Neujahrsempfang des Bistums Fulda: Relevanz der Kirche in unserer Gesellschaft

Montag, 09.01.2023
FULDA / MKK - Welche Relevanz hat die Kirche in der heutigen Welt und wie kann sie in die Gesellschaft ausstrahlen und wirken? Diesen Fragen ging Bischof Dr. Michael Gerber während des Neujahrsempfangs des Bistums Fulda gemeinsam mit Gästen aus Politik, Gesellschaft und Kirche nach. Gerber rief dazu auf, sich mit Engagement und Offenheit aktiv in die Gesellschaft einzubringen und sich dabei nicht entmutigen zu lassen. Den bildlichen Startschuss gab zuvor während einer Vesper Generalvikar Prälat Christof Steinert: „Möge das neue Jahr zum Nutzen sein für Gesundheit, Menschlichkeit und Frieden.“
Neuer Ort, neues Datum, neues Format – unter diesem Motto hatten Bischof Dr. Michael Gerber und Generalvikar Prälat Christof Steinert zum Neujahrsempfang des Bistums Fulda eingeladen. Nach einer Vesper in der Pfarrkirche St. Andreas in Fulda-Neuenberg fand dieser am Sonntag als Stehempfang mit kurzen inhaltlichen Impulsen im benachbarten Bonifatiushaus statt. Dort begrüßten Generalvikar Steinert und der Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Fulda und Hausherr im Bonifatiushaus, Gunter Geiger, die Gäste aus Kirche, Politik und Gesellschaft.
Zukunft des Globus
Europäische Friedensordnung, Energiesicherheit, globale Wertschöpfungsketten und nicht zuletzt das Klima: Diese und viele weitere bisher selbstverständliche Grundlagen des Lebens in Mittel- und Westeuropa werden durch die aktuellen Ereignisse infrage gestellt und bedroht, betonte Bischof Dr. Michael Gerber: „Auf dem Spiel steht die Zukunft unseres Globus.“
Auf die komplexen Probleme und Herausforderungen unserer Zeit gebe es keine einfachen Antworten mehr, so Gerber. Es brauche Menschen, die bereit und fähig sind, Komplexität und Unsicherheit auszuhalten, die sich selbst engagieren und das Engagement anderer würdigen und die zudem bereit sind, aus Fehlern zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Halt im Letzten
Auch die Kirche und die in ihr Engagierten müssten sich angesichts hausgemachter Krisen und schwindender Ressourcen den Herausforderungen der Zeit stellen, so Gerber: Nicht die Frage, was aus dieser oder jener Pfarrei, dem Bildungshaus oder der Fakultät wird, nicht was wir festhalten wollen sei entscheidend. Sondern: „Wer hält uns?“, so Gerber: „Wer sich im Letzten als zutiefst gehalten weiß, wer sich im Letzten als zutiefst angenommen weiß, der oder die kann gelassen sein im Vorletzten.“
Genau solch eine Gelassenheit – nicht im Sinne von Gleichgültigkeit, sondern eine ins Engagement führende, an Lösungen interessierte Haltung – brauche es als Antwort auf die zuvor skizzierten Herausforderungen und Krisen in der Kirche und in der Welt, betonte Gerber: „Eine Haltung engagierter Gelassenheit“.
Wachstum und Reife
Dazu gehöre es auch, sich von Gewohntem und Liebgewonnenem verabschieden, Abbrüche und Umbrüche als Chancen zu Wachstum und Reife verstehen zu können. Schon die Jünger Jesu mussten in seiner Nachfolge vieles Loslassen, aktuell geben manche Geflüchtete aus der Ukraine ein Beispiel dafür, wie sie einen tiefen Halt im Letzten und damit in Gott selbst finden, so Gerber.
„Es ist meine Sehnsucht als Bischof von Fulda, dass wir als Bistum – als einzelne Gläubige und als Gemeinden – in eine solche Mentalität hineinfinden“, betonte er. „Eine Mentalität, die den Schmerz des Abschiedes und des Verlustes beim Namen nennt und nicht schönredet. Eine Mentalität, die jenseits einer Haltung des `Egal` Liebgewonnenes loslassen kann und so eine innere Freiheit gewinnt.“
Ausstrahlung in die Gesellschaft
Mit einer solch
engagierten Gelassenheit in der Nachfolge Jesu könne die Kirche auch
eine Ausstrahlung in die Gesellschaft haben, betonte Gerber: Gehalten im
Letzten „sich ganz in ein Problem hineinzuvertiefen, differenziert
wahrzunehmen, worum es geht, um dann ernsthaft die Bereitschaft zu
haben, lange Wege zu gehen, um engagiert an den Lösungen zu arbeiten.“
Dieses
Letzte, das für Christen Gott selbst ist, zeige sich oft im ganz
Konkreten, betonte Gerber: „In Beziehungen, in Freundschaften, in
Partnerschaften, in denen ich Verlässlichkeit und unbedingtes
Angenommensein erfahre.“ So könnten auch Menschen, die nicht an Gott
glauben, dennoch dieses Gehaltensein im Letzten erfahren, weil es eben
vermittelt sei in dieser Konkretheit.
Gemeinsamer Einsatz
Bischof
Gerber rief daher zum Dialog auf zwischen engagiert Glaubenden und den
Engagierten in der Gesellschaft, die unseren Glauben nicht teilen. Zum
gemeinsamen Einsatz für Werte, welche die Aggressoren und Potentaten
dieser Welt aktuell so massiv bedrohen: Freiheit, gleiche Rechte und die
unbedingte Würde der menschlichen Person, so der Bischof: „Dies sind
keine Produkte westlicher Kultur, sondern unveräußerliche Werte.“
Sie
zu achten und zu schützen bedürfe auch einer kritischen
Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. „In Deutschland und in
Europa haben wir die Erfahrung, dass die Aufarbeitung und das Stehen zu
den dunklen Seiten der eigenen Geschichte zur wesentlichen
Voraussetzung für ein friedliches Miteinander wurden“, unterstrich
Gerber. „Weiter im Osten gab es diese Aufarbeitung nicht.“
Vision für die Kirche
Auch
aus dieser Erfahrung heraus schaue die moderne westliche Gesellschaft –
zurecht –, so Gerber, kritisch auf die Art und Weise, wie die Kirche
ihre eigene Geschichte, insbesondere den Umgang der Verantwortlichen mit
Fällen und Betroffenen sexualisierter Gewalt, aufarbeite.
Die
Kirche müsse zu ihrer Geschichte stehen, zu den dunklen Seiten wie zu
den wertvollen und kostbaren Momenten, so der Bischof: „Das ist meine
Vision für unsere Kirche“, betonte er: „Dass wir neu durchstoßen zu dem,
der uns letzten Halt gibt und dass wir erkennen und wertschätzen, wer
links und rechts neben uns sich einsetzt in dieser Welt, mit engagierter
Gelassenheit.“
Vielfältige Impulse
Als
Gastrednerinnen und Gastredner gingen Sr. Birgit Bohn, Generaloberin des
Hauses der barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul in Fulda,
Sabine Kropf-Brandau als Pröpstin des Sprengels Hanau-Hersfeld und
Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und
der Landessynode, Michael Brand (CDU), Abgeordneter des
Bundestagswahlkreises 174 (Fulda und Vogelsberg) sowie Mitglied des
Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe sowie Oliver
Naumann, Präsident der IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern und Verleger der
Gelnhäuser Neuen Zeitung (GNZ) aus ihrer je eigenen Perspektive auf die
Frage nach der Relevanz der Kirche ein.
Zuvor spürte während
einer Vesper in der Pfarrkirche St. Andreas bereits Generalvikar
Steinert der Frage der gesellschaftlichen Relevanz der Kirche nach: „Auf
die Plätze, fertig, los“, begann er seine Predigt mit einem sportlichen
Motto. Am Festtag der Taufe des Herren erinnerte der Generalvikar dabei
an Jesu Taufe im Jordan, aber auch an unsere eigene Taufe: „Christen
taufen, nicht weil Jesus selbst getauft hätte, sondern weil er getauft
worden ist“, betonte Steinert.
Zeugnis geben
Im
Geiste Gottes könnten die Getauften „unterscheiden zwischen Wahrheit und
Meinungsmache, zwischen dem, was Menschen guttut und dem, was sie ins
Unheil rennen lässt“, so Steinert: „Als von Gott Geliebte können und
sollen Christinnen und Christen Zeugnis geben für Gottes Wirken in der
Welt, auch und gerade in kritischen Zeiten.“
Dabei komme es,
so der Generalvikar, auch darauf an, festgefahrene Strukturen und
Meinungen aufzubrechen und radikal die Ziele des Lebens, statt der
Mittel des Alltags in den Blick zu nehmen: „Wir werden manches loslassen
und uns von einigem verabschieden müssen, um uns auf die essenziellen
Dinge der Organisation und des Miteinanders konzentrieren zu können.“
Lockere Runde
Die
Fragen und Impulse rund um die Relevanz der Kirche wurden anschließend
in lockerer Runde bei vielen Gesprächen und einem Imbiss vertieft. Für
die musikalische Begleitung des Empfangs sorgten Meggie Klüber, Martin
Matl und Christopher Löbens vom Trio „Three4U“. Die musikalische
Gestaltung der Vesper übernahmen zuvor Domkapellmeister Franz-Peter
Huber mit einer Schola aus Sängerinnen und Sängern der Chöre am Dom
sowie Domorganist Prof. Hans-Jürgen Kaiser an der Orgel.
In den kommenden Tagen veröffentlicht das Bistum Fulda einen ausführlichen Rückblick mit Bildergalerie und Videos zum Neujahrsempfang auf seiner Homepage: www.bistum-fulda.de (red)