Nach 135 Jahren: Verschollenes Gerichtsbuch taucht wieder auf
Dienstag, 08.03.2022
GELNHAUSEN - Ein seit 135 Jahren verschollen geglaubtes Gelnhäuser Schöffengerichtsbuch aus dem 15. Jahrhundert ist jetzt im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsarbeiten wiedergefunden worden. "Insgesamt ist die Überlieferung des Schriftguts aus dem 15. Jahrhundert sehr dünn. Umso glücklicher sind wir über diesen bedeutenden Fund", sagt Anette Vinnen, Leiterin des Gelnhäuser Stadtarchivs.
Von der Existenz des Gerichtsbuches wusste man, seitdem Pfarrer Friedrich Wilhelm Junghans am 2. Juli 1885 auf der Monatsversammlung des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde einen Vortrag über die Gelnhäuser Schöffengerichtsbarkeit hielt. Als Beleg hatte Junghans ein Gerichtsbuch herangezogen, das sich damals im Gelnhäuser Stadtarchiv befand und über die regelmäßigen Sitzungen des Schöffengerichts in den Jahren 1465 bis 1471 berichtete. Junghans hatte den Kodex zur Grundlage seiner Analyse des Gerichtswesens im späten Mittelalter gemacht.
Ein Jahr später fügte er in seinem umfassenden Aufsatz über die Geschichte der Stadt Gelnhausen eine Transkription von 94 Einträgen aus dem Buch bei. Diese Passagen sollten für die darauffolgenden 135 Jahre die einzigen Teile des Bandes bleiben, die der Forschung noch zugänglich waren. "Im späten 19. Jahrhundert scheint sich der Aufbewahrungsort des Buches mehrfach geändert zu haben. Bis vor Kurzem galt es als verschollen", berichtet Vinnen. Zahlreiche Forschende hätten in den vergangenen Jahrzehnten versucht, den Kodex in sämtlichen Archiven, die als Aufbewahrungsort in Frage kamen, zu finden.
Mit geübtem Blick
Aufgetaucht ist das historische Zeitzeugnis nun im Rahmen eines Projekts, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. So ist am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die Online-Datenbank "Index Librorum Civitatum" entstanden, die es Forschenden ermöglicht, Stadtbücher aus ganz Deutschland, die in verschiedenen Archiven aufbewahrt werden, an einem zentralen Punkt online zu finden.
Unterstützung erhielt Anette Vinnen bei der Umsetzung des Projektes in Gelnhausen von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Hanna Nüllen, die an mehreren Tagen die vor Ort aufbewahrten Gelnhäuser Stadtbücher nach wissenschaftlichen Kriterien aufnahm und online stellte. Nachdem in einem intensiven Arbeitsprozess bereits alle vorhandenen Stadtbuchbestände und Prozessakten des 17. und 18. Jahrhunderts aufgenommen worden waren, legte Stadtarchivarin Anette Vinnen Hanna Nüllen einen kleinen Stoß möglicherweise noch zum Thema gehörende Archivalien auf den Tisch.
Dem geübten Blick der auf das Mittelalter spezialisierten Historikerin Nüllen entging nicht, dass sich in dem Konvolut eine eindeutig mittelalterliche Handschrift befand. Ein Vermerk in einer jüngeren Kurrentschrift auf dem pergamentenen Einband des Buches identifizierte dieses eindeutig als "Gerichtsbuch der Stadt Gelnhausen 1465–1471". Eine schnelle Prüfung ergab, dass der Titel in der Tat mit dem Inhalt des Bandes übereinstimmte und es sich wirklich um das seit über hundert Jahren verschollene Zeugnis des Gelnhäuser Schöffengerichts aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts handelte.
"Wir
können von Glück reden, dass gerade die Historikerin Hanna Nüllen, die
als ausgewiesene Expertin der spätmittelalterlichen Anlage und Nutzung
von Büchern in städtischen Verwaltungsvorgängen gilt, zu uns ins
Stadtarchiv kam", so Vinnen.
"Das Buch ist für die Aufarbeitung unserer Stadtgeschichte und als wertvolles Zeugnis des Gerichtswesens im 15. Jahrhundert von großer Bedeutung", freut sich auch Bürgermeister Daniel Christian Glöckner über den Fund. (pm)
