Corona-Mutanten im Abwasser auf der Spur - und das hessenweit
Montag, 06.09.2021
WIESBADEN/DARMSTADT - Ein Projekt zur hessenweiten Überwachung der Abwässer auf SARS-CoV-2-Viren durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt unterstützt das Land Hessen mit rund 1,5 Millionen Euro. Für mehr Flexibilität und Geschwindigkeit bei Entnahme und Analyse der Wasserproben sorgt dabei die Entwicklung und Einrichtung eines mobilen Labors.
Mit den im Abwasser gemessenen Mengen an Viren-Erbgut (RNA) und dessen Analyse kann das Infektionsgeschehen bis zu 14 Tage schneller abgebildet werden als über die Testung von Einzelpersonen. Zudem können noch nicht klinisch nachgewiesene Mutationen sowie lokale Mutationscluster früher erfasst werden.
"Mit der Erprobung eines landesweiten Monitorings in Abwässern startet Hessen als erstes Bundesland in eine neue Phase der Pandemiebekämpfung", erklärt Wissenschaftsministerin Angela Dorn. "Die TU Darmstadt hat im Zuge ihrer Forschungs- und Validierungsarbeiten bereits eine europaweit herausragende Expertise im abwasserbasierten Monitoring von SARS-CoV-2 entwickelt. Dank des außergewöhnlichen Engagements der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. Susanne Lackner können wir nun bei der Beobachtung, Bewertung und damit letztlich Bekämpfung der Pandemie in Hessen auf ein neues, hocheffektives Instrument zurückgreifen. Denn das neue, schnelle System verschafft uns Zeit – wichtige Zeit, die sinnvoll für gezielte Virusbekämpfungs- und Präventionsmaßnahmen vor Ort zum Beispiel bei lokalen Ausbrüchen genutzt werden kann."
Methoden haben sich bewährt
"Die an der TU Darmstadt entwickelten Methoden haben sich in der
Anwendung bewährt. Was noch fehlt, um die Methode für ein
flächendeckendes Monitoring zu nutzen, sind vor allem Standards und
Strukturen zur Verarbeitung und Nutzung sowie Parameter für die
epidemiologische Bewertung der Daten durch die Gesundheitsbehörden", so
Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. "Ich freue mich sehr, dass im
Schulterschluss der Landesbehörden mit den Spitzenforscherinnen und
Spitzenforschern diese Lücke möglichst bald geschlossen werden kann.
Dafür bringen wir das gewonnene Wissen aus der Forschung direkt in die
Anwendung, ein echter Wissenstransfer in die Praxis. Das standardisierte
Konzept für ein ganzheitliches abwasserbasiertes Corona-Monitoring wird
sich als Referenz für eine Umsetzung auf Bundesebene anbieten. Die
Europäische Kommission hat den Mitgliedsstaaten ein solches nationales
Monitoring dringend angeraten."
Auch die hessischen Ministerien
für Gesundheit und Umwelt sind in das Projekt eingebunden. Über acht
Monate werden rund 200 Proben von hessischen Kläranlagen untersucht. Die
Auswahl erfolgt mit dem Ziel einer möglichst großen Abdeckung der
Einwohner Hessens sowie des Flughafens Frankfurt als internationalem
Reisedrehkreuz. Zunächst wird so das Abwasser von mehr als 40 Prozent
der Einwohnerinnen und Einwohner über die gesamte Landesfläche verteilt
beprobt und beobachtet.
Die Ergebnisse der Beprobung werden durch
das Hessische Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen
(HLPUG) epidemiologisch bewertet und mit den Gesundheitsämtern geteilt,
um ein standardisiertes Bewertungsverfahren zu entwickeln. Die
Landesregierung finanziert das Modellvorhaben mit rund 700.000 Euro aus
Mitteln des Gute-Zukunft-Sicherungsgesetzes und weiteren rund 160.000
Euro aus Haushaltsmitteln des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft
und Kunst. Für Entwicklung und Bau eines mobilen Labors, das die
Beprobung der Kläranlagen zusätzlich unterstützen soll, stellt das
Hessische Wirtschaftsministerium aus Mitteln der Technologieförderung
insgesamt 600.000 Euro zur Verfügung. Der Vorteil am mobilen Labor liegt
vor allem daran, dass die technisch anspruchsvolle und zeitlich
aufwändige Analyse der Abwasserprobe schon im Laborbus, also an Ort und
Stelle der Beprobung, begonnen werden kann und damit die Ergebnisse
schneller vorliegen können.
Höchst relevantes Thema
"Die
Forschung von Professorin Susanne Lackner zum Monitoring und der
Sequenzierung von Corona-Viren im Abwasser adressiert ein
gesellschaftlich höchst relevantes Thema", unterstreicht Prof. Dr. Tanja
Brühl, Präsidentin der TU Darmstadt. "Das darauf aufbauende
Frühwarnsystem ist ein weiterer Baustein, der wertvolle Informationen
zum Umgang mit der Corona-Pandemie liefert. Es ist ein gelungenes
Beispiel dafür, wie Innovationen aus der Forschung Möglichkeiten zur
Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforderungen aufzeigen. Ich freue
mich, dass diese Arbeiten an der TU Darmstadt nun durch weitere
Fördermittel des Landes Hessen unterstützt werden."
"Die
Genomanalyse von Abwasserproben ist aufwändiger als der rein
quantitative Nachweis von Viren-RNA, liefert aber wichtige Informationen
über die Verteilung von Mutationen", erläutert die
Projektverantwortliche Prof. Dr. Susanne Lackner vom Fachgebiet Wasser
und Umweltbiotechnologie an der TU Darmstadt. "Der wichtigste Schritt
für eine erfolgreiche Genomanalyse ist die Extraktion der Virus-RNA.
Hier zahlt sich unsere jahrelange Erfahrung im Umgang mit Abwasserproben
aus und wir haben mittlerweile ein sehr robustes Protokoll entwickelt,
das sehr zuverlässige Ergebnisse liefert.
Auch die Bioinformatik ist ein zentraler Baustein bei der Auswertung und wird für die Datenaufbereitung eine entscheidende Rolle spielen. Hier setzen wir auf die enge Zusammenarbeit mit dem HLPUG und den kommunalen Gesundheitsämtern, um die Daten am Ende möglichst zielgerichtet bereitzustellen. Unser Vorhaben hat außerdem das Potenzial, wichtige Erkenntnisse für ein abwasserbasiertes Frühwarnsystem für andere Krankheitserreger zu liefern, beispielsweise andere Viren oder antibiotikaresistente Keime, um damit zukünftigen Pandemien vorzubeugen oder sie schneller in den Griff zu bekommen." (pm)