Wie die Region für junge Ärzte attraktiv gemacht werden soll
Mittwoch, 06.10.2021
MAIN-KINZIG-KREIS - Der Ärztemangel ist besonders in ländlichen Regionen zu spüren, und nicht jeder Praxisinhaber findet sofort einen Nachfolger. Der Main-Kinzig-Kreis arbeitet an der Verbesserung der ärztlichen Versorgung und fördert Praxisneugründungen, Weiterbildungen von medizinischem Personal sowie Modellprojekte. Mit umfassenderen Kompetenzen könnte der Landkreis aber mehr erreichen, ist die Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler überzeugt.
Zu einem lebenswerten Wohnort gehört eine gute ärztliche Versorgung – die ist abseits der Ballungsräume aber nicht immer gegeben. Wie kann man junge Ärzte begeistern, auch in ländlichen Regionen des Kreises zu arbeiten? Mit dieser Frage beschäftigt sich unter anderem Julia Fock, die seit zwei Jahren im Amt für Gesundheit und Gefahrenabwehr eine sogenannte Koordinationsstelle für die ärztliche Versorgung innehat.
Sie ist zuständig für das kreiseigene Förderprogramm, unterstützt bei Projekten zur Verbesserung der ambulanten Versorgung und ist Ansprechpartnerin und Beraterin für alle Akteure, die an der Gesundheitsversorgung beteiligt sind; seien es Gemeinden, der Allgemeinmedizinische Weiterbildungsverbund Main-Kinzig, die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, niedergelassene Ärzte, Medizinstudenten oder Weiterbildungsassistenten. Eine solche Stelle ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, aber die Kreisspitze mit Landrat Thorsten Stolz und der Ersten Kreisbeigeordneten Susanne Simmler will die Herausforderungen des Ärztemangels proaktiv angehen.
Herausforderungen des Ärztemangels proaktiv angehen
Seit einem Jahr wird mithilfe von Interviews in einer umfassenden
Analyse erfasst, wie die ärztliche Versorgung aussieht und welche
Entwicklung, etwa durch den Ruhestand von Ärzten, zu erwarten ist. In
Gesprächen mit diversen Gruppen wird ermittelt, welche Unterstützung vor
Ort benötigt wird. Im Rahmen eines Förderprojekts hat der Landkreis
bereits mehrere Neuniederlassungen von Einzel-, Gemeinschaftspraxen oder
Medizinischen Versorgungszentren unterstützt. Gefördert wurden in den
letzten zweieinhalb Jahren Ärztinnen und Ärzte aus 19 Gemeinden mit
einer Gesamthöhe von 723.000 Euro.
Susanne Simmler sieht hier
großes Potenzial: „Die Landkreise und Kommunen kennen die regionalen
Bedürfnisse, daher sollten sie auch bei der Sicherstellung der
ärztlichen Versorgung eine wichtigere Rolle spielen“, betonte die
Gesundheitsdezernentin kürzlich in einem Gespräch mit der
Bundestagsabgeordneten Bettina Müller. Denn derzeit haben die Landkreise
im Sozialgesetzbuch V, das das Thema Gesetzliche Krankenversicherung
behandelt, keine nennenswerte Bedeutung. „Hätten wir jedoch Kompetenzen
in der Versorgungsplanung mit entsprechenden finanziellen Mitteln,
könnten wir effizienter agieren“, so Susanne Simmler.
Julia Fock ergänzt: „Mit Modellprojekten, beispielsweise im Bereich der Telemedizin oder der sektorenübergreifenden Versorgung, können wir viel anstoßen. Ist aber das Projekt befristet, ist es schwer, dafür Gesundheitsakteure zu gewinnen. Gleichzeitig ist bei solchen alternativen Versorgungsmodellen auch klar, dass mehrere Gemeinden zusammenarbeiten müssen und nicht eine alleine solche Angebote stemmen kann.“
"Wir brauchen eine Vision"
Bettina
Müller sieht das Thema ärztliche Versorgung ebenfalls als essentiell
für den Landkreis. „Es reicht nicht aus, die Entwicklung zu beobachten.
Wir brauchen eine Vision und müssen diese mit Leben füllen. Wir stehen
vor einem Umbruch in der medizinischen Versorgung. Das betrifft nicht
nur die Anzahl an Ärzten und ausgebildeten Fachkräften, sondern auch die
Art der Versorgung. Eine moderne Betreuung wird dabei zunehmend
wichtiger“, so die Politikerin, die auch Rechtsanwältin und als
Krankenschwester ausgebildet ist.
Zu einer zukunftsorientierten
Versorgung gehöre beispielsweise, die Bedürfnisse der jüngeren
Generation zu berücksichtigen, wie Simmler betonte. Einige wollten nicht
mehr Einzelkämpfer sein und alleine eine Praxis führen, sondern im Team
einer Gemeinschaftspraxis arbeiten und sich damit die umfangreiche
Arbeitszeit sowie das geschäftliche Risiko teilen. „Größere
Versorgungsstrukturen mit mehreren Leistungserbringern könnten sowohl
die Bedürfnisse der jungen Ärzte nach besseren Arbeitsbedingungen
erfüllen als auch eine patientenorientierte Versorgung verbessern“, ist
die Erste Kreisbeigeordnete überzeugt. Hebammen lassen sich leichter für
eine Tätigkeit im Krankenhaus begeistern, wenn es verschiedene
Arbeitsmodelle gibt, die mit dem Familienleben vereinbar sind.
Patienten, die nicht mobil sind, könnten in unkomplizierten Fällen, zum
Beispiel für ein Folgerezept, von Online-Sprechstunden profitieren.
Schließlich gehe es darum, im Ausbildungsbereich (Um-)Schulungen zu fördern, um mehr medizinische Fachkräfte zur Verfügung zu haben. Auch durch die zunehmend ältere Bevölkerung ist mit mehr Ärztebedarf zu rechnen. „Daher wird unser Engagement im Gesundheitsbereich weiterhin notwendig sein, aber als Landkreis alleine können wir die künftigen Herausforderungen nicht stemmen“, betont Susanne Simmler. Sie appelliere daher an die Bundespolitik, zur Erfüllung dieser Aufgaben die gesetzlichen und finanziellen Grundlagen zu schaffen. (pm)