SCHLÜCHTERN

Wo waren Sie am 9. November 1989? "Mitten in Ost-Berlin"

Hanspeter Haeseler und Heide Buhmann beim Redaktionsgespräch unter einem riesigen Apfelbaum - Foto: Matthias Witzel


Samstag, 09.11.2019
von Heide Buhmann

SCHLÜCHTERN - Es gibt weltpolitisch bedeutsame Ereignisse von solcher Wucht, dass eigentlich jeder sich erinnern kann, wo ihn genau diese Nachricht erreichte und welche Gefühle sie ausgelöst hat. So ist das für die Älteren unter uns bestimmt mit der Mondlandung oder dem 11.09.2011. Für die allermeisten Deutschen wird aber der 9. November 1989 tief im Gedächtnis verankert bleiben, der Tag, an dem das Ende der DDR definitiv vorhersagbar wurde: in der Nacht vom 9. November auf den 10. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Wir haben Menschen unserer Region gefragt, wo sie an diesem historischen Tag waren und wie sie die Sensation ganz subjektiv erlebt haben. Wann haben sind sie das erste Mal nach der Grenzöffnung in den Osten gefahren, wie fühlte sich das an? Lesen Sie spannende Geschichten und Momentaufnahmen von diesem historischen Ereignis.


Heide Buhmann, geboren 1954, Kulturanbieterin, Initiatorin und Betreiberin des KUKI in Schlüchtern:

"Als die Mauer fiel, waren wir gerade in Ostberlin . Mein Mann Hanspeter und ich haben zusammen 30 Jahre lang einen eigenen Musikverlag, den Rockbuch Verlag, betrieben. In dieser Zeit sind eine Reihe Songbücher und Musikbiografien herausgegeben und veröffentlicht worden. Z.B. vom Drummer von Pink Floyd, von Rita Marley der Frau von Bob Marley, von Robbie Williams und vielen mehr.

Es waren auch gerade die ersten Bände einer Songbuch-Reihe „Rock- und Songpoesie“ erschienen, das Folgende in der Reihe sollte die Musikszene Ost in Noten, Texten und Bildern zum Thema haben: „Balladen Blues und Rock-Legenden“, so der Titel des Buches. Für die Veröffentlichungsrechte haben wir Kontakt mit vielen bekannten Musikern und Gruppen der DDR aufgenommen und uns zehn Tage vom 4. bis 13. November Zeit genommen, um uns mit Musikern vor Ort in Ostberlin zu verabreden. Wir trafen uns mit Fritz Puppel und Toni Krahl von City, mit Tamara Danz von Silly, André Herzberg von Pankow, den Singersongwritern Hans Eckardt Wenzel und Gerhard Schöne, um hier nur einige zu nennen. Am 4. November organisierten diese Musiker zusammen mit Theatermachern die große Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz mit rund einer Million Teilnehmern. Wir waren an der Bühne ganz dicht dran. Gleichzeitig lief während dieser Zeit ein Treffen der Musikszene in der Wabe am Prenzlauer Berg. Dort platzte am Abend die Nachricht herein: Die Mauer ist auf. Man konnte gar nicht glauben, was da gerade erzählt wurde - stimmte das wirklich? Aber einige der Musiker waren vor Ort und auch schon kurz über die Grenze und wieder zurück gegangen. Nun ging es vor allem darum, was man weiteres dafür tun konnte, um die Sache am Brennen zu halten.

Man nahm Kontakt zu Wolf Biermann und anderen Dissidenten auf und plante ein großes Konzert mit Biermann in der Leipziger Messehalle. In einer Irrsinnsgeschwindigkeit wurde alles organisiert, und schon zwei Tage später waren wir auf dem Weg nach Leipzig - im November, es war eine Fahrt im dichtesten Nebel und Smog!

Das Konzert war überwältigend, Massen strömten in die Halle, überall war eine große Aufbruchstimmung und ein neues Gefühl von Freiheit zu spüren. Bis tief in die Nacht blieb man noch zusammen und ich weiß noch, wie Tamara Danz, die durchaus ein total distanziertes Verhältnis zum DDR-Regime hatte, sich nun aber auch über ihre Zukunft als Musikerin Gedanken machte. Wie werden sich die neuen Verhältnisse auf die eigene Produktivität und Bühnenpräsenz auswirken?

Ich habe selten eine Woche in meinem Leben erlebt, die so dicht gefüllt und erfüllt war von gemeinsamen Treffen, Diskussionsrunden, Veranstaltungen, alle kreisten um die Frage, wie wird es jetzt - wie soll es jetzt weitergehen, was ist der beste Weg. Wir beobachteten, hörten mit Spannung zu, waren „Zeitzeugen“ dieser Momente. Ganz erfüllt waren diese Treffen, teilweise mit tausenden von Leuten, die nicht mehr in den Hörsaal hinein kamen - von der Frage, wie kann man einen eigenen guten Weg finden, „einen dritten Weg“ -

Ich hatte das Gefühl, ich sei ein Jahr in einem anderen Leben gewesen, aber es waren nur zehn Tage. Am Montag fuhren wir zurück nach Schlüchtern, unserem Heimatort. Natürlich waren wir in der Folgezeit für die Fertigstellung des Buches noch häufiger in Potsdam, und in Berlin. "+++

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