WÄCHTERSBACH
Wächtersbach: Mahnwache als Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit
Fotos: Andrea Euler
Montag, 08.01.2024
Etwa 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden trotz eisigen Windes den Weg in den Wächtersbacher Ortsteil Wittgenborn, um am Sonntagmorgen im Rahmen einer Mahnwache ein Zeichen zu setzen gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus.
Dort wurde in der heiligen Nacht ein Haus abgefackelt – später fanden sich rassistische Schmierereien an den Wänden. Der kurzfristigen Einladung, die auf Initiative der Sprecherin der Wächtersbacher Linken, Angelika Silberling-Antoni, erfolgte, entsprachen zahlreiche gesellschaftlich engagierte Zusammenschlüsse, Vereine und politische Gruppierungen und Parteien aus Wächtersbach, aber darüber hinaus auch aus dem ganzen Kreisgebiet, Frankfurt und Kassel. Der Hessische Rundfunk war ebenfalls vor Ort.
In acht Redebeiträgen mahnten die Redner mehr Vernetzung und ein geschlosseneres Vorgehen der demokratischen Akteure an. In die Redebeiträge floss nicht nur der Brand vom Weihnachtsabend ein, vielfach wurden auch der Mord an Walter Lübcke im Juni 2019 in Istha, der Mordanschlag auf Bilal M. im Juli 2019 in Wächtersbach und der rassistische Anschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau erwähnt. Die Veranstaltung wurde von der Polizei überwacht, und auch Ordnungsamtsleiter Udo Manz, der auf Anfrage die Teilnehmerzahl bestätigte, sorgte vor Ort für einen sicheren Ablauf.
Freie Wächter: "Wittgenborn ist vielfältig."
Den Auftakt machte Stadtverordnetenvorsteher Jan Volkmann (Freie Wächter), der einem im Vorfeld formulierten Vorwurf gleich eingangs und unter dem Beifall der Gäste klar begegnete: „Auch auf den bloßen Verdacht einer fremdenfeindlichen Straftat darf man mit einer Mahnwache reagieren, um klarzumachen, wo Wächtersbach steht: Wächtersbach ist bunt. Wittgenborn ist vielfältig. Wir sind nicht braun!“
Damit nahm Volkmann Bezug darauf, dass die Ermittlungen zu den Hintergründen des Hausbrandes, bei dem eine aus Pakistan stammende Familie in der Heiligen Nacht ihr Zuhause verlor, noch nicht abgeschlossen sind. Fakt ist: An den Hauswänden finden sich rassistische Schmierereien. Das brachte Volkmann zur Forderung: „Wir müssen den Verdacht und die Vorwürfe einer rechtsextremistisch motivierten Straftat ernst nehmen und gründlich ausermitteln.“ Spekulationen und Vorverurteilungen lehne er jedoch ab.
Grüne: Halte Bedrohung von rechts für real
Auch Eva Bonin als Fraktionsvorsitzende der Wächtersbacher Grünen räumte ein: „Mag sein, dass die Tat nie aufgeklärt wird. Mag sein, dass sich hinter diesem Brand tatsächlich etwas anderes verbirgt als ein politisches Motiv.“ Aber: „Ich halte die Bedrohung von rechts für real.“ Auch "der Erfolg der in großen Teilen rechtsradikalen AfD" sei gefährlich „für uns, unsere Demokratie und unsere Zukunft.“ Zugleich machte sie klar: „Es hilft nicht, sich gut zu integrieren, um nicht Zielscheibe rechten Terrors zu werden.“ Bürgermeister Andreas Weiher (SPD) hatte in einem Interview nach dem Brand auf die „gute Integration“ der betroffenen Familie in Wittgenborn hingewiesen.
Genau diesen Aspekt griff auch Lucy Meier vom Bündnis gegen rechten Terror Hessen auf: „Fragen, ob die Betroffenen des Anschlags gut integriert waren, reihen sich in eine altbekannte Problemstelle ein. Ob Betroffene gut integriert sind oder nicht, spielt doch keine Rolle! Wer diese Tatsache in Frage stellt und migrantisch markierte Menschen in „gut“ und „böse“ unterteilt, ist selbst rassistisch, relativiert und legitimiert Gewalt an Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind“, betonte sie unter dem Applaus der Anwesenden.
Und legte nach: Bezugnehmend auch auf den Mordanschlag auf Bilal M. vor knapp fünf Jahren stellte sie fest: „Wie man sich nach diesen stadtgesellschaftlichen Zuständen als ein Bürgermeister, wie es der von Wächtersbach getan hat, hinstellen kann, um anzuzweifeln, dass es sich um eine rassistische Tat handelte, ist unbegreiflich. Dies grenzt an Ignoranz und verleugnet die Entwicklung der letzten fünf Jahre in Wächtersbach und anderswo in der Umgebung.“ Der Wächtersbacher Bürgermeister Andreas Weiher, an den sich diese Worte richteten, befand sich als Privatperson unter den Besuchern der Veranstaltung.
Rechtsextremismus nur gemeinsam lösbar
Auch von Seiten der Soligruppe B Efe 09 Kassel, deren Rednerin eigens für die Veranstaltung anreiste, aber nicht namentlich zitiert werden will, wurde hervorgehoben, dass es an einem „Aufschrei in der deutschen Politik und Mediengesellschaft“ fehle. „Wie weit ist die kollektive Abstumpfung bereits fortgeschritten? Wieder einmal soll niemand davon etwas gewusst haben, niemand hat etwas gesehen, niemand hat etwas mitbekommen. Wir warten schon auf die Einzeltäterthese, die jedes Mal wiederholt runtergerasselt wird, wie in einem beruhigenden Mantra.“ Die rechten Anschläge der zurückliegenden Jahre seien Mahnung und Auftrag: „Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Kontinuität von rechten Angriffen weiter unbeachtet bleibt. Nur durch ein starkes Netzwerk verhindern wir eine Fragmentierung von rechts.“
Matthias Okon vom Kreisverband der Linken mahnte an, „wir müssen mehr zusammenkommen und das vorpolitische Feld besetzen.“ Das Problem Rechtsextremismus lasse sich „nur gesellschaftlich lösen, obwohl es politisch begründet ist“. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Fördervereins Hessischer Flüchtlingsrat, diagnostizierte „einen Rechtsruck, wie wir ihn in der Kürze und Schärfe noch nie hatten“. Das Problem sei dabei nicht die AfD alleine, sondern „die etablierten Parteien, die sich von der AfD vor sich her treiben lassen“. Für ihn war es „zentral, den Diskurs wieder zurückzubekommen, in dem es um Menschlichkeit, Toleranz und Menschenrechte geht“.
Schweigeminute für im KZ Ermordete
Deniz Demirel (Linksjugend ´solid Main-Kinzig-Kreis) betonte: „Es liegt an uns, für unsere Grundrechte zu kämpfen.“ Sein Urteil über die aktuellen Geschehnisse: „Was wir hier gerade erleben, ist einfach nur zum Kotzen.“ Dem „braunen Pack“ dürfe nicht weiter tatenlos zugeschaut werden, wichtig seien deshalb Vernetzung und Aktivität. „Gegen faschistische Strömungen zusammenstehen, ist eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Geschichte“, betonte auch Gabriele Faulhaber, Vorsitzende der Linken Wetterau und ehemalige Wächtersbacher Bürgermeisterkandidatin. „Es muss ein demokratischer, nach links gerichteter Ruck durch die Gesellschaft gehen, wir müssen rausgehen, zeigen, was das inhaltliche Problem ist an dieser aktuellen Entwicklung.“
Vor Ort waren neben den Rednergruppierungen unter anderen auch Vertreter des Wächtersbacher Ausländerbeirats, der VVN-BdA, der Omas gegen Rechts und der Initiative 19. Februar. Aus Wächtersbach vertreten waren Mitglieder der Wächterbacher Linken und der Freien Wächter. Auch Pfarrerin Beate Rilke befand sich unter den Gästen. Eine Schweigeminute für die Wittgenbörnerin Sophie Knoth, die im KZ von den Nazis umgebracht wurde, und für alle Opfer rechtsextremer Gewalt beendete die Mahnwache. (red)