Festakt zum 100. Geburtstags des Schulleiters und Heimatforschers Alfred Kühnert
Montag, 21.10.2019
von Dietmar Kelkel
SINNTAL - Der Schulleiter und Heimatforscher Alfred Kühnert wäre am 1. Oktober 100 Jahre alt geworden. In einem kleinen Festakt würdigte die Schulgemeinde der „Alfred-Kühnert-Schule“ und die Festredner Dr. Georg-Wilhelm Hanna und Ernst Müller-Marschhausen den außergewöhnlichen Bergwinkler und Oberzeller Ehrenbürger.
In seinem Vortrag „Der Schulmann Alfred Kühnert“ sprach Müller-Marschhausen von einem historischen Glücksfall für die Schule und den Ort. 1946 habe es den pädagogischen Anfänger nach Krieg und Gefangenschaft durch Zufall aus seiner Heimat Thüringen nach Oberzell verschlagen. „Hier unterrichtete er sein ganzes Berufsleben. In der Dorfgemeinschaft schlug er Wurzeln. Hier führte er ein würdiges und bedeutungsvolles Leben und wurde zu einem richtigen Oberzeller“, betonte der Schulamtsdirektor a.D.
Der Schulmann
So chaotisch wie die Kriegs- und Nachkriegszeit, so zerrissen seien die Lebens- und Berufswege der Lehrer gewesen. „Er hatte keinen einzigen Tag vor einer Schulklasse gestanden und musste dann als einziger Lehrer rund 200 Schüler unterrichten und dazu noch die Schule leiten.“
An einen halbwegs geordneten Unterricht sei in den Anfangsjahren noch nicht zu denken gewesen. Kühnerts Auftrag habe vielmehr gelautet, den Mangel zu verwalten und das Chaos zu bändigen. „Es mangelte an Büchern und Tinte, Griffel und Kreide, Holz und Briketts für den Schulofen“, berichtete Müller-Marschhausen.
Ein Weichersbacher Schreiner sollte neue Schulbänke liefern, habe aber keinen Leim gehabt, um sie zusammenzukleben. Darauf hin ließ sich Alfred Kühnert von jedem seiner Schüler ein Ei mitbringen. Die Eier tauschten der Bürgermeister und er auf dem Schwarzmarkt gegen Leim ein. „Die Bänke nannte man damals Eierbänke.“
Kühnert habe in den fast vier Jahrzehnten seines unterrichtlichen Wirkens eine hoch entwickelte Berufskompetenz erlangt. Die Kollegen seien ihm stets mit Respekt und Anerkennung begegnet.Er habe von Deutsch und Rechnen bis Musik, Werken und Turnen all diese Fächer unterrichtet und als gestandener Lehrer noch eine Zusatzprüfung im Fach Religion abgelegt. „Wir im Amt nannten ihn scherzhaft und stets mit Respekt einen pädagogischen Zehnkämpfer.“ Er habe seinen Schülern geholfen, sich im Strom der Geschichte zeitlich zu orientieren und ließ bei ihnen das Bewusstsein für geschichtliche Abläufe heranreifen. „Er war eine Autorität, nicht autoritär. In seinem Unterricht herrschte eine freundliche, zugewandte Lernatmosphäre. Er begegnete den Schülern mit Empathie und förderte das Klima gegenseitigen Respekts“, hob Müller-Marschhausen hervor. Obwohl ihm wiederholt höher dotierte Positionen angeboten wurden, sei Kühnert nicht daran interessiert gewesen, in ein größeres System zu wechseln. Er habe das mit den Worten begründet: „Ich will mein Bestes geben, um meinen Oberzeller Schülern ein guter Lehrer zu sein und die Anerkennung und Wertschätzung der Schulgemeinde zu erhalten.“
Der Kalendermann
Dr. Georg-Wilhelm Hanna würdigte den Heimatforscher, Schriftsteller, Sammler und Kalendermann Alfred Kühnert. Als Schriftleiter des Heimatkalenders „Bergwinkel-Bote“ habe er alte Bauern und Handwerker, Großmütter und Großväter befragt und ihr Leben und das ihrer Eltern und Großeltern erforscht. Dazu habe er gesagt: „Bei all dem erkennt man immer mehr, dass die Vergangenheit gar nicht vergangen ist, dass sie uns die Richtung zeigt, manchmal auch mahnt, wachrüttelt, ermutigt.“ Der bescheidene Volkskundler sei stets ein liberaler und sozialer Mensch gewesen, daher werde er von den Menschen im Bergwinkel so geschätzt, die aus ihrer Geschichte wissen, was Unfreiheit, Not, absolute Herrschaft bedeuteten. „Alfred Kühnert war ein Meister der Feder.
Er hat die Menschen beobachtet, ihre Eigenheiten festgehalten und die geschichtlichen Wurzeln der Einwohner des Landes der armen Hansen zu Papier gebracht. Seine geschichtlichen Stoffe präsentieren sich dem Leser aus der Perspektive kleiner Leute, die Geschichte nicht gestalteten, sondern Geschichte erlitten.“ Die Kalenderarbeit habe in ihm ein Gefühl des tiefen Dankes erweckt. „Die Wurzeln unserer Kraft liegen unverkennbar in Geschichte und Tradition, denn ohne fundierte Kenntnisse der Geschichte ist nicht auszukommen“, schrieb er, als er nach einem Vierteljahrhundert die Schriftleitung des Heimatkalenders in jüngere Hände gegeben hatte.
Ausstellung mit historischen Manuskripten
Den Festakt moderierte Ortsvorsteher Mike Richter. „Alfred Kühnert hat Oberzell immer die Treue gehalten. Dass er geblieben ist, war für unser Dorf ein großes Glück“, sagte der Ortsvorsteher. Eingebettet in die Würdigung zum 100. Geburtstag von Alfred Kühnert war eine Ausstellung mit historischen Fotos, Auszügen aus den originalen Manuskripten zur Schulchronik und Zeitungsausschnitten von oder über Alfred Kühnert.
Grußworte sprachen Altlandrat Karl Eyerkaufer, der Sinntaler Bürgermeister Carsten Ulrich und Brigitte Kühnert. Musikalisch umrahmten die 18 Grundschüler die Feier mit anspruchsvollen Liedern wie „Freude schöner Götterfunken“, „Sieh auf deinen Weg“ und dem Loblied auf die Kartoffel. +++