K.N-Reporter in Kyiv & Lemberg (Teil 3)

Bilder der Zerstörung, Soldatengräber & eine Katze der Hoffnung

Essen liegt auf einigen Soldatengräbern im ukrainischen Lemberg - Fotos: privat


Freitag, 24.02.2023

KYIV / MKK - Wie ist das Leben aktuell in der ukrainischen Hauptstadt Kyiv*? Wie kommt man dort hin, da der Luftraum gesperrt ist? Und was sind die Gedanken der Menschen? Ein KINZIG.NEWS-Reporter wollte es genauer wissen - und machte sich auf die Reise. Tobias Bayer besuchte das Land zum Jahreswechsel und hat Tagebuch geführt. Exklusive Einblicke in eine neuntägige Reise, die intensiver kaum hätte sein können. Heute: Teil 3.

Mittwoch, 04. Januar 2023 - Die Zerstörung in Kyiv

Der letzte Tag in Kyiv. Was wäre er ohne Luftalarm? Halb elf, Ortszeit: Ein Telegram-Chat meldet mir den Luftalarm in der Hauptstadt. Start russischer Kampfjets und Abfangjäger in Weißrussland. Bis um elf muss ich aus dem Hotelzimmer sein. Also schnell die restlichen Sachen gepackt. Keine fünf Minuten später bin ich im Foyer des Hotels, gehe in meinen schon so vertrauten Luftschutzraum, warte und führe Telefonate für KINZIG.NEWS. Irgendwie ist es schon normal geworden. Mein Kollege ist fast mehr besorgt als ich, als ich ihm erzähle, dass ich gerade Mobile Office aus dem Luftschutzraum mache.

Ich laufe durch die Stadt, schaue mir bombardierte und zerstörte Gebäude an. Vieles wird schnell wieder aufgebaut. Ich stehe vor einem beschädigten Haus, die Bauarbeiten sind in vollem Gange. Eine junge Frau aus Kyiv erzählt mir: "In der Wohnung ganz oben in dem Haus hat eine Familie gelebt. Ukrainischer Mann, russische Frau, Kinder. Vor einigen Monaten wurde die Wohnung durch einen russischen Raketen-Angriff zerstört. Der Mann starb. Ob die russische Frau darüber wohl glücklich ist?" Schweigen.

Am Abend ab zum Hauptbahnhof in Kyiv. Start der Rückreise. Nachtzug nach Lemberg, eine Stadt ganz im Westen der Ukraine. Liegewagen, Schlafplatz im Vierer-Abteil (ca. 17 Euro). Ein junges Pärchen hat eine kleine, weiße Katze dabei. "Stefania" heiße sie. Sie hätten sie nach dem gleichnamigen Song der Ukraine beim Eurovision Song Contest benannt. Der Song, mit dem die Ukraine gewann. Stefania soll eine Katze der Hoffnung sein. Die Fahrt ist holpriger als in Deutschland, ein bisschen Schaukeln wie im Kinderwagen. Die Zeit vergeht schnell, ich bin müde, schlafe rasch. Am Morgen Zähneputzen im Bett. Die wenigen Toiletten sind dauernd besetzt. Gut siebeneinhalb Stunden später Ankunft in Lemberg. Vermeintlich sicherer als Kyiv. Doch auch hier sind Menschen durch russische Angriffe gestorben. Bloß nicht unachtsam werden.

Ein zerstörtes Gebäude in Kyiv
Ein zerstörtes Gebäude in Kyiv
Einige zerstörte Gebäude werden in Kyiv schon wieder aufgebaut
Einige zerstörte Gebäude werden in Kyiv schon wieder aufgebaut

Donnerstag, 05. Januar 2023 - Soldatengräber, Kuchen & Generatoren in Lemberg

Ankunft früh am Morgen, nach der Fahrt mit dem Nachtzug. Die Straßen sind dunkel. Viele Lichter sind aus. Es wird Strom gespart. Frühstück bei McDonalds in der Innenstadt. Plötzlich gehen ALLE Lichter aus, auch im Restaurant. Strom komplett ausgefallen oder abgestellt, um Energienetze zu entlasten. Viele Geschäfte schalten Generatoren an. Es wird laut auf der Straße, man hört kaum sein eigenes Wort. Die Luft in der Stadt wird schlechter. Da wird einem erst so richtig der Sinn von Elektrofahrzeugen in der Innenstadt bewusst. 

Besuch des Lytschakiwski-Friedhofs in Lemberg. Zahlreiche im Krieg gefallene Soldaten liegen hier begraben. Viele junge Männer, Anfang ihrer 20er, das ganze Leben hätten sie noch vor sich gehabt. Sie sind gestorben für unsere westlichen Werte, unsere Freiheit. Sie haben nicht nur die Ukraine verteidigt, sondern ganz Europa. Auf einigen Gräbern liegen Snacks. Bananen, Kuchen, Schoko-Eier, Cola. Ein ukrainischer Brauch. Besucher können sich etwas davon nehmen, den Toten gedenken.

Freitag & Samstag: Heimreise & Innehalten

Am Donnerstagabend Zug-Fahrt ins polnische Przemyśl (ca. 13 Euro, 1. Klasse, 2. ausgebucht). Grenzbeamte kontrollieren vor allem Männer im kriegsfähigen Alter: Haben sie einen ukrainischen Pass, dürfen sie das Land in der Regel nicht verlassen. Bei mir läuft alles entspannt. Deutschem Pass sei Dank. Ich bin wieder in der EU - sicher, gesund und müde. 

Mit dem Bus geht es am späten Donnerstagabend vom Grenzbahnhof Przemyśl weiter in die polnische Hauptstadt Warschau, knapp acht Stunden lang dauert die Fahrt. Von dort aus weiter mit der polnischen Eisenbahn nach Berlin (sechs Stunden) und schließlich vom Berliner Hauptbahnhof aus nach Hanau (knapp vier Stunden). Endlich wieder im MKK - nach 27 Stunden reiner Fahrzeit. Für mich geht es in den kommenden Wochen um die anstehende Landratswahl, um Spesenabrechnungen, entspannte Fernsehabende und unbesorgte Nächte, in denen ich durchschlafen kann. Auf eine gute Weise unaufgeregt. 

Für die Menschen in Kyiv sieht die Gefühlslage deutlich komplexer aus. Der Krieg in der Ukraine tobt, das Leben in Kyiv läuft weiter. Vielleicht intensiver denn je. Die Frontlinie ist zwar weit weg, doch die ständig wiederkehrenden Angriffe mit Raketen, Drohnen und Co. halten auch die Gefahr in der Hauptstadt aufrecht. Wie gut, dass die Ukrainer tapfer sind. Oder wie es eine aktuelle Kampagne des Landes so treffend formuliert: "Ukraine. Home of the brave." (tby)

*Warum Kyiv und nicht Kiew? Wir haben uns bewusst für die englische Schreibweise der Hauptstadt der Ukraine entschieden. Grund: Das hierzulande so geläufige deutsche „Kiew“ ist eine Übersetzung des russischen Namens der Stadt, das englische „Kyiv“ entspricht einer Übersetzung aus dem Ukrainischen.


TEIL 1: Silvester in Kyiv? Silvester in Kyiv!
TEIL 2: Silvester im Luftschutzraum: Raketenangriff & Prosecco

Stromausfall in Lwiw - Das McDonalds war auf einmal dunkel
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Generatoren prägen das Straßenbild, wenn der Strom ausfällt
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Zahlreiche gefallene Soldaten liegen auf dem Friedhof in Lwiw begraben
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Essen auf Gräbern - ein ukrainischer Brauch
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Altes Auto in der ukrainischen Stadt Lwiw
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Fenster werden mit Sandsäcken vor Explosionen geschützt
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Eine intensive Reise liegt hinter dem K.N-Reporter, hier am Maidan in Kyiv
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