Ein Urlologe plaudert schamlos

Hodenkrebs-Interview: Wie es mit der Überlebenschance & dem Sex aussieht

Umgangssprachlich werden die Hoden des Mannes oft auch Eier genannt. Egal wie Ihr sie nennt: Checkt Eure Hoden und geht regelmäßig zum Urologen! - Symbolbilder: Pixabay


Dienstag, 16.08.2022
von ADRIAN BÖHM

HESSEN - In den vergangenen Wochen haben mehrere Bundesligaprofis ihre Hodenkrebsdiagnose mit der Öffentlichkeit geteilt. Die wichtige Botschaft: Es trifft vor allem junge Männer und man kann den Hodenkrebs früh erkennen und gut behandeln. Timo Baumgartl von Union Berlin erkrankte im Mai und erzählte dem Magazin "11 Freunde". "Liebe Männer: Tastet euch regelmäßig ab! Geht zur Vorsorge!"

Sébastien Haller, Neuzugang beim BVB, sollte dem Dortmunder Sturm einen neuen Impuls nach dem Weggang von Erling Haaland geben. Auch er musste das Trainingslager wegen eines Tumors im Hoden abbrechen. Im Verlauf stellte sich heraus: Der Tumor ist bösartig. Diagnose: Hodenkrebs.

O|N hat mit dem Fuldaer Urologen Prof. Dr. med. Tilman Kälble vom Klinikum Fulda gesprochen. Kälble ist der langjährige Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie in Fulda und war von 2016 bis 2017 der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie.

O|N: Mit Sébastien Haller hat ein junger Mensch Krebs, kommt so etwas häufig vor?

Prof. Kölble: "Nach Daten des RKI erkranken in Deutschland jährlich rund 4.000 junge Männer an Hodenkrebs. Damit macht der Hodenkrebs 1,6 Prozent der Krebsneuerkrankungen aus. Auf alle Menschen gerechnet, ist er ein seltener Tumor. Für die jungen Männer aber stellt er die häufigste Krebsart dar. Bei jungen Männern zwischen 20 und 35 Jahren ist der Hodenkrebs der häufigste bösartige Tumor." 

Nach Daten des RKI erkranken in Deutschland jährlich rund 4.000 junge Männer an Hodenkrebs.

Nach Daten des RKI erkranken in Deutschland jährlich rund 4.000 junge Männer an Hodenkrebs.

Es sind viele Sportler betroffen. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Leistungssport und Hodenkrebs?

"Wir sehen keine Korrelation zwischen Sport und dem Hodenkrebs. Eher scheint es eine zufällige Häufung zu sein. Zudem sind Fußballer in dem Alter, in dem der Hodenkrebs am häufigsten auftritt. Ein Risikofaktor ist der Leistenhoden. Durch einfaches "Runteroperieren" in den Hodensack kann man den Leistenhoden zwar zügig und gut behandeln, so dass man ihn wieder gut im Hodensack tasten kann. Wahrscheinlich bleibt das Karzinomrisiko aber dennoch erhöht." 

Kann man Vorsorge betreiben?

"Als es noch die Wehrpflicht gab, musste jeder Mann in Deutschland zur Musterung. Dabei hat man viele Hodentumore entdeckt. Mein wichtigster Tipp: ein bis zweimal pro Jahr sollte man den Hoden abtasten. Am besten geht das, wenn der Hodensack entspannt ist. Zum Beispiel unter der warmen Dusche oder im Bett. Spürt man eine Verhärtung oder einen sich vorwölbenden Knoten, ist, das ein Warnzeichen und man sollte sofort zum Arzt. Hodenkrebs tut fast nie weh! Nur, wenn es durch den Tumor zu einer Blutung kommt." Beim Arzt bestätigt eine Untersuchung mittels Tasten und Ultraschall meistens die Diagnose.

Wie sieht die Behandlung aus, wenn man an Hodenkrebs erkrankt ist?

"Zunächst muss man sagen, dass es verschiedene Tumorarten gibt. Keimzelltumore entwickeln sich aus den Ur-Samenzellen. Bei den Keimzelltumoren gibt es die (etwas häufigeren) Seminome und die (etwas selteneren) Nicht-Seminome. Neben den Keimzelltumoren können sich Hodentumore auch aus dem Stützgewebe bilden.

Man führt eine Blutabnahme durch, um typische Tumormarker zu bestimmen. Dann wird der Hoden schnellstmöglich von der Leiste aus frei gelegt und entfernt. Man muss über die Leiste operieren, um keine oberflächlichen Lymphbahnen zu eröffnen und damit neue Metastasierungswege zu schaffen. Die zügige OP ist wichtig, denn die Metastasengefahr beim Hodenkrebs ist hoch.

Prof. Dr. med. Tilman Kälble   - Archivfotos: O|N/Hendrik Urbin

Prof. Dr. med. Tilman Kälble - Archivfotos: O|N/Hendrik Urbin

Man führt bei jedem Betroffenen ein CT-Staging durch. Dabei wird im Schichtröntgen nach Metastasen, also Tochtergeschwülsten gesucht. Je nach Ausbreitung des Tumors entscheidet sich die weitere Therapie.

Beim Seminom ohne Metastasen, das noch sehr klein ist, wird der betroffene Hoden entfernt und man führt engmaschige Kontrollen per Ultraschall und CT durch. Ist das Seminom groß, wird im Anschluss eine Einmalgabe eines Chemotherapeutikums (Carboplatin) gegeben oder bestrahlt, sofern keine Metastasen vorhanden sind. Sind die Lymphbahnen befallen oder stellt man Organmetastasen fest, so muss man eine Chemotherapie mit mehreren Substanzen über mehrere Zyklen durchführen.

Beim kleinen Nicht Seminom wird auch operiert und aktive Nachsorge betrieben. Hat der Tumor schon Kontakt zu Gefäß- oder Lymphbahnen, so muss selbst ohne Metastasierung einmalig eine aggressivere Chemotherapie aus 3 Substanzen eingeleitet werden. Bei Metastasen sind 3-4 Zyklen notwendig.

Wenn beide Hoden befallen sind, was bei 5 Prozent der Erkrankten der Fall ist, kann man unter gewissen Umständen hodenerhaltend operieren und im Anschluss eine Bestrahlung einleiten. Der Hoden kann dann noch Testosteron produzieren. Die Strahlen machen die Spermien jedoch kaputt."

Wie sind die Überlebenschancen?

"Auch wenn der Hodenkrebs gestreut hat, ist er heilbar. Noch als ich Student war, sind viele Patienten gestorben. Heutzutage muss durch die Kombination aus Operation, ggf. Strahlentherapie und ausgereifter Chemotherapie fast kein junger Mann mehr sterben. Um dieses Ziel zu erhalten, bzw. die Prognose der Männer permanent weiter zu verbessern, wurden deutschlandweit Zweitmeinungszentren eingerichtet, die bei der optimalen Therapieplanung unter Berücksichtigung der neuesten Wissenschaft Hilfestellung geben. Dies ist notwendig, da in Studien kontinuierlich versucht wird, bei gleicher oder noch verbesserter Heilungschance Zeugungsfähigkeit, Ejakulationsfähigkeit und damit die Lebensqualität der meist jungen Männer zu erhalten. Ein berühmtes Beispiel ist der Radsportler Lance Armstrong. Er hat sogar mit Hirn- und Lungenmetastasen in beiden Lungenflügeln überlebt. Ein Seminom im Stadium I hat eine Heilungschance von 99 Prozent und unabhängig vom Stadium von noch 90 Prozent. Die Therapie muss zügig und entschlossen geschehen. Je früher man den Hodenkrebs entdeckt, desto besser ist Prognose. Daher betone ich nochmals den hohen Stellenwert des selbst Abtastens. Bei Unsicherheit gilt: Lieber einmal zu viel zum Urologen." 

O|N-Redakteur Adrian Böhm

O|N-Redakteur Adrian Böhm

Was ist mit Potenz und Kinderwunsch?

"Über die Potenz müssen sich die Betroffenen keine Sorgen machen. Man hat nach der Therapie noch ein normales Sexualleben. Vor der Chemotherapie müssen Spermien eingefroren werden, da die Chemo die Spermien schädigen kann. Das Ejakulat wird nochmals untersucht und kann dann zur Familienplanung zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt werden. Das zahlt die Kasse." 

Würden Sie nach einer Operation einen Kunsthoden empfehlen?

"Bei keinem Mann ist der Hodensack symmetrisch. Man kann einen Kunsthoden aus Silikon einsetzen. Ich rate den Patienten davon jedoch eher ab. Man sieht kaum, wenn ein Hoden fehlt, wohingegen ein Kunsthoden eine Standardform hat und oft schief und unnatürlich im Hodensack liegt. Dennoch kann auf Wunsch eine Hodenprothese eingesetzt werden." 

Zum Abschluss appelliert Prof. Kälble nochmals: "Beim ersten Verdacht, zum Beispiel ein Knoten, eine Verhärtung oder eine Größendifferenz sollten Sie umgehend zum Arzt gehen. Hodenkrebs tut nicht weh." 

Dieser Artikel ist zuerst bei OSTHESSEN|NEWS erschienen

Neues Beliebtes
    Kontakt
    Kinzig.News Redaktion:
    Telefon:06051 88770 230
    E-Mail: [email protected]
    Kinzig.News Vertrieb:
    Telefon:06051 88770 180
    E-Mail: [email protected]
    Kinzig.Termine