"Wir helfen in Afrika" befreit in Kenia 17.000 Menschen von Jiggers
Samstag, 25.12.2021
GENHAUSEN/KENIA - Der parasitäre Sandfloh Jiggers grassiert im ländlichen Kenia in vielen Familien. Hunderttausende Menschen sind von ihm befallen mit teilweise verheerenden Folgen. Jiggers sorgt für entzündete Wunden an Händen und Füßen, Armen und Beinen. In schweren Fällen führt das sogar zu Amputationen oder gar zum Tod. Dabei ist die Behandlung kinderleicht.
Der Gelnhäuser Verein „Wir helfen in Afrika“ hat in den vergangenen Jahren bereits Zehntausende vom Sandfloh befreit. Nach einer coronabedingten Delle 2020 waren in diesem Jahr der Arzt Duncan Nyambari und sein Team im Auftrag des Vereins wieder vermehrt auf dem Land unterwegs, um den Ärmsten der Armen – und vor allem Kindern – zu helfen. Bis Jahresende werden es erneut rund 17.000 Menschen sein, die Dank des großartigen Projekts vom Jiggers befreit sind.
Der feuerrote Staub der schlecht befestigten Straße dringt durch jede Ritze des alten Toyota Kombis, mit dem der Arzt Duncan Nyambari und sein Team vom Neat Feet Health Trust immer tiefer ins Hinterland von Ukunda vorstößt. Mehr als eine Stunde schon sind sie unterwegs, als es los ging, war es noch dunkel. Sie umfahren tiefe Schlaglöcher, weichen immer wieder Kühen und Ziegen aus, die träge über den Feldweg laufen. Die weit verteilt liegenden Hütten am Wegesrand sind klein, karg und zeugen von tiefer Armut der Menschen. Irgendwann biegt Nyambari auf einen großen Hof ein, ebenso rot und staubig wie die Straße.
200 Kinder warten auf das Team
Er hat sein Ziel erreicht, eine der vielen Dorfschulen auf dem Land. Etwa 200 Kinder warten schon auf das Team. Die Schulleiterin begrüßt heute neben dem Jiggers-Team auch Gäste aus Deutschland, das Vorstandsteam von „Wir helfen in Afrika“, das zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie endlich wieder vor Ort im Projektgebiet des Vereins sein kann. Jetzt geht alles ganz schnell: Duncan Nyambari und sein Team verteilen viele große Plastikschüsseln, lassen sie mit Wasser füllen und geben einige Löffel Kaliumpermanganat hinein. Das Wasser verfärbt sich in eine dunkellila Lösung.
Darin baden die Schüler nun für einige
Minuten Hände und Füße. An jeder Schüssel sitzen zwei bis vier Kinder.
„Wir brauchen bei normalem Befall drei solcher Behandlungen im Abstand
von etwa zwei Wochen“, erklärt der Arzt seinen Besuchern aus
Deutschland. „Dann sind die Sandflöhe vollständig entfernt. Die Wunden
müssen nur noch abheilen.“ Sind Kinder schwerer befallen, dauert es auch
schonmal vier oder fünf Sitzungen, bis die Kinder geheilt sind.
Ali schläft auf dem blanken Boden
Schwer
befallen ist auch der elfjährige Ali. „Er hat den Jiggers praktisch am
gesamten Körper. Das ist schon ungewöhnlich“, sagt Duncan Nyambari und
zeigt seinen Begleitern den befallenen und schmerzenden Rücken des
Kindes. Wie das Team erfährt, lebt der Junge zusammen mit seinem Vater
in einer kleinen Hütte. Dazu kommt: Der Junge ist noch nie zur Schule
gegangen. Er hat nicht einmal eine Geburtsurkunde, und die braucht ein
Kind, um sich überhaupt an der Schule anmelden zu können. Zu alldem
fehlt dem Vater das nötige Geld. „Nicht einmal eine Matratze haben die
beiden, Ali schläft auf dem blanken Boden“, erzählt Nyambari, während er
einem Kind beim Eincremen hilft, das gerade sein Fußbad beendet hat.
Vaseline unterstützt die Heilung, daher wird die Fettsalbe nach den
Kaliumpermanganat-Bädern dick auf Hände und Füße geschmiert.
Die
Gäste aus dem Main-Kinzig-Kreis beraten kurz, dann treffen sie eine
Entscheidung: Sie wollen Ali helfen, auch über die Jiggers-Behandlung
hinaus. Duncan Nyambari soll Matratze und Bett für Kind und Vater
besorgen, die Schulleiterin verspricht, den Elfjährigen in der Schule
aufzunehmen und sich um die Ausstellung der Geburtsurkunde zu kümmern.
Ali wird so zum ersten Mal am Schulunterricht teilnehmen können. Per
Handschlag zusammen mit dem Jungen wird dieses Vorhaben unter allen
Beteiligten vereinbart.
„Es sind Schicksale wie das von Ali, die uns immer wieder ans Herz gehen“, sagt Kornelia Schaad, die sich im Verein federführend um die Gesundheitsprojekte kümmert. „Vor allem wenn man mal persönlich erlebt hat, wie einfach und effizient die Behandlung des Jiggers möglich ist, macht es uns fassungslos, welch enormes Problem Jiggers für die Landbevölkerung darstellt.“ Dabei kostet eine komplette Behandlung gerade einmal etwa fünf Euro. „Mit diesen fünf Euro schenken wir einem Kind eine bessere, gesunde Zukunft.“
Im vergangenen
Jahr aber waren wegen des strikten Lockdowns in Kenia fast keine
Behandlungen in den Schulen möglich. Das Jiggers-Team konnte zumindest
einzelne Dörfer aufsuchen, um dort weiter gegen den Jiggers-Parasiten zu
kämpfen. In den Jahren davor hatte der Gelnhäuser Verein große Erfolge
erzielt. Fast 100.000 Menschen hatten Duncan Nyambari und sein Team seit
Projektstart erfolgreich behandelt. Zumindest mittelfristig hätte der
Jiggers deutlich dezimiert werden können. Doch 2020 schlug das Pendel in
die entgegen gesetzte Richtung. Die Zahl der Befallenen stieg zum
ersten Mal wieder an. „Nun sind wir mittendrin, das Pendel wieder auf
die positive Seite zu drücken“, sagt Kornelia Schaad. Mit etwa 17.000
Behandlungen bis Ende 2021 liegt das Pensum schon fast wieder auf
Vor-Corona-Niveau.
Verein braucht Untersützung
„Das reicht aber noch nicht. Wir wollen mehr erreichen und möglichst bald wieder einen Horizont sehen, der uns realistisch erlaubt zu sagen, dass wir regional den Jiggers besiegen können.“ Dafür aber braucht der Verein Unterstützung. „Auch, wenn die einzelne Behandlung vergleichsweise günstig ist: In der Summe sind die Kosten in Höhe von monatlich rund 7.000 EUR eine große Herausforderung für uns als kleiner Verein.“
Es
sind die Einzelschicksale wie das von Ali, die immer wieder für Rührung
sorgen. Wenn einst schmerzverzerrte Gesichter endlich wieder lächeln,
wenn geschundene Kinder auf ehemals entzündeten Fußsohlen wieder
fröhlich lachend Fußball spielen oder Seilspringen. „Aber auch die
Perspektive für diese Kinder treibt uns an. Denn nun können sie ohne
Sorgen und Schmerzen zur Schule gehen und lernen“, sagt Kornelia Schaad.
Duncan Nyambari sei dabei ein ganz tolles Vorbild für die Schüler.
Viele wollen dem großen, muskulösen Mann mit der tiefen, sanften
Bassstimme nacheifern. „Er setzt sein Wissen, sein Können und viel
Leidenschaft ein, anderen zu helfen. Das steckt an“, sagt Kornelia
Schaad. Und so verwundert es nicht, dass viele Kinder bei der Frage nach
dem Berufswunsch „Arzt oder Ärztin“ als Antwort geben.
Sich gegenseitig helfen, unterstützen, für eine bessere Zukunft für alle. Das lernen die Kinder ganz nebenbei, wenn Duncan Nyambari und sein Team in die Dörfer kommen. Dazu kommt die Aufklärung, die sie leisten: Sie verteilen Seife, berichten davon, wie der Sandfloh unter die Haut gelangen kann. Regelmäßiges Händewaschen mit Seife hilft, den Befall zu vermeiden. Auch Bettgestelle, sodass die Matratzen und Bastmatten, auf denen die Menschen schlafen, nicht direkt auf dem blanken Lehmboden liegen. So wird aus der kurzfristigen Hilfe gegen den Jiggers eine langfristige Gesundheitsaufklärung, die nachwirkt. Genau das ist das Ziel des Gelnhäuser Vereins.
Und dafür braucht er jede Hilfe. Denn schon fünf Euro retten einem Kind in Kenia womöglich das Leben. „Mit jedem Kind, das wir vom Jiggers erlösen, kommen wir dem Ziel, den Parasiten dauerhaft zurückzudrängen, ein Stück näher“, sagt Kornelia Schaad. Ein ambitioniertes Ziel, zu dessen Verwirklichung jeder Euro benötigt wird. Mehr Informationen zum Projekt und zum gesamten Verein gibt es im Internet unter www.wirhelfeninafrika.de. (pm)