Warum bei diplomatischen Anlässen Fingerspitzengefühl gefragt ist
Mittwoch, 29.12.2021
WIESBADEN - Bei diplomatischen Anlässen ist Fingerspitzengefühl gefragt. Das Protokoll des Hessischen Landtages kann im Sommer keine Kaschmirschals und dem tibetischen Oberhaupt keine Krawatte überreichen. Ein mit Messing verziertes Trinkhorn neben einem farbenprächtigen Ölbild. Ganz in der Nähe: eine japanische Geisha-Puppe und eine indonesische Stabmarionette. Und nur einen Tisch weiter: geschnitzte Holzteller aus Sibirien, Schriftrollen aus China, das Modell einer Lokomotive, ein versilberter Tafelaufsatz und ein Hirschgeweih.
Wo Spitzenpolitiker einst in Pressekonferenzen erklärten, wohin es in Hessen politisch gehen soll, konnten sich Beobachter jüngst ein Bild davon machen, woher in den vergangenen Jahrzehnten die Staatsgäste des Landes kamen: Auf langen Tischreihen im ehemaligen Medienraum des Hessischen Landtages drapiert, lagen die Gastgeschenke, die einst als Geste der Freundschaft in das Landtagsgebäude kamen.
Die vielen hundert Gegenstände sind keine persönlichen Geschenke – sie sind Staatseigentum. Deshalb wurden sie nach Ende jedes zeremoniellen Empfangs in einem eigens dafür reservierten Raum im Wiesbadener Stadtschloss aufbewahrt. Lange Zeit in den historischen Gemäuern sicher verwahrt, machte die Sanierung des historischen Gebäudes den Umzug aller dort aufbewahrten Schätze erforderlich. Und so wurden die Gastgeschenke von der Protokollabteilung des Landtages in Obhut genommen.
Die "guten Stücke" werden katalogisiert
Dort haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Protokolls die
Katalogisierung der einzelnen Stücke übernommen. So gibt bei der
verkleinerten Replik der Chunma-Chong-Goldkrone aus dem 5. Jahrhundert
ein beigefügter Zettel Auskunft: „Geschenk der koreanischen Vereinigung
der Vorsitzenden aus den Stadtverordnetenversammlungen und Kreistagen,
12. August 2009“. Eine bronzefarbene Meerjungfrau wiederum trägt die
Plakette des litauischen Präsidenten. Eine Vielzahl der Gastgeschenke
spiegeln die enge Verbindung Hessens mit seinen Partnerregionen und
befreundeten Staaten wider. Traditionell bemalte Keramikteller aus der
türkischen Partnerregion Bursa und goldplatinierte Bilder, Geschenke des
Präsidenten der vietnamesischen Nationalversammlung, zeigen die
Wertschätzung der Gäste.
Der Austausch von Gastgeschenken ist
protokollarische Pflicht bei Staatsbesuchen. Für die Auswahl der
Geschenke ist Fingerspitzengefühl gefragt: Landeskultur, Zeitgeschmack
und politische Verhältnisse dokumentieren sich darin. Im Hessischen
Landtag hilft eine intern abgestimmte Geschenkeliste bei der
Entscheidung, die letztlich in jedem Einzelfall der Landtagspräsident
trifft.
Ein weißer Porzellanlöwe der Höchster Manufaktur,
exklusiv für das Land Hessen gefertigt, ist Staatsgästen ersten Ranges
vorbehalten. Klassische Kaschmirschals im Winter oder Seidentücher im
Sommer sind ebenfalls hochwertige Präsente. Schreibmappen aus echtem
Leder, gefertigt vom hessischen Traditionsunternehmen Picard und mit
Landtagslogo versehen, sind ebenso beliebte Erinnerungen an den Besuch
in Wiesbaden wie Wein aus der Staatsdomäne Kloster Eberbach oder eine
kleine Box mit den berühmten Wiesbadener Ananastörtchen, auf die der
Hersteller sogar ein Patent hat.
„Man muss sich für seine Gäste interessieren und kreativ sein, was das betrifft“, heißt es aus dem Protokoll. „Einmal haben wir sogar ein Märchenbuch aus einer naheliegenden Buchhandlung geholt.“ Die Gastgeber freuten sich auf den vierten Besuch des Dalai Lama im Landtag, und da das Oberhaupt der Tibeter Märchen schätzt, fiel die Auswahl auf eine englischsprachige, handkolorierte Ausgabe der Grimm’schen Märchen. Ob der Dalai Lama die Märchen gelesen hat, ist nicht bekannt. Dass das ausgefallene Geschenk sein bekannt herzliches Lachen auslöste, deutete man im Landtag jedenfalls als Zeichen einer gelungenen Wahl. (pm)