Die AfD ist Mist – aber demokratisch gewählter

Kommentar: Die Kritik an CDU-Chef Merz ist weltfremdes Wahlkalkül

Kommentar: Die Kritik an Merz ist weltfremdes Wahlkalkül - Foto: Hans-Hubertus Braune


Dienstag, 25.07.2023
von TOBIAS BAYER

BERLIN - Im ZDF-Sommerinterview erklärte CDU-Boss Friedrich Merz eine Zusammenarbeit mit der Rechtsaußen-Partei AfD auf kommunaler Ebene für möglich. Das war taktisch dumm, aber sehr ehrlich. Für die Aussage wurde er v.a. von SPD und Grünen, aber auch innerparteilich, stark angefeindet. Was Merz gesagt hat, mag vielen (auch mir) nicht passen, doch es ist Realpolitik. In der Politik muss man sich eben oft auf Dinge einlassen, die man gar nicht so gut findet: Kompromisse zum Erhalt der Regierungsfähigkeit halt. Parteiinterne Angriffe auf diese Aussage sind weltfremd und angesichts der in wenigen Monaten anstehenden Wahlen in Hessen und Bayern wohl auch Wahlkalkül. 

Es ist einfach auf die Worte von Friedrich Merz („Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man dann nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann“) einzudreschen. Gratismut nennt man sowas heute wohl. Wer diese Aussage kritisiert, der bekommt Beifall von allen Seiten und riskiert dafür rein gar nichts. Wirklich mutig und sinnig zugleich ist es doch, die Dinge versuchen voranzubringen, auch wenn das die eigene Person beschädigen könnte. Erst das Land, dann die Partei, dann die Person und so.

AfD ist rechtsextrem, aber demokratisch gewählt

Unbestreitbarer Fakt ist: Die AfD ist eine in Teilen rechtsextreme und in noch viel weiteren Teilen rechtspopulistische Partei, deren Werte und Vorstellungen jedem überzeugten Liberalen und Europäer zuwider sind. Deren in weiten Teilen vorhandene Nähe zu Antisemitismus, Russland-Freundlichkeit, Homophobie, Ausländer-Hass und Nörgel-Mentalität sind mir persönlich zutiefst zuwider.  

Doch die AfD und ihre Mandatsträger sind auch eines: Demokratisch gewählt. Ein durch demokratische Wahlen ins Amt gewählter Landrat oder Bürgermeister ist zu respektieren - solange er nicht nachweislich in Persona eine Gefahr für unsere liberale Demokratie darstellt. Die Entscheidung darüber sollten wir – wenn wir es mit der Gewaltenteilung ernst nehmen - unseren Gerichten überlassen. 

Nicht-per-se-gegen-jeden-Vorschlag-eines-Amtsträgers-sein

Selbstverständlich sind sämtliche Bestrebungen von Bürgermeistern und Landräten kritisch zu prüfen – bei Amtsträgern extremer Parteien erstrecht – doch heißt das nicht, dass gute Ideen zur Verbesserung der Infrastruktur der Kommune oder des Landkreises pauschal zu verurteilen sind, nur weil sie von einem AfD-Politiker kommen. Oder sollte ein neuer Kindergarten verhindert werden, nur weil ein AfD-Landrat sich für diesen ausgesprochen hat? Das wäre respektlos dem Wähler gegenüber und vermutlich mit Stillstand oder Rückschritt für die Kommune bzw. den Landkreis verbunden. 

Und nichts anderes als diesen Erhalt der Handlungsfähigkeit auf kommunaler Ebene hat Merz im ZDF-Sommerinterview ausgedrückt – kein Koalitionsvertrag-Go, kein Anbiedern ohne Not, einfach ein Nicht-per-se-gegen-jeden-Vorschlag-eines-Amtsträgers-sein.

Es ist der schmale Grat, den politisch mittig gelagerte Kräfte in freiheitlichen Demokratien begehen müssen: Einerseits den Feinden der liberalen Demokratie die Grenze aufzeigen, dort wo sie unserem Staat in seinen Grundfesten zersetzen zu versuchen, andererseits aber auch andere Meinungen und Vorstellungen bis zur rechtmäßigen und verfassungstreuen Unerträglichkeit aushalten. Sonst profitieren am Ende radikale Kräfte, weil die liberalen Parteien sich deren illiberalen und ausgrenzenden Handlungsmechanismen zu Nutze gemacht haben.

Glauben an mündige Bürger

Wir dürfen den Glauben an die Mündigkeit unserer Bürgerinnen und Bürger nicht verlieren, sonst sind wir und unsere demokratischen Prinzipien verloren. Wenn die Parteien der politischen Mitte (CDU, SPD, FDP, Grüne) den Bürgerinnen und Bürgern zuhören, sich mit den Problemen der Mehrheit realpolitisch befassen und dabei auch nicht vor unangenehmen, aber notwendigen Entscheidungen zurückweichen, dann lassen sich - bis auf einen kleinen Prozentsatz an wirklich rechtsextremen Wählern - auch wieder viele enttäuschte und sich allein gelassen fühlende Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen.

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