ersten Wochenende im August veranstaltet wird, auch „Augustfest“ bezeichnet wird, hat eine lange Tradition. Aber es gibt öfters etwas Neues. So fand es nicht mehr wie ursprünglich immer „Auf der Platte“, einer Wiese nahe der Acis-Quelle, statt und auch nicht am Untertor oder auf der Mauerwiese neben dem ehemaligen Kloster.

 In diesem Jahr wurde im neu gestalteten Schlösschen-Garten sowie vor und in der Stadthalle gefeiert. Neu war 2024 auch, dass es nur an einem Tag war - und erstmals keine Brezel-Wettspiele ausgetragen wurden. Dennoch feierten zahlreiche Bürger. Los ging es mit dem alljährlichen Seniorennachmittag in der Stadthalle.

Stadträtin Luise Meister
Stadtverordnetenvorsteher Joachim Truss
Kalle-Moats-Präsident Rene Leipold

Zuerst einen Seniorennachmittag in der Stadthalle

Mit rund 200 älteren Bürgern – darunter auch Stadträtin Luise Meister - war den Saal gefüllt, als der Seniorenbeauftragte der Stadt, Peter Triebensky, die gesellige Zusammenkunft eröffnete. Triebensky moderierte und trat zudem als Sänger auf – zusammen mit Martin Schäfer. In einem Grußwort freute sich Stadträtin Meister über den zahlreichen Besuch und wünschte einen schönen Nachmittag. Ein Dank galt den vielen Helferinnen und Helfern der Aktionsgemeinschaft Schlüchterner Vereine, ohne die die Veranstaltung nicht möglich sei. Unter den Besuchern sah sie den Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung Joachim Truss, den amtierenden Kalle-Moats-Präsidenten Rene Leipold und seine designierte Nachfolgerin Judith Schäfer, die als Bedienung fungierte. Stadtverordnetenvorsteher Joachim Truss verwies in seinem Grußwort darauf, dass Schlüchtern eine kinderfreundliche Stadt sei und seine Seniorenarbeit von anderen Kommunen beneidet werde. Die erfolgreiche Seniorenarbeit sei auch ein Verdienst von Peter Triebensky.

 Truss warb zur Mitarbeit, da Seniorenarbeit sehr wichtig sei, dass es Glaube, Liebe und Hoffnung weiter gibt. Kalte-Markt-Präsident Rene Leipold grüßte im Namen der örtlichen Vereine und dankte der Stadt für die Unterstützung bei der Ausrichtung des Weitzelfestes, dessen Tradition weiter aufrecht erhalten bleiben sollte. Das bunte Programm für die Senioren mit Gesang, Musik und Tanz gestalteten Peter Triebensky, Martin Schäfer, die kunterbunte Kindervilla, Christiane Künkel, Gerlinde Lamm, Stadtarchivar Bernd Ullrich (Darstellung des Lebens von Johann Joachim Weitzel), eine thailändische Tänzerin, der Gesangverein „Eintracht“ Schlüchtern unter Leitung von Romuald Ryborz, Ava Nickels (7-jähriges Orgel- und Gesangstalent aus Birstein, das mit „Clown“ Martin Schäfer „Was ist Leben?“ intonierte), Horst Bohlen und Gerlinde Beck.

Anstelle der Brezel-Wettkämpfe eine Mofa-Ausfahrt

Anstelle der Brezel-Wettkämpfe boten anschließend die Oldtimer-Fahrzeug-Freunde im Bergwinkel e.V. ein besonderes Event: das erste Volks-Mofa-Fahren vom und bis zum Stadthallen-Vorplatz. Rund 20 Kilometer lang war die ausgeschilderte Strecke, auf die die Zweirad-Fans im Minutentakt nach der Maschinen-Abnahme losgeschickt wurden. Von Schlüchtern ging es nach Herolz, den Gerlingsberg hoch Richtung Gundhelm, über Hinkelhof zum Schloss Ramholz und über Vollmerz und Herolz wieder zurück. Mofas, Mopeds, Mokicks und Kleinkrafträder bis 50 ccm und bis Baujahr 1999 waren zugelassen. Nostalgie pur schon bei der Präsentation am Stadthallenplatz.

 Bei der Siegerehrung wurden Pokalen und in der Mannschaftswertung je eine goldene, silberne und bronzenen Brezel überreicht. Insgesamt 35 Teilnehmer – darunter fünf Damen – und vier Mannschaften mit drei bis sechs Mitgliedern überstanden mit ihren „Motor-Fahrrädern“ die Tortur. Die Mannschaft „Ost-West“ errang vor den „Speckhäls-Salmünster, Mopedfreunden Main-Kinzig-Kreis und dem Team Kreidler die goldene Brezel. Der beste Einzelteilnehmer war mit 143 Punkten Christoph Heil, Sinntal und die beste Teilnehmerin Karin Merx, Schlüchtern mit 131 Punkten. Übrigens: das älteste Gefährt war eine Simson KR 50 und stammte aus dem Jahr 1963, das jüngste Zweirad war eine Hercules Optima 50 mit dem Baujahr 1994.

Widerspenstiges Bierfass

Bei der offiziellen August-Fest-Feiereröffnung an frühen Abend schwang nicht Bürgermeister Matthias Möller den hölzernen Schlegel, um das erste Bierfass anzustechen. Er war mit seinem Vize auf Dienstreise und delegierte die Tätigkeit an Stadträtin Luise Meister. Und siehe da: nach sprühenden Gestensaft-Verlusten bei Versuchen des Bürgermeisters bei anderen Schlüchterner Volksfesten traf es diesmal die Stadträtin noch schlimmer. Obwohl durchtrainiert waren ihre zarten Händchen doch zu schwach, die Bierfass-Öffnung einzuschlagen. Das gelang auch nicht mithilfe des Kalle-Moat-Präsidenten Rene Leipold. Spötter schlugen deshalb spontan einen Oktoberfest-Workshop in München vor. Umrahmt wurde die Zeremonie musikalisch durch die „Dixie-Oldies“ und optisch durch die Historische Bürgergarde der Stadt Schlüchtern und der Biedermeier-Gruppe. Abends unterhielt die Schlüchterner Kult-Band „Echo Four“.

Ehrung erfolgreicher Züchter und Kleingärtner

Einer liebgewordenen Tradition folgend zeichnete die Stadt Schlüchtern im Vorfeld des Augustfestes wieder erfolgreiche Züchter und Kleingärtner aus. Der Brauch geht auf den großen Sohn der Bergwinkelstadt Johann Joachim Weitzel (1761-1840) zurück, der seine Heimatstadt – obwohl er nicht einmal zwanzig Jahre hier gelebt hat (61 Jahre aber in Amsterdam) – per Testament begünstigt hat. In einem „Reglement“ setzte er aus seinem Nachlass Prämien für „Vieh und Feldfrucht“ fest. Auch wenn das Stiftungsvermögen des Wohltäters– daher der Name Weitzel-Fest - seit einigen Jahren aufgebraucht ist, hält die Stadt an den Ehrungen fest und bezahlt die Geldgeschenke aus der Stadtkasse.

Über Johann Joachim Weitzel schreibt die Stadt Schlüchtern im Internet:

Johann Joachim Weitzel kam am 18. April 1761 als Bäckerssohn in Schlüchtern zur Welt. Sein Vater baute auf dem Schießplatz ein Haus und Johann Joachim verlebte dort seine Kindheit. Die Armut seiner kleinstädtischen Umwelt prägte sich ihm tief ein. 1779, zwei Tage nach seiner Gesellenprüfung, bei der ihm die Zunftmeister das Zeugnis: "Treu, fleißig, stillfriedsam und ehrlich" ausstellten, begab er sich auf die Wanderschaft nach Holland. Er wurde sesshaft in Amsterdam, heiratete Maria de Vries und schaffte sich mit Fleiß und Umsicht empor zum wohlhabenden Mann. 

61 Jahre seines Lebens hatte er in der Fremde verbracht, sein Heimatstädtchen aber nie wiedergesehen, und doch war dessen Wohl das Ziel seines Sinnens und Trachtens geblieben, wie aus seinem Testament hervorging. Weitzel starb am 21. März 1840 und wurde in der Westernkerk in Amsterdam begraben. Seine Frau folgte ihm 1847. Nach ihrem Tode überreichten die holländischen Testamentsvollstrecker dem Klosterrentmeister in Wertpapieren den Vermögensteil, den Weitzel in einem 1831 aufgestellten "Reglement", seiner Vaterstadt zugedacht hatte. In dem Vorbericht zu demselben heißt es: "Dieweil es der Vorsehung Gottes wohlgefällig gewesen ist, mir keine Leibeserben zu geben, aber dessen ungeachtet von Herzen wünsche und begehre, dass diese mir unbekannten (Bürger Schlüchtern) von dem Teil der mir von Gott geschenkten Nachlassenschaft auch ihren Nutzen haben… so hat mir zur Erreichung dieses Zweckes der allwissende und gute Gott ins Herz gegeben und ich beschlossen, den Teil meiner Nachlassenschaft, welcher in Niederländischen Obligationen bestehet, von einer Gesellschaft von fünf dazu geschickten, ehrbaren Männern in Schlüchtern verwalten zu lassen. Ich bin versichert, dass diese braven Männer allen Fleiß und alle Sorgfalt anwenden werden, dass dadurch der Name Gottes verherrlicht und das Wohl unserer Nächsten befördert werde. Ich bitte Gott, den Vater unseres Herrn Jesu Christi, dass er diese meine Unternehmung mit seinem Segen krönen möge. Dann ist mein Herzenswunsch erfüllt. So sei es!" 

Wie ein rechter Hausvater hatte Weitzel, warmherziger Menschenfreund und klaräugiger Praktikus in einem, alles bedacht, was zum materiellen, geistigen und sittlichen Gedeihen eines kleinen Landstädtchens nötig war. Viehzucht, Ackerbau - damals noch die Grundlagen des Erwerbslebens - sollten vor allen Dingen gefördert werden. Er setzte Prämien aus für Vieh und Feldfrucht, gab aber auch in Holland bewährte Ratschläge für Schaf-, Ziegen- und Bienenzucht, für Gartenpflege und Anbau von Dinkel und Zichorie. Häuser, Stuben und Ställe müsse man jährlich kalken, meinte er; das gebe gesunde Luft und verschönere das Straßenbild. Für die Mädchen empfahl er die Einrichtung einer Nähschule, für junge Schreiner, Schlosser und Zimmerleute Zeichenunterricht, und für die allgemeine Verbesserung der Erziehung und des Unterrichts in Schule, Haus und Christenlehre machte er beachtenswerte, seiner Zeit vorauseilende Vorschläge. Die Hebung des Kirchengesanges war ihm ein Herzensanliegen, und eindringlich lenkte er den Blick auf die bessere Betreuung der Armen, Kranken und Alten und die Bekämpfung der Trunksucht. Witwen und Waisen und das Spital wurden mit Zuwendungen bedacht. Weitzel vergaß kein Gebiet des Lebens, auf dem er seinen ehemaligen Mitbürgern Hilfe bringen oder eine Freude machen konnte. Wohlüberlegt nicht immer in Gestalt eines Geldpreises.

 Wie bunt und freundlich waren seine "Ehrengaben": Sträuße für Täufling und Braut, silberne Nadelbüchschen, Fingerhüte und Ketten für die Mädchen, Mäntel für die Kirchensänger, echt goldene "Ehrenpfennige" für den erfolgreichsten Landwirt, Schuhe für die Armen, Federn und Schreibpapier für die Lehrer, Bier für die Schützen, eine Summe, dass sich damit die Verwalter der Stiftung, die Lehrer und der Bürger, der dreimal den höchsten Preis erhalten, und die Bäckerzunft "einen fröhlichen Tag machen". Für die Schuljugend aber bestimmte er zum Osterexamen Brezeln. Brezeln, die es beim Weitzelfest auch wieder gab. Ein altes Denkmal (1897) steht im Garten hinterm Schlößchen und erinnert an Weitzel. Das Stiftungskapital betrug anfangs 22.260 Mark. 1881 wurden durch Missverstand einer Regierungsverfügung 10.000 Mark verloren, wuchs aber bis 1916 auf 70.122,56 Mark an.