GELNHAUSEN
Kamera im Krankenwagen: Projekt "Telenotarzt" ermöglicht Fern-Expertise
Fotos: Joana Gibbe
Freitag, 05.07.2019
Expertise aus der Ferne: Seit einem halben Jahr läuft das „hessenweit einmalige Projekt“ des „Telenotarztes“ im Main-Kinzig-Kreis, erklärt Landrat Thorsten Stolz im Gefahrenabwehrzentrum in Gelnhausen. Durch das Telenotarztsystem ist es bei bestimmten Einsätzen möglich, den Rat eines Arztes einzuholen, ohne dass ein Notarzt vor Ort sein muss. Bereits sieben Rettungswagen wurden technisch aufgerüstet und werden nach und nach eingesetzt.
Als „Antwort auf steigende Einsatzzahlen und sich verschärfenden Fachkräftemangel“ bietet das System des Telenotarztnetzwerkes „P3 telehealthcare“ die Möglichkeit, Notärzte vor Ort zu entlasten und Ressourcen zu sparen, fasst Dr. Wolfgang Lenz, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes, das Pilotprojekt zusammen. Dabei sei der Telenotarzt nicht als Konkurrenz oder Ersatz zu sehen, sondern als Mehrsicherheit, so Lenz weiter. Sei notärztlich-handwerkliche Kompetenz gefragt, sei selbstverständlich ein Notarzt vor Ort oder werde angefordert. Bis zu seinem Eintreffen könne der Telenotarzt den Einsatz auch weiter betreuen.
Und so funktioniert der Telenotarzt: Bei bestimmten Einsätzen des Rettungsdienstes muss kein Notarzt mehr dabei sein. Durch die technische Aufrüstung der Wagen können die Sanitäter den Telenotarzt unverzüglich kontaktieren und seine Expertise einholen. Dabei ermöglicht eine Kamera im Rettungswagen bei Bedarf Videostreaming, damit sich der Telenotarzt einen Eindruck vom Patienten verschaffen kann, während die Kommunikationseinheit „peeq Box“ die Live-Vitaldaten des Patienten überträgt. Über Headset kommunizieren die Sanitäter mit dem Arzt, der sie bei der „Auswahl geeigneter Medikation“ unterstützen kann, erklärt Dr. Frederik Hirsch, Leiter des medizinischen Qualitätsmanagements bei „P3 telehealthcare“. Auch die Anmeldung im Krankenhaus kann der Telenotarzt übernehmen, damit sich die Sanitäter weiter um den Patienten kümmern können. Mit dem „überregionalem Rettungssystem“ könne man so auch unnötige Krankenhauseinweisungen reduzieren, fährt Hirsch fort. Der Telenotarzt selbst sitzt während des Einsatzes in der Leitstelle der Berufsfeuerwehr in Aachen. Dort läuft das Projekt schon mehrere Jahre erfolgreich. Ein Team von rund 25 qualifizierten Medizinern besetzt abwechselnd die Telenotarztstelle 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Dabei sitzt immer nur ein Telenotarzt in der Leitstelle, der aber parallel mehrere Einsätze betreuen kann.
Um dem wachsenden Einsatzaufkommen im Main-Kinzig-Kreis – im Jahr 2008 waren es 52.800 Einsätze, im Jahr 2018 bereits 71.900 Einsätze – gerecht zu werden, startete der Main-Kinzig-Kreis die für zwei Jahre angesetzte Pilotphase des Projekts im Dezember 2018. Nach den ersten sechs erfolgversprechenden Monaten kommen nun nach und nach mehr aufgerüstete Rettungswagen in den Einsatz. Voraussichtlich bis Mitte Juli sollen alle sieben Fahrzeuge im Betrieb sein. Die Pilotphase findet dabei absichtlich im ländlichen Raum statt, um die Netzabdeckung zu überprüfen und Erreichbarkeit zu gewährleisten. In den vergangenen Monaten zeigte sich dabei, dass in nahezu allen Orten ausreichende Signalstärke vorhanden sei. +++