Streiten sich zwei Linke, freut sich der Konservative

Analyse: Warum Faesers Kandidatur ein Geschenk für die Hessen-CDU ist

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU, links) mit seiner Herausforderin, der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) - Foto: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen


Freitag, 03.02.2023
von TOBIAS BAYER

HESSEN - Oho, welch Überraschung. Nancy Faeser will Spitzenkandidatin der Hessen-SPD für die anstehende Landtagswahl im kommenden Herbst werden. Die Kandidatur muss offiziell noch das Gremium der Hessen-SPD beschließen, doch das gilt als sicher. Heißt: Unsere Bundesinnenministerin will Hessens CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein beerben und erste Landesmutter in der Geschichte unseres schönen Bundeslandes werden. Problem nur: Die Hessen-SPD könnte sich verzockt haben, Faeser wird große Schwierigkeiten haben Hessens neue Ministerpräsidentin zu werden. Ein Erklärungsversuch in sieben Punkten.

1. Der Wähler straft Zögerlichkeit.

Die SPD hat mit Abstand als letzte Partei in Hessen ihre Spitzen-Kandidatin für die kommende Landtagswahl am 8. Oktober 2023 bekanntgegeben – weit nach CDU und Grünen. Diese Zögerlichkeit widerspricht dem Wunsch der Bürger nach Klarheit.

2. In der Krise wollen die Menschen Konstanz.

Corona, Krieg in der Ukraine, Inflation, Energie-Beschaffungs-Probleme, Klimawandel, Digitalisierung, … - die Liste der Probleme und Herausforderungen in den vergangenen und anstehenden Monaten war, ist und wird lang sein. In der Zeit der Krise geht der Blick in der Bevölkerung mehr auf das Wesentliche, das Notwendige. Unnötige Risiken werden eher gescheut, in der Bevölkerung herrscht tendenziell Adenauer-Stimmung („Keine Experimente“). Die Erfahrung der Bundesrepublik zeigt, dass in schwierigen Zeiten die Amtsinhaber einen Bonus haben. Die Hessen-SPD konnte freilich nicht ohne Wahl ändern, dass sie nicht den Hessen-MP stellt, doch zumindest ein Spitzen-Kandidat oder eine Spitzen-Kandidatin, die in den vergangenen Monaten nah an Hessen und in der hessischen Landtagspolitik beteiligt gewesen ist, wäre möglich gewesen. Politiker im Bund - und Regierungsmitglieder erst recht - sind für die Bürger (gefühlt) immer besonders weit weg von den Kommunen und den Problemen vor Ort. Ob es nun faktisch zutrifft oder nicht.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) - Foto: Archiv / Carina Jirsch

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) - Foto: Archiv / Carina Jirsch

3. Streiten sich zwei Linke, freut sich der Konservative.

Nimmt man realistischerweise an, dass AfD, Linke und FDP bei der Hessen-Wahl keine realistische Chance haben, einen Ministerpräsidenten bzw. eine Ministerpräsidentin zu stellen, bleiben drei Parteien: SPD, Grüne, CDU. Zwar koalieren CDU und Grüne seit Jahren überraschend geräuschlos und erfolgreich zusammen, doch es gilt weiterhin: SPD und Grüne stehen links der Mitte, die CDU rechts der Mitte. Heißt vereinfacht gesprochen: SPD und Grüne teilen sich die Wähler aus einem Lager gemeinsam mit den Linken auf, die CDU hat eher Überschneidungen bei den Wählergruppen mit FDP und AfD. Stimmen tatsächlich aufgrund der bekannten SPD-Spitzenkandidatin einige unentschlossene Wähler für die Sozialdemokraten, geht die Stimme wahrscheinlicher den Grünen verloren als der CDU. Während sich Faeser und Al-Wazir um die gleiche Wählerklientel streiten, muss Rhein „nur“ zusehen, dass er bürgerliche Wähler mobilisiert und mit einer glaubhaften konservativen Politik enttäuschte (Ex-)CDU-Wähler (wieder)gewinnt und von der AfD fernhält. 

4. Der Bund-Land-Konflikt.

Faeser hat angekündigt weiter Bundesinnenministerin bleiben zu wollen. Sowohl das Amt der Bundesinnenministerin als auch der Wahlkampf als Spitzenkandidatin einer Landtagswahl sind absolute Vollzeit-Jobs. Widmet sich Faeser also dem Hessen-Wahlkampf, bleiben wichtige innenpolitische Themen auf der Strecke. Füllt sie das Amt der Innenministerin auf Bundesebene bestmöglich aus, vernachlässigt sie zwangsläufig Hessen, die hessische SPD und alle Hessinnen und Hessen. Im Wahlkampf ein gefundenes Fressen für die anderen Parteien.

5. Das Spiel mit der Niederlage.

Wenn Faeser am Ende neue Ministerpräsidentin werden sollte, hat sie auf die richtige Karte gesetzt. Dann braucht sie ihr Amt als Innenministerin nicht mehr. Doch es ist ein riskantes Spiel. Was ist, wenn sie nicht Ministerpräsidentin wird? Dann will sie – Stand jetzt – weiterhin Bundesinnenministerin bleiben. Kaum ein Ministerium in einer Regierung ist so mit symbolischer Stärke verbunden wie das Innenministerium. Faeser, die als Mensch sehr beliebt und angenehm im Umgang ist, gilt ohnehin schon nicht als „Haudrauf“ wie Ex-SPD-Bundesinnenminister Otto Schily, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) oder NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Eine Landtagswahlkampf in einem Land zu verlieren, welches für spannende Wahlen bekannt ist, ist keine Schande. Dennoch hinterlässt eine solche Niederlage Spuren. Ein gefundenes Fressen für Kritik von Seiten der Bundes-CDU und der Ampel-Koalitionspartner FDP und Grüne. Ein Rücktritt als Bundesinnenministerin für Faeser am Ende kaum zu vermeiden.

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) - Foto: Archiv / Hendrik Urbin

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) - Foto: Archiv / Hendrik Urbin

6. Das Migrations-Dilemma.

Kaum ein Thema ist so heiß wie das Migrations-Thema. Es ist emotional aufgeladen, fast jeder Bürger hat eine Meinung dazu und komplex ist es noch dazu. Als Bundesinnenministerin muss man sich zwangsläufig intensiv mit dem Thema Migration auseinandersetzen und Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen hinterlassen aufgrund ihrer Komplexität und Emotionalität so gut wie immer verbrannte Erde – auf der einen oder anderen Seite. Als Sozialdemokrat ist das besonders heikel, die eigene Wählerschaft ist sensibler und zwiegespaltener in Fragen der Migration als die der konservativen CDU. Zudem trauen weite Teile der Bevölkerung der Union viel eher zu Themen der inneren Sicherheit im Allgemeinen zu besetzen als der SPD. Und dann ist CDU-Kandidat Boris Rhein auch noch als Ex-Innenminister Hessens im Thema, muss zugleich aber aktuell nicht so viele (unangenehme) Entscheidungen im Bereich der inneren Sicherheit treffen wie Faeser als amtierende Bundesinnenministerin.

7. Neutralitäts-Bonus.

Während Nancy Faeser als Kämpferin einer linken sozialdemokratischen Politik bekannt ist (Lieblings-Parole: „Kampf gegen rechts“), ist Boris Rhein in den vergangenen Jahren vom einstigen CDU-Hardliner eher zu einem gemäßigten Konservativen geworden. Einer der lieber zweimal zu wenig auffällt als einmal schlecht. Hohe Anerkennung hat ihm parteiübergreifend das Amt des Landtagspräsidenten gebracht. Ein Amt, in dem man über den politischen Strömungen schwebt, sich nicht so leicht auf parteipolitische Grabenkämpfe einlässt. Sogar von der mittlerweile Bundes-Vorsitzenden der Linken, Janine Wissler, wird Boris Rhein wertgeschätzt. Auch als Ministerpräsident tritt Rhein vorsichtiger und mit weniger konservativem Profil auf als manche seiner Parteikollegen in anderen Bundesländern. Nancy Faeser dagegen hat mit ihren letzten beiden Aufgaben - als Oppositionsführerin im Hessischen Landtag und nun Bundesinnenministerin - zwangsläufig Ämter gehabt, in welchen sie „rebellischer“ und meinungsstärker aufgetreten ist und auch auftreten musste. Das bindet überzeugte Linke, aber verschreckt unentschlossene Wähler. Rhein dagegen kann mit seinem (mindestens in der Wahrnehmung) weniger tiefen Profil leichter Stimmen bei unentschlossenen Wählern fangen. Ein Sozialdemokrat wählt eher Rhein, als ein Konservativer Faeser. 

Fazit: 

Faeser als Spitzenkandidatin in das Rennen zu schicken hilft weder der SPD, noch Nancy Faeser selbst. Der eigentliche Profiteur ist Boris Rhein mit seiner Hessen-CDU. Am Ende könnte ihm das Faeser-Dilemma trotz seiner fehlenden Bekanntheit weiterhin den Posten des Hessischen Ministerpräsidenten sichern. Dafür braucht er nicht mal sonderlich viele Themen besetzen. Er kann es machen wie einst Olaf Scholz. Der SPD-Hanseat wurde nicht Kanzler, weil er im Bundestags-Wahlkampf 2021 so brilliert hat. Scholz wurde Kanzler, weil CDU und Grüne mit internen Machtkämpfen beschäftigt waren und die Spitzenkandidaten Laschet und Baerbock einen peinlichen (wie vermeidbaren Fehler) nach dem anderen gemacht haben. 

Dieser Artikel ist ein Gemeinschaftsprojekt von KINZIG.NEWS und OSTHESSEN|NEWS.

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