Qualifizierungskurs startet im Oktober

Hanau: Kindern in Not ein Zuhause geben - Pflegeeltern dringend gesucht

Einem Kind oder Jugendlichen in Not vorübergehend ein Zuhause, Halt und Zuflucht bieten – das ist die Aufgabe von Pflegeeltern, die Kinder auf Zeit oder auch dauerhaft bei sich aufnehmen. - Symboldbild: Pixabay


Dienstag, 19.09.2023

HANAU - Einem Kind oder Jugendlichen in Not vorübergehend ein Zuhause, Halt und Zuflucht bieten – das ist die Aufgabe von Pflegeeltern, die Kinder auf Zeit oder auch dauerhaft bei sich aufnehmen.

Die Koordination zwischen bedürftigen Kindern und den Pflegeeltern übernimmt der "Fachdienst Pflegekinder und Adoption der Stadt Hanau", der beim Kommunalen Sozialen Dienst angesiedelt ist. Hier sucht man fortlaufend Menschen, die sich für die Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen interessieren.

Gesucht werden Familien, Paare und Einzelpersonen, die sich vorstellen können, ein in Not geratenes Kind für einen befristeten Zeitraum zu betreuen. Möglich ist aber auch, einem Kind auf Dauer ein Zuhause zu geben, wenn die leiblichen Eltern dies nicht leisten können.

"Situation ist aktuell besonders kritisch"


„Im Moment ist die Situation besonders kritisch. Die sozialen Institutionen, die Kinder auf Zeit aufnehmen, sind alle voll und fast alle unsere Pflegeplätze sind belegt“, berichtet Felizitas Broj, Abteilungsleiterin beim Kommunalen Sozialen Dienst der Stadt Hanau, die dort für die Mitarbeiter des Fachdienstes Pflegekinder und Adoption Ansprechpartnerin ist. „Wenn wir jetzt eine kritische Situation haben und ein Kind schnell aus der Familie nehmen müssen, dann kann es sein, dass wir keine Familie finden, die es aufnehmen kann. In diesem Fall fangen wir dann an in den umliegenden Städten und Gemeinden anzufragen und zu suchen.“

Tanja Petry, die seit 2004 als Pflegemutter tätig ist, erwartet an diesem Tag einen - nur wenige Tage alten - Säugling aus Darmstadt. Dort hatte man so kurzfristig keine Pflegestelle für das Kind gefunden und die Kolleginnen aus Hanau um Hilfe gebeten. „Natürlich helfen wir einander in so einem Fall“, erläutert Broj, „aber gleichzeitig hoffen wir natürlich, dass wir den Pflegeplatz für einen Säugling nicht dringend selbst benötigen“, seufzt sie, „denn nicht jede Familie ist in der Lage Säuglinge zu betreuen -  manche nehmen daher nur ältere Kinder auf.“

„Ach falls noch ein Säugling kommt, dann nehme ich denn eben auch noch!“, entgegnet Petry ruhig lächelnd. Die 44-jährige Hausfrau und Mutter hat in den vergangenen 19 Jahren bereits rund 50 Pflegekinder betreut – manche davon kurz, andere über Jahre und zwei leben dauerhaft bei ihr. Allein in den letzten vier Jahren hatte sie 19 Kinder zur Kurzzeitpflege. Außerdem ist sie die leibliche Mutter von zwei eigenen, inzwischen erwachsenen Kindern.

Tanja Petry, seit 2004 als Pflegemutter tätig (1.v.r.), und Stefanie Festner, seit acht Jahren als Pflegemutter tätig (2.v.r.), im Gespräch mit Felizitas Broj (3.v.r.) und Adriana Levy vom Kommunalen Sozialen Dienst der Stadt.  - Foto: Stadt Hanau

Tanja Petry, seit 2004 als Pflegemutter tätig (1.v.r.), und Stefanie Festner, seit acht Jahren als Pflegemutter tätig (2.v.r.), im Gespräch mit Felizitas Broj (3.v.r.) und Adriana Levy vom Kommunalen Sozialen Dienst der Stadt. - Foto: Stadt Hanau

"Bei uns helfen alle mit"


Wie geht sowas? Petry lächelt und zuckt mit den Schultern: „Bei uns helfen alle mit. Mein Mann, meine Kinder, meine Eltern im Haus oder mein Bruder, wenn Not am Mann ist. „Ich habe viel Routine und gemeinsam bekommen wir das hin!“

Stefanie Festner, 43 Jahre alt, ist seit acht Jahren als Pflegemutter tätig und arbeitet nebenher noch als Bürokraft. In dieser Zeit hat sie sieben Pflegekinder betreut. Auch sie hat zwei große – fast erwachsene – Kinder und zudem noch ein neunjähriges und ein zweijähriges Kind in Dauerpflege. Den Jüngsten hat sie beim Termin im Rathaus dabei. Er nennt sie „Mama“ und umarmt sie stürmisch. „Ich habe einfach sehr gerne Kinder um mich“, sagt sie. „Wenn keine Kinder da sind, dann ist das mir zuhause viel zu ruhig“, erzählt sie. „Als meine eigenen Kinder etwas älter wurden, habe ich mit meinem Mann gesprochen und wir haben angefangen Pflegekinder aufzunehmen. Wenn immer Kinder da sind, dann ist man immer in Übung und es fällt gar nicht auf, ob ein oder zwei mehr im Haus sind!“, sagt sie.

Motivation für beide Frauen – und natürlich auch ihre Familien, die tüchtig mitziehen – war die Freude am Umgang mit Kindern und das Bedürfnis zu helfen: „Man möchte den Kindern, die es oft schon schwer hatten im Leben, etwas Positives mitgeben“, sagt Petry, „eine Bezugsperson für sie sein, und ihnen Liebe schenken.“ Festner pflichtet ihr bei: „Man will seinen Teil dazu beitragen, dass die Welt etwas besser wird.“ Beide sind sich einig, dass die Tätigkeit als Pflegeelternteil auch viel gibt: „Man bekommt von den Kindern auch ganz viel Liebe und Dankbarkeit zurück!“

Gibt es nie Schwierigkeiten und Konflikte? „Natürlich gibt es die!“, antworten die Frauen einstimmig. Manche der Konflikte ließen sich mit Geduld und Liebe lösen, aber manche eben auch nicht. „Wenn ein Kind sich absolut nicht in die Familie einfügen kann und mit den eigenen Kindern, oder anderen Dauerpflegekindern nicht zurechtkommt, dann muss man sich manchmal auch trennen“, berichtet Petry. Beide Pflegemütter haben das schon erlebt. „In so einem Fall können sich die Familien an uns wenden und wir versuchen zunächst, wenn möglich, mit der Pflegefamilie gemeinsam das Problem zu lösen. Ist dies nicht möglich, so kümmern wir uns und suchen eine andere Pflegestelle für das Kind“, sagt Adriana Levy, Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes.

"Rucksack an Sorgen und Problemen"


Klar sei jedoch, dass der Alltag mit einem Pflegekind in der Familie nicht unbedingt leichter wird: „Die Kinder bringen alle ihren Rucksack an Sorgen und Problemen mit sich. Sie wurden oft stark vernachlässigt und manche haben sogar das Fetale Alkoholsyndrom (FAS), weil die Mutter in der Schwangerschaft getrunken hat“, berichtet Festner. Viele Kinder hätten auch körperliche und/oder sprachliche Defizite und benötigten Logopädie-Sitzungen, Ergotherapie, regelmäßige Arztbesuche und ähnliches. „Aber es ist sehr schön zu erleben, wie diese Kinder richtiggehend aufblühen, wenn sie Liebe und Zuwendung erfahren“, sagt Festner.

„Ein Konfliktpunkt kann der Kontakt mit den leiblichen Eltern sein“, berichtet Levy. Die Pflegeeltern seien verpflichtet den Pflegekindern den regelmäßigen Kontakt mit den leiblichen Eltern zu ermöglichen, insoweit das zumutbar für die Kinder ist. So soll verhindert werden, dass Kinder und leibliche Eltern sich aus den Augen verlieren und entfremden. „Je nachdem wie die leiblichen Eltern eingestellt sind, kann das zu Konflikten führen“, berichtet Levy. Manche Eltern seien froh, dass ihre Kinder in einer Pflegefamilie gut betreut würden, andere seien negativ gegen die Pflegeeltern eingestellt und würden versuchen das Kind zu beeinflussen. Es gebe auch Eltern, die gar kein Interesse daran hätten, ihr Kind zu sehen. „Das ist von Fall zu Fall ganz unterschiedlich“, berichtet Levy.

34 Kinder wurden im vergangenen Jahr von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Fachdienstes Pflegekinder und Adoption vorübergehend in sogenannten Kurzzeitpflegefamilien untergebracht, weil die familiären Gegebenheiten das Kindeswohl zu gefährden drohten. 108 Kinder wurden für eine sogenannte Kurzzeitpflege seitens der Bezirkssozialarbeit, des Kommunalen Sozialen Dienstes der Stadt Hanau, für eine entsprechende Unterbringung in Kurzzeitpflege beim Pflegekinderdienst angefragt. Die in Kurzzeitpflege untergebrachten Kinder blieben im Durchschnitt 136 Tage, denn für sie alle musste vom Kommunalen Sozialen Dienst mit Bedacht eine tragbare Perspektive erarbeitet werden. Oftmals gelang die Rückkehr zu den Eltern (17), mitunter war die Unterbringung in einer Heimeinrichtung (2) oder aber in einer Dauerpflegefamilie (1) notwendig, um den Kindern und Jugendlichen eine gute Entwicklung zu ermöglichen. Drei Kinder wurden zudem im Rahmen einer stationären Hilfe für Mütter und Kinder, gemeinsam mit der leiblichen Mutter untergebracht und für zwei weitere Kinder ging der Weg in eine Adoption, da die leibliche Mutter dies initiiert hat.

Möglich wird diese wohnortnahe familiäre Notfall-Unterbringung durch die Bereitschaft von derzeit 18 Kurzzeitpflegefamilien, spontan und flexibel ein oder mehrere Kinder aufzunehmen. Hinzu kommen aktuell 34 Familien, in denen 44 Mädchen und Jungen zwischen 0 und 19 Jahren bis zur Verselbständigung leben, weil ihre leiblichen Eltern nicht für sie sorgen können.

„Wir hoffen sehr, dass sich mehr Menschen, die bereit sind Pflegeeltern zu werden, bei uns melden, damit wir auch zukünftig genug Plätze haben für Kinder und Jugendliche in Not“, sagt Adriana Levy vom Pflegekinderdienst. „Gerne beantworten wir alle weiteren Fragen, die es gibt persönlich. Weiteres erfahren die angehenden Pflegeeltern dann in der Schulung.

Zukünftige Pflegeeltern durchlaufen ein standardisiertes Qualifizierungsverfahren aus Beratung, Schulung und Begleitung. Der nächste Qualifizierungskurs beginnt im Oktober 2023. Interessierte melden sich bitte für ein Vorgespräch beim Fachdienst Pflegekinder und Adoption unter Telefon 06181-295-433 oder per E-Mail an: [email protected]. (red)

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