Pumuckl-Koalition kommt zur rechten Zeit

Analyse: Der Untergang der CDU ist eine Chance für Deutschland

Bald gibt es eine Premiere auf Bundesebene: Die erste Pumuckl-Koalition geht an den Start Foto: Pixabay


Sonntag, 05.12.2021
von TOBIAS BAYER

DEUTSCHLAND - Deutschland hat der CDU viel zu verdanken. Die Union hat unsere Bundesrepublik mitaufgebaut, ihr Stabilität gegeben. Sie war eine stolze, im besten Sinne konservative Partei. In den Nachkriegsjahren hat sie mit ihrem festen Glauben an christliche Werte einem jahrelang nationalsozialistisch-geprägten Deutschland Sicherheit und Struktur gegeben, "Anstand" beigebracht. Doch im Herbst 2021 ist von dieser einst stolzen Union nicht mehr viel übrig geblieben. Die nächste Bundesregierung wird aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen bestehen. Den Christdemokraten bleibt nur die Oppositionsbank. Doch das ist gut so. Die Analyse eines Absturzes, der (mindestens) fünf Gründe hat. 

1. Die Krux der positiven Veränderungen.

Es ist doch so: Je besser es läuft, desto schlechter ist das für den Macher der guten Zeiten. Die CDU hat sich selbst überflüssig gemacht, dadurch, dass sie Deutschland auf stabile Beine gestellt hat. Sie hat jahrzehntelang das Land und die Bevölkerung zu Wohlstand geführt, im Demokratie einverleibt, Sicherheit und Bildung vorangetrieben. Doch mit dem Anwachsen des Status quo, sinkt die Intensität weiterer Verbesserungsmaßnahmen. Und sind die Bürgerinnen erstmal gewohnt, dass jedes Jahr (fiktiv) 10 Prozent Steuern gesenkt werden, ist das Gemaule groß, wenn es plötzlich nur noch fünf Prozent Steuersenkung gibt. Die Dankbarkeit der Bürger gegenüber Politikern hält sich in Grenzen. 

2. Neu denken statt weiter so.

Cannabis-Legalisierung, Streichung des Rassismus-Begriffs aus dem Grundgesetz, Abschaffung des Transsexuellengesetzes, Legalisierung von Abtreibungs-Werbung - die Ampel reformiert nicht unsere Gesellschaftspolitik, sie revolutioniert sie. Es ist an der Zeit, dass Dinge komplett umgeworfen, nicht nur angepasst werden. Die CDU ist eine sanfte Update-Partei, sie macht Dinge selten schlechter, aber auch nur langsam besser. Die CDU bringt kaum wirklich neue Programme raus. Doch jetzt brauchen wir Disruption, wir müssen kreativ zerstörerisch werden. Out of the box denken, wie man heute neudeutsch sagt. So schön Windows 2000 auch war, sind wir doch froh, dass es heute neue Betriebssysteme für den PC gibt und nicht der einstige Gigant einfach immer weiter gewartet wurde. Auch wenn es dadurch mal zu einem Systemabsturz kam. Positive Veränderungen wollen, heißt auch Fehler zulassen. 

3. Die Nettigkeitsfalle.

Die CDU hat sich selbst verloren, weil sie sich nicht treu war. Eine Volkspartei hat das Ziel möglichst viele Interessen unter einen Hut zu bringen und damit sehr viele Menschen zu erreichen. Doch auch eine Volkspartei braucht Profil und darf sich nicht in Beliebigkeit verlieren. Sind Sie schonmal mit abgefahrenen Reifen Auto gefahren? Sie berühren den Boden an jeder Stelle, erreichen den letzten Milimeter Asphalt. Doch was passiert wenn es mal ernst wird? Sie rutschen auf dem Glatteis sofort weg. Genau dieses Gefühl musste man die vergangenen Jahre haben. Die Union hat sich zu vielen verschiedenen Wählergruppen parallel angebiedert, wollte (bestenfalls selbst an politischen Rändern) niemandem auf die Füße treten. Genauso ist es doch bei der Union gewesen. In den vergangen Jahren hat sie immer mehr versucht allem und allen Gerecht zu werden. Statt traditionellen Themenschwerpunkten (innere Sicherheit, Familien- und Wirtschaftspolitik) hat man versucht auf (durchaus wichtige und berechtige) Trend-Themen aufzuspringen: Klimaschutz etwa. Doch dabei ganz vergessen: Im Zweifel entscheiden sich die Leute immer für das Original - in diesem Falle Grüne.

4. Die CDU ist altbacken & verzweifelt.

Ich biss in mein Bratwurstbrötchen und wusste: Es ist aus mit der Union. Wenige Tage vor der Bundestagswahl besuchte Hessens Landesvater Volker Bouffier im Wahlkampf-Endspurt Osthessens konservative Hochburg Fulda. Doch der Uni-Platz blieb überraschend leer. Es folgte ein Auftritt, der zeigen sollte: Diese Union passt nicht mehr zu Deutschland. Die Union ist zu einer Partei verkommen, die wirkt als sei sie in den Dornröschenschlaf gefallen. Bis auf Lokalpolitiker, Rollatoren-Rentner und halbstarke Nachwuchs-Patrioten, die die deutsche Nationalhymne anstimmen und lauthals sangen, waren nicht viele Bürger zu sehen. Noch unentschlossene Wähler? Fehlanzeige. Die Union zeigte sich an diesem Tag wie Deutschland in weiten Teilen längst nicht mehr ist: Fettige Bratwurst im Brötchen, Blasmusik, wackelige Festbankgarnituren, Limo aus dem Plastikbecher, Geküngel und verblasste orangen-weiße Sonnenschirme mit CDU-Aufdruck. Und der Auftritt des sonst so staatsmännischen und rhetorisch starken Ministerpräsidenten Bouffier? Dem CDU-Vize fiel in einer ungewohnt schwachen Rede auch nichts anderes als Bashing der politischen Konkurrenz ein. Statt Inhalte zu präsentieren, warnte er unentwegt vor der Gefahr eines "Linksrutsches". Wer anderen Angst einjagen muss um eine Legitimation für das eigene Sein zu finden, der hat längst verloren.


5. Christdemokratische Müdigkeit.

16 Jahre kontinuierlich ein Land zu regieren, das strengt an. Krisen managen, statt einfach draufhauen, Verantwortung tragen, statt jammern. Regieren macht mit der Zeit müde. Als regierende Partei wird mehr Zurückhaltung bei innerparteilichen Kontroversen und inhaltliche Substanz erwartet als von Oppositionsparteien. Zugleich braucht es diplomatisches Geschick. Zu langweilig darf es ja aber bitte auch nicht werden. Und irgendwann fragt man sich als Regierende Partei, was bringt das eigentlich alles und vergisst wie es vorher eigentlich mal war. Die CDU hat die lange Zeit an der Regierung und bundespolitische Macht zermürbt. Ein anerkannter Lokal-Politiker der Union sagte mir bereits im Frühjahr im Hintergrundgespräch: "Für die CDU als Partei wäre es besser, wenn sie nicht in der nächsten Bundesregierung sitzt." So wird es nun kommen. 

Denn was Deutschland jetzt braucht und sich auch (Liberal)-Konservative eingestehen sollten: Eine progressive, freche wie "freshe" Pumuckl-Regierung. Eine, die im Zweifel auch mal zu weit geht. Guter Politik ist es egal ob sie von linken, rechten oder liberalen Politikern gemacht wird. Und wenn die Pumuckl-Koalitionäre es dochmal gänzlich übertreiben, dann wird sie hoffentlich von einer sich langsam widererstarkenden, oppositionellen CDU zu Maß und Mitte gemahnt werden. Das traue ich ihr zu, der guten alten CDU - die Rolle des weitsichtigen, mahnenden Großvaters. Nur mit einer radikalen AfD darf sie nicht in Kuschelkurs verfallen. Dann ist die Union ein alter weiser Mann im besten Sinne.

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