MAIN-KINZIG-KREIS

"Bundes-Lockdown" - Landrat Stolz: "Einheitliche Regelung dringend geboten"

Landrat Thorsten Stolz - Foto: Archiv


Mittwoch, 14.04.2021
von MORITZ PAPPERT

MAIN-KINZIG-KREIS - Schärfere Regeln, Ausgangsbeschränkungen und Schließungen: Mit dem neuen Gesetz müssen sich die Menschen in einem großen Teil Deutschlands auf weitere Maßnahmen einstellen. Das alles gilt ab einer Inzidenz von über 100. Wir haben bei Politikern aus der Region nachgefragt, was sie von der Gesetzesänderung halten.

Landrat Thorsten Stolz (SPD):

„Wir begrüßen es ausdrücklich, wenn klare und verbindliche Regeln für das gesamte Bundesgebiet beschlossen werden und wir es nicht weiter mit einem Flickenteppich zu tun haben, der es uns im Main-Kinzig-Kreis erschwert, vor Ort geeignete und vor allem rechtssichere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu beschließen. Eine bundeseinheitliche Regelung ist dringend geboten, zumal das Land Hessen die zwischen Bund und Ländern vereinbarte „Notbremse“, zu der auch Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen ab einem Inzidenzwert ab 100 gehören, bislang nicht konsequent in seinem Eskalationskonzept berücksichtigt hat. 

Wir stehen vor der Situation, dass wir es im Main-Kinzig-Kreis mit einer Reihe von Warnsignalen zu tun haben, was das Infektionsgeschehen angeht. Wir bewerten die Lage nicht nur anhand der Zahl der Neuinfektionen und des Inzidenzwerts, sondern berücksichtigen auch andere Faktoren. So registrieren wir seit einiger Zeit einen deutlichen Anstieg bei den Covid-Fällen in unseren Krankenhäusern bei gleichzeitiger starker Verbreitung der britischen Virusvariante, die als deutlich ansteckender gilt als das Ursprungsvirus. Die Infektionen verlagern sich deutlich in die mittleren und jüngeren Jahrgänge, die in der Regel mobiler sind dadurch auch mehr Kontakte haben.

 Immer mehr Infektionsketten können nicht mehr zurückverfolgt und damit auch nicht unterbrochen werden. Das alles sind wichtige Warnhinweise darauf, dass wir jetzt dringend gegensteuern müssen, um einer Überlastung unseres Gesundheitssystems entgegenzusteuern. Und das gelingt eben nur durch eine Reduzierung der Kontakte und einer konsequenten Umsetzung der Hygiene- und Abstandsregeln. Eine nächtliche Ausgangssperre allein kann das nicht bewerkstelligen, ist aber ein Baustein von mehreren, um Kontakte und Mobilität zu begrenzen.“

MdB Katja Leikert - Foto: Tobias Koch

MdB Katja Leikert - Foto: Tobias Koch

MdB Katja Leikert (CDU):

"Ich werde der Änderung des Infektionsschutzgesetzes in der vom Bundeskabinett verabschiedeten Form zustimmen. Um die Ausweitung der Corona-Pandemie einzudämmen braucht es bundesweit einheitliche Regelungen, das haben die Erfahrungen der vergangenen Monate gezeigt."

Oberbürgermeister Claus Kaminsky - Foto: Tobias Rehbein

Oberbürgermeister Claus Kaminsky - Foto: Tobias Rehbein

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD):

"Die Zielrichtung, einheitliche Regelungen zu finden, halte ich für richtig. Der wichtigste Hebel des Gesetzes, das noch Bundestag und Bundesrat passieren muss, ist die Ausgangssperre. Dabei muss man sich klarmachen, dass es hier nicht darum geht, das Spazierengehen im Freien zu reglementieren, sondern darum, dass es nahezu der einzige Weg ist, die Kontaktsperre im privaten Bereich durchzusetzen.

Wenn die Notbremse greift, darf ein Haushalt nur noch eine weitere Person empfangen. Dies zu kontrollieren, ist aber einerseits schier unmöglich, andererseits werden die privaten Treffen, bei denen zudem meist auf Abstand und Maske verzichtet wird, besonders häufig als Ansteckungsquelle ermittelt. Eine Ausgangssperre reduziert diese privaten Treffen und kann deshalb dämpfend auf das Infektionsgeschehen wirken", so Kaminsky.

Zu den Plänen eines neuen Infektionsschutzgesetzes sagt er: "Eine einheitliche Anwendung der Inzidenz-Notbremse ist notwendig und überfällig. Den Menschen lässt nicht vermitteln, wenn jede Region selbst entscheidet, wie sie mit Inzidenzen über 100 umgeht und welche Maßnahmen zu ergreifen sind.

Der Blick in die Krankenhäuser zeigt, dass die Zahl der Intensivpatienten wieder steigt. Es ist deshalb dringend geboten, konsequent das Einhalten der Regeln durchzusetzen, unter anderem die Reduktion der privaten Kontakte." 

Dr. Sascha Raabe  - Foto: privat

Dr. Sascha Raabe - Foto: privat

MdB Dr. Sascha Raabe (SPD):

„Um es vorneweg zu sagen: Die Lage ist ernst! Der Anstieg der Patientenzahlen auf den Intensivstationen erfordert ein bundesweites, konsequentes, verhältnismäßiges und sinnvolles Handeln, um die Hospitalisierungszahlen zu senken.

Notwendig und sinnvoll ist es, die Infektionsgefahren in Innenräumen stärker zu verringern. Ich habe deshalb selbst gefordert und unterstütze, dass es in den Schulen eine Testpflicht geben muss, so wie es jetzt im Entwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorgesehen ist. Ich halte es auch für gut und richtig, dass auf Initiative der SPD und unseres Arbeitsministers Hubertus Heil in Betrieben mindestens einmal in der Woche ein Testangebot verpflichtend angeboten werden muss. Persönlich fände ich es noch besser, wenn die Annahme dieses Angebotes nicht freiwillig wäre, sondern von den Beschäftigten auch wahrgenommen werden muss.

Nicht verhältnismäßig und auch nicht sinnvoll hingegen ist der besonders schwere Grundrechtseingriff der geplanten Ausgangssperre von 21.00 bis 5.00 Uhr morgens. Das betrifft ja nicht nur Besuche/Kontakte im Innenbereich während dieser Zeit, sondern auch den Spaziergang, Aufenthalt oder das Wahrnehmen sozialer Kontakte im Freien.

Seit über einem Jahr weise ich regelmäßig öffentlich und in der SPD-Bundestagsfraktion darauf hin, dass die Infektionsgefahren im Freien extrem gering sind. Darauf haben auch die WissenschaftlerInnen der Gesellschaft für Aerosolforschung gestern in einem offenen Brief an die Bundesregierung hingewiesen. Demnach finden 99,9 Prozent der Infektionen in Innenräumen statt. Im letzten Sommer sind die Infektionszahlen vor allem deshalb zurückgegangen, weil sich soziale Kontakte dank des warmen Wetters ins Freie verlagert haben.

Es ist deshalb kontraproduktiv, mit Ausgangssperren den Menschen die Bewegung, den Aufenthalt und den sozialen Kontakt im Freien zu verbieten und dadurch zu riskieren, dass sich als Ausweichreaktion dann Personen aus mehreren Haushalten abends heimlich in Innenräumen treffen. In den nächsten Wochen werden die Tage immer länger und wärmer. Es ist weder zumutbar noch verhältnismäßig, dass Menschen dann bei 30 Grad Celsius und hellem Tageslicht um 21.00 Uhr in ihren Wohnungen „eingesperrt“ werden.

Ein weiterer Mangel des Gesetzentwurfs ist es, dass allein die Anzahl der Neuinfektionen (Sieben-Tage-Inzidenz) als Kriterium für die Auslösung der Grundrechtseinschränkungen verwendet werden. Wir hatten - auch auf meine Initiative - hin erst kürzlich den § 28a des Infektionsschutzgesetzes um weitere Kriterien wie Impffortschritt und die Belastbarkeit des Gesundheitssystems, also die Hospitalisierungszahlen, ergänzt. Jetzt soll das im neu geschaffenen § 28 b nicht mehr gelten. Das ist nicht sachgerecht.

Zum einen, weil die Zahl der Neuinfektionen immer auch abhängig von der Anzahl der Tests ist. Die geplanten Ausweitungen der Tests in Schulen und Betrieben werden zunächst die offiziellen Zahlen der Neuinfektionen nach oben treiben. Erst nach einigen Wochen wird es einen positiven Effekt auf die Inzidenzzahl geben, weil Infektionsketten effektiv unterbrochen worden sind.

Zum anderen werden spätestens dann, wenn alle Risikogruppen geimpft ist, die Infektionszahlen immer unwichtiger. Ausschlaggebend für Öffnungen oder Schließungen sollten dann die Hospitalisierungszahlen und Todesfälle sein. Das empfiehlt u.a. auch der Deutsche Ethikrat. Es gibt bereits jetzt Hoffnung und Erfolge durch die bereits erfolgten Impfungen vieler älterer Menschen. Die Todesfälle sind im Vergleich zur zweiten Welle (Januar) um 75 Prozent gesunken. Denn rund 90 Prozent der Todesfälle entfallen auf über 70-Jährige.

Die Intensivbettenbelegung hingegen ist besorgniserregend hoch, weil die nun im Schnitt jüngeren PatientInnen doppelt so lange auf der Intensivstation liegen.

Wir müssen eine Überlastung des Gesundheitssystemes jetzt auf alle Fälle verhindern. Es ist deshalb richtig und notwendig, die einschränkenden Maßnahmen in Innenräumen zu verlängern und mit klugen Konzepten Gefahren zu mindern. Wenn mehr Menschen ab Mai geimpft sind, können hier voraussichtlich wieder Lockerungen erfolgen.

Im Freien sollten hingegen auch bei Inzidenzen über 100 Öffnungen ermöglicht werden, weil es an der frischen Luft fast keine Infektionsgefahren gibt. Insbesondere sollten mehr Möglichkeiten im Amateur- und Breitensport gestattet werden. Denn Bewegungsmangel kann zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden führen. Es ist meiner Ansicht nach auch verantwortbar, die Außenbereiche der Gastronomie für Personen mit vorherigem negativem Schnelltest und für Geimpfte zu öffnen.

Diese Öffnungen würden weder die Infektionszahlen noch die Zahlen der Hospitalisierungen/Intensivpatienten nach oben treiben. Im Gegenteil können Zugangsrechte für die Außengastronomie mit vorherigem negativen Schnelltest ein guter Anreiz für viele Menschen sein, sich freiwillig testen zu lassen. Das ist unter dem Strich gut für die Verringerung des Infektionsgeschehens.

In diesem Sinne könnte ich dem Gesetzentwurf nur zustimmen, wenn im parlamentarischen Verfahren noch deutliche Verbesserungen insbesondere beim Thema Ausgangssperre im vorher beschriebenen Sinne erfolgen. Dafür werde ich mich vehement einsetzen.“ +++

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