FREIGERICHT

"Kunst im Park" und "Kunst in der Kapelle" auf Hof Trages

: Von links: Sieglinde Gros, Ortrud Sturm, Ursula Zepter, Bürgermeister Dr. Albrecht Eitz, Kaleidoskop-Vorsitzende Anita Pappert-Tichy und Landrat Thorsten Stolz betrachten eine Skulptur von Ortrud Sturm. - Fotos: GNZ


Sonntag, 04.08.2019
von Gelnhäuser Neue Zeitung

FREIGERICHT - Seit 2008 bereichert der Freigerichter Kunst- und Kulturverein Kaleidoskop die Sommerlichen Musiktage auf Hof Trages mit Ausstellungen bildender Künstler. Mit den Skulpturen von Sieglinde Gros und Ortrud Sturm im Park und den Collagen Ursula Zepters in der Kapelle waren 2019 die Werke von drei hochkarätigen Künstlerinnen zu sehen, denen es gelungen ist, große Anerkennung in für Frauen noch immer untypischen Sparten zu finden. Bei der Vernissage am vergangenen Freitag würdigten Landrat Thorsten Stolz und der Freigerichter Bürgermeister Dr. Albrecht Eitz nicht nur die hochkarätige Schau, sondern zugleich den langjährigen Einsatz des Vereins für das kulturelle Leben im ländlichen Raum.

Es hat aufgehört zu regnen und die ersten Besucher strömen ins Hofgut. Während die Frankfurt Jazz Big Band für ihr Konzert am Abend probt, stellen die Vorstandsmitglieder des Kunst- und Kulturvereins Kaleidoskop im Park vor der Kapelle Stehtische auf und schenken Sektgläser für die Vernissage ein. Unter ihnen befindet sich auch Bildhauerin Sieglinde Gros aus Michelstadt. Gespannt verfolgt sie, wie die ersten Besucher im Park sich ihren Skulpturen nähern. Zögerlich nähert sich eine Menschengruppe den „Anderen", einer Skulptur, die Gros 2016 geschaffen hat, und die gewissermaßen den Eingang zur Freilichtausstellung bildet. Dicht aneinandergedrängt wachsen menschliche Figuren aus einem Stück Holz heraus, Rücken an Rücken stehen sie und blicken mit schwer deutbaren Mienen um sich. Sind sie erstaunt, verängstigt, fasziniert? Und wohin geht ihr rätselhafter Blick? In die Gegenwart, ins Gestern oder in eine Zukunft, die sich nur undeutlich abzeichnet? Eine abschließende Antwort ist nicht möglich, weil sich das Kunstwerk wandelt, je nachdem, an welchem Ort es aufgestellt ist, zu welcher Tageszeit es betrachtet wird, und vor allem, von wem.

Beim Platzieren ihrer Holzskulpturen galt es für die Künstlerin, viele Gesichtspunkte zu beachten. „Ich habe geschaut, wo sich zwischen den Bäumen und Sträuchern geeignete Nischen befinden, und musste natürlich auch das Herrenhaus und die Kapelle im Auge behalten." Hinzu kommt, dass Gros den Park mit einer weiteren Bildhauerin teilt. Ortrud Sturm aus Rödermark hat, ebenso wie Gros, drei Skulpturen aus Holz vor der Kapelle aufgestellt. Auch sie bestehen aus Holz. Doch wo Gros aufs Figurative setzt, arbeitet Sturm mit klaren geometrischen Formen. Wirkt es zunächst, als habe die Künstlerin ihre Werke aus einzelnen Körpern, bevorzugt Würfeln, zusammengesetzt, verrät ein genauerer Blick, dass jede Skulptur jeweils aus einem einzigen Baumstamm geformt wurde. Somit schafft sie ein spannungsreiches Spiel aus Stabilität- und Instabilität, jedes Werk wirkt, als befände es sich kurz davor, vollends auseinanderzufallen oder so, als würde es nur noch durch eine geheimnisvolle Kraft zusammengehalten.

Die Anderen: Im Vordergrund die Skulptur von Sieglinde Gros von 2016
Die Anderen: Im Vordergrund die Skulptur von Sieglinde Gros von 2016

Die Faszination für Bewegung, Geschwindigkeit und Veränderung

Ursula Zepter befindet sich zu diesem Zeitpunkt im Inneren der Kapelle im Gespräch mit den Besuchern. Die Kulturpreisträgerin von Stadt und Kreis Offenbach sorgt mit ihren „Licht-Bildern" an den Wänden des neogotischen Baus von 1866 für einen weiteren reizvollen Kontrast. So zeigen die großformatigen Collagen im geschichtsträchtigen Innenraum explizite Großstadtmotive als irritierende Erfahrung der Moderne. Da werden Gebäude aus Frankfurt und Offenbach in irritierenden Perspektiven aneinander montiert oder ineinander gelagert, als befände sich die Leinwand selbst in Bewegung und zeige unterschiedlichste Zeitpunkte einer rasanten Fahrt durch die Stadt in einem einzigen Moment. Es ist die Faszination für Bewegung, Geschwindigkeit und Veränderung, die Zepter formal und inhaltlich mit der Formensprache der klassischen Moderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbindet. Auch ihre Begeisterung für den Einsatz modernster Technik teilt sie mit der Avantgarde. Zwar muten Zepters Bilder auf den ersten Blick wie Gemälde an, tatsächlich sind sie jedoch Produkte eines komplexen Arbeitsprozesses.

 „Zuerst male ich die Stadtansichten, dann fotografiere ich die Bilder und übertrage sie in den Computer." Hier legt Zepter weitere Ebenen über das Gemälde, beispielsweise semitransparente Fotografien von Gebäuden, die sie in expressiven Linien mit den anderen Bildelementen verschachtelt. Erst der geduldige Blick enthüllt die vielen Details der Komposition - als Erfahrung einer Gegenwart, die in Bewegung, vielleicht sogar ins Wanken geraten ist. „Ich verwende bereits seit 1985 den Computer, um meine Collagen zu gestalten. Damals waren natürlich so großformatige Bilder wie heute noch nicht möglich", erinnert sie sich an die Anfänge. „Was mir bei meiner Arbeit hilft, ist meine Ausbildung als Lithografin." In den 60er Jahren alles andere als ein klassischer Frauenberuf, wie Gudrun Fleckenstein vom Kunst- und Kulturverein bei der anschließenden Vernissage vor rund 40 Besuchern anmerkt. Auch die Bildhauerei, der sich Gros und Sturm verschrieben haben, ist eine eher untypische Sparte für weibliche Künstlerinnen. Beide arbeiten mit der Kettensäge. „So verbindet alle drei Frauen, neben dem Umstand, dass sie aus der Region kommen und große Anerkennung genießen, die Tatsache, dass sie Männerdomänen für sich erobert haben", betonte Fleckenstein.

2018 ist sie bei einer Ausstellung auf Ursula Zepter aufmerksam geworden, bei der auch Ortrud Sturm zugegen war. Schnell fiel die Entscheidung für eine gemeinsame Ausstellung. Wie der Freigerichter Bürgermeister Dr. Albrecht Eitz anmerkt, trägt die Schau die Handschrift des Kunst- und Kulturvereins. „Dabei denke ich etwa an die Ausstellung Ellen Hugs in der Alten Kapelle Horbach. Auch hier hat der Verein alte Räume revitalisiert und so der Gemeinde neue Erfahrungen in ihrem gewohnten Umfeld ermöglicht." Und noch etwas zeichne den Verein aus: „Die Vorstandsmitglieder sind sich nicht zu schade, selbst mit anzupacken, wenn es darum geht, Tische aufzustellen und die Gäste zu bewirten. Das ist Kultur handgemacht." Thorsten Stolz, der zum dritten Mal als Landrat die Vernissage im Rahmen der Musiktage besucht, dankt den Kaleidoskop-Mitgliedern für ihre Bemühung, Kunst im ländlichen Raum zugänglich zu machen. Genau das tun die Mitglieder des Vereins, der nicht nur seit 2008 für die Reihen „Kunst im Park" und „Kunst in der Kapelle" verantwortlich ist, sondern jedes Jahr mehrere Ausflüge, Kurse, Lesungen und weitere Ausstellungen organisiert.

Um dem Besuchern mehr Zeit für die Kunst zu ermöglichen, bevor die Big Band im Gutshof loslegt, verzichtet Hausherr Hubertus von Savigny auf ein eigenes Grußwort. Anschließend heißt es für die rund 40 Kunstfreunde, sich auf die faszinierenden Großstadtansichten Ursula Zepters oder die Skulpturen im Park einzulassen. Und wer weiß, vielleicht ist es ja gerade die Erfahrung einer flüchtigen, unbeständigen und schwindelerregenden Moderne, wie sie in den Collagen Zepters geschildert wird, die sich in den Gesichtern von Gros' Skulpturen spiegelt. Der Ausdruck eines tiefen, erschütternden Erstaunens. +++

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