117. Europäischer Kulturweg: In Hutten macht das Wandern Lust

Montag, 02.08.2021
von WALTER DÖRR
SCHLÜCHTERN - Der 117. Europäische Kulturweg „Vom Landrücken in alle Himmelrichtungen“ in Schlüchtern-Hutten, der am 1. August offiziell eröffnet wurde, ist der nördlichste der Kulturwege, die das Archäologische Spessart-Projekt (ASP) in den Kulturlandschaften Spessart, Odenwald, Vogelsberg und Mainfranken seit 1999 realisiert hat. Ziel der Kulturwege ist es, die jeweils örtliche Faszination den Bürgern und natürlich Gästen näher zu bringen.
So war es auch in Hutten, wo ein Arbeitskreis aus Mitgliedern aller örtlicher Vereine und interessierte Bürger sich mit Ideen, Wissen und vor allem ehrenamtlichem Engagement einbrachten. Initiiert haben den europäischen Kulturweg die beiden Huttener Rainer Heinbuch und Katja Betz. Das Unterfränkische Institut für Kulturlandforschung an der Universität Würzburg verbindet wissenschaftliche Forschung und bürgerliches Engagement.
Kulturelles und natürliches Erbe
Die europäischen Kulturwege dienen also gleichermaßen der Förderung des Bewusstseins für die kulturelle Eigenart und das gemeinsame kulturelle und natürliche Erbe wie auch als touristische Infrastruktur, die sowohl von Einheimischen als von Besuchern genutzt wird. Wie es in dem Wege-Flyer aus Hutten heißt, werde ein Bewusstsein geschaffen, wie in der Entwicklung der Landschaft kulturelle, wirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte miteinander verwoben sind, sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. In Zusammenarbeit mit dem Spessartbund engagiert man sich für die Umsetzung der Europäischen Landschaftskonvention.
Hutten, 1137 erstmals urkundlich erwähnt und mit 837 Einwohnern ein Stadtteil von Schlüchtern, ist quasi eine Grenzregion und liegt geografisch gesehen auf dem Landrücken zwischen Rhön, Spessart und Vogelsberg mit der Wasserscheide zwischen Main und Weser. Geologisch gibt es Basalt aus vulkanischem Gestein und Kohle und Kalk, die früher abgebaut wurden. Start für den Huttener Kulturweg ist am Dorfplatz (Rhönstraße/Flurweg), wo seit 2003 ein Basaltsolitär mit dem Wappen Huttens steht.
Elf Kilometer lange Wanderstrecke
Die elf Kilometer lange Wanderstrecke ist mit den gelben EU-Schiffchen auf gelbem Grund markiert. Sieben große Tafeln im bekannten Design der Europäischen Kulturwege, ausgestattet erstmals mit QR-Codes für Youtube-Videos, und zehn kleineren Tafeln stehen auf der Wanderstrecke. Das erste sehenswerte Gebäude ist nach wenigen Metern die evangelische Kirche, die 1764 im barocken Stil erbaut wurde (vorher gab es bereits hier seit 1558 ein Gotteshaus). Nächste Etappen mit großen Infotafeln sind die ehemalige Zeche Kohlenhof, wo seit 1870 Braunkohle abgebaut wurde, und das Zementwerk Elm, das 1909 seinen Betrieb aufnahm und hochwertigen Portland-Zement produzierte und international über den Bahnweg vertrieb.
Braunkohle gab es aus der Nachbarschaft. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die Zementfabrik verkauft und 1920 stillgelegt. Ein Jahr später auch die Kohlegrube. Der Bahnhof Elm ist nächste Station auf der Route. Ein wahrer Verkehrsknotenpunkt zwischen Nord- und Süddeutschland war an dem 1868 erbauten Bahnhofgebäude, das im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Mit dem Bau der Landrückentunnel 1914 und 1986 und der Elektrifizierung der Bahnstrecke in den 1960er Jahren verlor Elm seine Bedeutung. Die Anfänge von Burg Brandenstein sind nicht klar belegt, vermutlich bauten die Herren von Steckelberg einst schon eine Burg. 1278 bis 1307 werden erstmals Herren von Brandenstein genannt, Besitznachfolger waren dann die Grafen von Rieneck und die Grafen von Hanau.
Bei der geschichtlich bedeutenden Brandensteiner Fehde wurde die Burg 1522 zerstört. Aus den Ruinen bauten die Hanauer Grafen 1563 ein Renaissanceschloss. 1895 erwarb der württembergische General Gustav von Brandenstein das Anwesen, in dem heute Dr. Constantien von Brandenstein-Zeppelin und seine Ehefrau Ameli wohnen. Ein Holzgeräte-Museum und eine Dauerausstellung über das Leben und Wirken des Japanforschers Philipp Franz von Siebold sind ein Besuch wert. Hutten-Heiligenborn, einst nur eine Weidefläche für das Vieh, erfuhr 1921 mit dem Bau eines Sportplatzes eine neue Verwendung. 1924 wurde das erste beheizte Freibad in der Region gebaut und 1945 das Jugenddorf, in dem sich bis 1969 Jugendliche aus ganz Europa trafen.
Willkommen auf der Lederhose
Seit 1956 besteht der Campingplatz. Die siebte Tafel ist eine besondere Panorama-Tafel, die man auf einem zusätzlichen ein Kilometer langen Weg erreicht. Auf dem mit 510 Metern höchsten Berg, der Lederhose, steht sie an einer von den Heimat- und Wanderfreunden Hutten gespendeten Bank- und Tischgruppe. Entsprechen der Kulturwegbezeichnung „Vom Landrücken in alle Himmelsrichtungen“ hat man einen tollen Weitblick in den Vogelsberg und die Rhön. Zur offiziellen Eröffnung des 117. Europäischen Kulturweg waren zahlreiche Gäste und Huttener in den ehemaligen Schulgarten (jetzt Bolzplatz hinter dem Dorfgemeinschaftshaus) gekommen, auch die Abteilungsleiterin für Familien, Sport, Kultur und Tourismus bei der Stadt Schlüchtern, Kerstin Baier-Hildebrand, in Vertretung des erkrankten Schlüchterner Bürgermeisters Matthias Möller, der Landrat des Main-Kinzig-Kreises Thorsten Stolz und Huttens Ortsvorsteher Jochen Koppel.
Kerstin Baier-Hildebrand sagte in ihrem Grußwort, dass sie in den vergangenen Monaten die Arbeit der Kulturweg-AG begleitet und das Projekt von Verwaltungsseite her betreut habe. Federführende Arbeit habe Dr. Gerrit Himmelbach geleistet. Baier-Hildebrand sprach die Suche nach einer Familientafel zum Gedenken an die Napoleonischen Kriege an (Die Napoleonische Kriege waren Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und seinen europäischen Machtrivalen von 1792 bis 1815). Bei den drei Tafeln im Depot des Stadtarchivs sei sie gewesen und jetzt wieder an ihrem angestammten Platz in der Kirche Hutten.
Im schönsten Dorf des Main-Kinzig-Kreises
Im schönsten Dorf des Main-Kinzig-Kreises begrüßte Ortsvorsteher Jochen Koppel die Gäste in Hutten. Bei der Planung und Umsetzung des Kulturweges hätten sich einmalig viele bemüht. Koppel wünschte viel Spaß und auch für die Verpflegung in dem Bergdorf sei optimal gesorgt. Koppel war sich sicher: „Sie werden wiederkommen.“ Dr. Gerrit Himmelsbach griff den Hinweis auf die Familientafel noch einmal auf und dankte der Breitenbacher Familie Büttner, die die Kulturweg-AG auf die Spur gebracht hatte. Netzwerkarbeit sei besonders wichtig. Hutten am Dach des Landrückens habe früher zum Amt Brandenstein gehört (der heutige Bewohner der Burg Dr. Constantin von Brandenstein-Zeppelin war anwesend, ebenso Baronin Luise von Hutten, die mit ihrem Mann Friedrich Karl Freiherr von Hutten zum Stolzenberg Nachfahre des Geschlechtes von Hutten als Namensgeber Huttens ist) erzählte Dr. Himmelsbach und hieß den Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Thorsten Stolz, willkommen.
Landrat
Thorsten Stolz betonte in seinem Grußwort, dass die Einweihung des 117.
Europäischen Kulturwegs ein schöner Anlass sei, und überbrachte die
Grüße des Main-Kinzig-Kreises. Viel Arbeit sei im Vorfeld in den
vergangenen drei Jahren geleitet worden und die Einweihung sei der
krönende Abschluss. Die Einwohner Huttens seien traditionsbewusst und
heimatbezogen. Stolz zitierte Jacob Grimm zum Heimatbegriff. Die
Geschichte müsse aufgearbeitet und an kommende Generationen
weitergegeben werden, wie am Kulturweg geschehen. In der Corona-Zeit sei
das Bewusstsein größer gewesen, für das, was im Ort passiert. Über 880
Jahre Geschichte seien aufgearbeitet worden und ehemalige
Industrieanlagen in den Fokus gerückt worden. Im Zusammenspiel vieler –
nicht durch einen Beschluss einer Gemeinde, Stadt oder Kreises. Der
Kreis unterstütze bürgerschaftliches Engagement, starkes
Geschichtsbewusstsein und Zusammenstehen - und finanziell deshalb den
Kulturweg Hutten.
Der Aschaffenburger Historiker, Archäologe und Projektleiter „Europäische Kulturwege“ vom Archäologischen Spessart-Projekt (ASP) und dem Unterfränkischen Institut für Kulturlandschaftsforschung an der Universität Würzburg, Dr. Gerrit Himmelsbach, zeigte die weite Ausdehnung der Kulturwege auf, für die ein Netzwerk nötig sei. Er lobte die gute Zusammenarbeit mit dem Huttener Arbeitskreis. Die Initiatoren Rainer Heinbuch und Katja Betz (auch mit ihrer Mutter) hätten Himmelsbach immer angetrieben. „Die Forschungsarbeit haben sie sehr gut gemacht“, so Dr. Himmelsbach.
AG-Sprecher Rainer Heinbuch sagte, dass es nicht die Arbeit eines einzelnen gewesen sei. 15 Bürger aus Hutten und Elm – weil sich der Kulturweg auf diese beiden Kommunen erstreckt, gehörten dem Arbeitskreis an. 17 Tafeln auf elf Kilometern Wanderstrecke informieren über die Ortsgeschichte, die Adelsgeschichte derer von Hutten, und auch wo und wie die Huttener arbeiteten und ihren Lebensunterhalt verdienten. Als Motivation wollten die AG-Mitglieder die Umgebung von Hutten und die Natur bekannt machen, mit dem Kulturweg das Vereinsleben von Hutten beleben und in Vergessenheit geratenes wieder in Gang setzen. Dank sagte er allen, die bei der Realisierung unterstützt haben.
Heinbuch bedankte sich auch bei Dr. Gerrit Himmelsbach, der drei Jahre lang Geduld gehabt hatte und in der besonders schwierigen Phase der Finanzierung des Kulturweges Mut gemacht und geholfen habe. Wer und welche Institutionen das Huttener Kulturweg-Projekt unterstützt hat, wurde an einer langen Liste der Sponsoren deutlich, die Dr. Himmelsbach vorlas. Mit dem Zusammenwirken aller sei das Projekt realisiert worden und die Arbeit gehe weiter. Mit einer Schelle „bewaffnet“ führte Himmelsbach dann die große Wandergruppe an, die durch Hutten hinauf zum Berg „Lederhose“ ging.
An markanten Punkten wurden Stopps eingelegt und Himmelsbach informierte in ansprechender Form. Lebendige Geschichte, die jeden begeisterte. An der Panoramatafel mit Sitzgruppe auf der Lederhose, die die Heimat- und Wanderfreunde Hutten spendiert haben, hatten die Teilnehmer dann einen weiten Rundblick. Nach dem gemeinsamen Mittagstisch in der Alten Post erwanderte man unter fachkundiger Führung die restlichen elf Kilometer bis nach Elm und zurück. +++