Alle Intensivstationen im Kreisgebiet sind "rot" gemeldet
Donnerstag, 18.11.2021
MAIN-KINZIG-KREIS - Die Corona-Lage in den hiesigen Krankenhäusern beschreibt der Main-Kinzig-Kreis als „höchst problematisch“. In den vier Kliniken befinden sich derzeit 49 Patientinnen und Patienten mit Covid-19, davon 15 auf den Intensivstationen. Wiederum zehn Menschen müssen beatmet werden.
„Die Zahl der freien Intensivkapazitäten ist aus verschiedenen Gründen erheblich eingeschränkt. Man kann es ganz plastisch beschreiben: Mittlerweile ist es denkbar, dass ein Patient mit einem Herzinfarkt, der intensivmedizinische Betreuung braucht, über weite Strecken bis zu einem freien Behandlungsplatz in einem Krankenhaus gefahren werden muss, weil gerade die Kapazitäten in den Einrichtungen bei uns im Kreis erschöpft sind“, berichtet Landrat Thorsten Stolz.
Konkrete Handlungsoptionen sind begrenzt
Der Main-Kinzig-Kreis behält die Situation tagesaktuell im Blick und
berät in den Sitzungen des Verwaltungsstabs über kurzfristige Schritte
zur Entschärfung der Lage. Allerdings sind die konkreten
Handlungsoptionen begrenzt – das exponentielle Wachstum bei den
Corona-Neuinfektionen setzt sich seit vielen Tagen fort. Mehr Testen,
mehr Impfkapazitäten, schärfere Schutzkonzepte: So wichtig diese
Bausteine in der Pandemie sind, an der derzeitigen Akutlage im
Rettungsdienst und bei den Krankenhäusern können die Kreise und Kommunen
so nur bedingt etwas ändern. Und so fallen die jüngsten
Sachstandsmeldungen an die Kreisspitze in immer größerer Dramatik aus.
Zum
Beispiel im Rettungsdienst: Wenn ein Patient oder eine Patientin als
intensivpflichtiger Notfall per Rettungswagen ins Krankenhaus muss, ist
es bereits seit Tagen ein großes Problem, ein freies Bett zu finden.
„Die Rettungsdienstteams können die nächstgelegene Klinik meistens gar
nicht mehr ansteuern“, schildert Manuel Wilhelm, Ärztlicher Leiter
Rettungsdienst im Main-Kinzig-Kreis. „Dann werden die nächsten
Krankenhäuser im Umkreis kontaktiert, danach die noch weiter entfernt
gelegenen. Das ist wertvolle Zeit, die alleine für die Logistik
verstreicht. Hinzu kommen die längeren Transportzeiten mit oft kritisch
kranken Patienten.“
Die Intensivstationen der Krankenhäuser im Kreisgebiet haben in den vergangenen Tagen regelmäßig „rot“ gemeldet – keine weitere Aufnahme über den Rettungsdienst. Und damit waren sie bei weitem nicht alleine. Für das Rhein-Main-Gebiet sei die Lage „schon sehr dramatisch“, wie Wilhelm aus der täglichen Arbeit schildert. Wenn alle Kliniken in vertretbarer Reichweite nämlich keine Kapazitäten mehr angeben, erfolgt die Patientenzuteilung als sogenannte Notzuweisung, aktuell bereits eher die Regel als die Ausnahme. Eine Klinik, die also eigentlich trotz aller Bemühungen keine Versorgungsmöglichkeiten mehr hat, muss dann trotzdem Patienten vom Rettungsdienst übernehmen und weiterversorgen.
Keine Besserung in Sicht
Zum
Beispiel in den Krankenhäusern: Bis eine Klinik „rot“ meldet, muss schon
viel passieren. Genau das ist in den vergangenen Tagen der Fall
gewesen. „Mit einigem zeitlichen Versatz landet ein Teil der
Covid-Neuinfizierten in den Krankenhäusern. Von Mitte Oktober bis Mitte
November hat sich die Gesamtzahl von 18 auf fast 50 mehr als verdoppelt.
Und der Höhepunkt bei der Zahl der täglichen neuen Fälle ist aktuell
noch gar nicht in Sicht“, verdeutlicht Erste Kreisbeigeordnete und
Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler.
Auf den Intensivstationen
liegen ebenfalls deutlich mehr Menschen mit Covid-19, teils jünger als
60 Jahre und mit längerer Aufenthaltsdauer. „Es ist vielen Bürgerinnen
und Bürgern vielleicht nicht klar, aber was an Kapazität für die
Covid-Patientenschaft aufgewendet wird, fehlt zunehmend bei anderen
Akutfällen. Eine Besserung ist auf Wochen, vielleicht auf Monate nicht
in Sicht. Nicht weil Betten oder Gerätschaften fehlen, sondern weil es
nicht genug Fachkräfte gibt“, so Simmler.
"Personalumfang ist endlich..."
So
leicht ist es daher den Kliniken nicht, weitere Kapazitäten zu
schaffen. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Hanauer
Covid-Stationen leisten einen herausragenden Job, schon seit über
anderthalb Jahren“, sagt Claus Kaminsky, Oberbürgermeister von Hanau und
Aufsichtsratsvorsitzender des städtischen Klinikums. „Sie werden nach
Kräften unterstützt, auch aus anderen Bereichen der Häuser. Es werden
Stationen umgewidmet, wir werden planbare Operationen verschieben
müssen. Aber das lässt sich nicht unendlich fortsetzen, gerade weil der
Personalumfang endlich ist.“ Nach den kräftezehrenden Monaten der
vorangegangenen Pandemiewellen habe der eine oder andere Kollege den
Beruf beziehungsweise die fachliche Richtung gewechselt. „Eine
Erkältungswelle, wie sie in den nächsten Wochen ohnehin nicht
auszuschließen ist, geht dann zusätzlich an die Substanz.“
Dieter
Bartsch, Geschäftsführer der Main-Kinzig-Kliniken, kann das für die
Standorte Gelnhausen und Schlüchtern bestätigen. „Einerseits sind die
Kliniken besser auf eine anhaltende Notlage vorbereitet als noch vor 20
Monaten. Dank des großen Engagements und der Flexibilität der
Mitarbeiter werden permanent Strukturen angepasst, zudem haben sich die
Krankenhäuser besser untereinander vernetzt.“ Andererseits reiche eine
gute Infrastruktur allein nicht aus, um die tagtäglichen
Herausforderungen zu bewältigen, deren Ursache in der dauerhaft hohen
Belastung der Mitarbeiter liege.
Bartsch betont: „Nicht an der Anzahl der Intensivbetten muss eine gute Versorgung gemessen werden, sondern an der Kapazität und Leistungsfähigkeit derer, die mit großer Professionalität die Patienten betreuen.“ Schon vor der Pandemie waren aufgrund der geringen Personalressourcen die Intensivkapazitäten extrem knapp. Diese Situation habe sich nochmals verschärft, wobei insbesondere die gesetzlichen, bundespolitischen Vorgaben aktuell die Versorgung für Krankenhäuser deutlich erschwere.
Für Landrat Thorsten Stolz sind all diese Entwicklungen Grund genug für schärfere Vorsichts- und Schutzmaßnahmen. „Es ist Teil unseres Alltags geworden, dass wir uns untereinander schützen und eigenverantwortlich auch abwägen, was in diesen Zeiten vielleicht zwar erlaubt, aber nicht unbedingt notwendig ist. Dieses Abwägen beginnt im Privaten, und Vorsicht und Umsicht sollten im Moment dabei leitend sein. Denn die Auswirkungen sind für uns alle in der Gesellschaft relevant“, so Stolz mit Blick auf die Situation im Rettungsdienst und in den Krankenhäusern. „Wenn der Punkt aber erreicht ist, an dem das Gesundheitssystem massiv Überlastung meldet, dann ist es allerhöchste Zeit, hier auch landeseinheitlich mit politischen Maßnahmen gegenzusteuern.“ (pm)