BAD SODEN-SALMÜNSTER

„For a better world“: Zivilcourage kostete Tugce Albayrak das Leben

An ihrem 23. Geburtstag wurden die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet. - Foto: Privat


Donnerstag, 28.11.2019
von Joana Gibbe

BAD SODEN-SALMÜNSTER - „Es ist ein Verlust, den du nicht ersetzen kannst“, erklärt Doğuş Albayrak in Erinnerung an den tragischen Verlust seiner Schwester Tuğçe Albayrak. Genau fünf Jahre - am 28. November 2014, dem Tag ihres 23. Geburtstags - ist es her, dass bei der aufstrebenden Studentin aus Bad Soden-Salmünster die lebenserhaltenden Geräte im Offenbacher Klinikum abgestellt wurden. Einige Tage zuvor wurde sie auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants in Offenbach durch einen Schlag auf den Kopf niedergestreckt und fiel ins Koma.

Nach fünf Jahren „lernt man, damit umzugehen“, erklärt Doğuş im Gespräch mit KINZIG.NEWS. Diese Jahreszeit und besonders die Monate November und Dezember seien aber immer wieder schwierig für die ganze Familie, denn alles erinnere an den tragischen Verlust: „Man schaut an dem Tag raus und denkt, das Wetter ist genau wie damals“, „man verknüpft so vieles damit“. Gerade für seine Eltern sei der Verlust des eigenen Kindes ein tragisches Erlebnis, welches „sie immer mit sich tragen werden“. Am schwierigsten sei es vor allem für seine Mutter, da sie und Tuğçe ein sehr enges Verhältnis hatten und „wie beste Freundinnen“ waren. Um diese schwierige Zeit im Jahr zu überstehen, kommt die Familie jedes Jahr am 28. November zusammen. „Wir essen zusammen und erzählen uns schöne Erinnerungen an Tuğçe“, verrät Doğuş.

Als Gründer des 'Tugce Albayrak'-Vereins möchte Dogus das Andenken an seine Schwester bewahren. - Foto: Joana Gibbe
Als Gründer des 'Tugce Albayrak'-Vereins möchte Dogus das Andenken an seine Schwester bewahren. - Foto: Joana Gibbe
Foto: Privat (Screenshot Stern TV)
Foto: Privat (Screenshot Stern TV)
Foto: Joana Gibbe
Foto: Joana Gibbe

Tuğçe war „sehr lebensfroh, hilfsbereit und zielstrebig“, erinnert sich Doğuş an seine Schwester, „eine liebe und fleißige Person, die was aus ihrem Leben machen wollte – und sie war auf einem guten Weg“. Da sie die Welt nicht mehr selbst zu einem besseren Ort machen kann, hat es sich der 30-Jährige zur Aufgabe gemacht, das Andenken seiner Schwester zu bewahren und in ihrem Namen Gutes zu tun. Mit dem im Januar 2015 gegründeten Verein ‚Tuğçe Albayrak e.V.‘ will er dem schweren Verlust „wenigstens irgendeinen Sinn geben“. Unter dem Motto ‚For a better world‘ möchte der Verein die Werte der Studentin aufrechterhalten und verbreiten. Neben der Förderung von Kriminalprävention, Zivilcourage und Hilfe für Opfer von Straftaten, geht es dem Vereinsgründer auch um die Aufklärung von Organspende, durch die Tuğçe noch nach ihrem Tod Menschenleben rettete.

„Damit wir so etwas, wie mit meiner Schwester, verhindern können“, möchte der Verein gegen Gewalt sensibilisieren und versuchen, „das Bewusstsein der Menschen zu ändern“, erklärt der Vereinsvorsitzende. Durch verschiedene Aktionen soll dem Anspruch Tuğçes, die als Lehrerin Kindern etwas für das Leben vermitteln wollte, zumindest teilweise nachgekommen werden. Während der erste Charity Run ‚Spessarthelden – Lauf gegen Gewalt‘ in Bad Soden-Salmünster, der auch im nächsten Jahr wieder starten soll, auf Zivilcourage und gegen Gewalt aufmerksam machen soll und Spendengelder akquiriert, widmet sich das Projekt ‚Stop Violence!‘, bei dem der Verein unter anderem theaterpädagogische Workshops an Schulen hält, dem Gewalt-Bewusstsein der Menschen. „Ich bin stolz darauf, was wir bisher gemacht haben“, freut sich Doğuş über den Erfolg des Vereins. Denn er wisse, dass auch andere Familien schwere Verluste zu verkraften haben, die nicht diese mediale Aufmerksamkeit bekommen. Für den 30-Jährigen ein Grund mehr, sich die Reichweite und das öffentliche Interesse zunutze zu machen, um dem Ziel des Vereins Stück für Stück näherzukommen: „Gewalt soll in der Gesellschaft ganz unten stehen und Nächstenliebe ganz oben“.

Hintergrund: Der Fall Tuğçe Albayrak

Der gewaltsame Tod der Lehramtstudentin bewegte nicht nur die gesamte Region, er erschütterte ganz Deutschland und darüber hinaus und löste eine Schar an Diskussionen über Zivilcourage und Jugendkriminalität aus. Denn die junge Frau soll zwei minderjährigen Mädchen in einem Schnellrestaurant zur Hilfe gekommen sein, als diese unter anderem vom späteren Täter belästigt wurden. Auf dem Parkplatz soll es dann zu heftigen Auseinandersetzungen und Beleidigungen zwischen der Gruppe mit der Tuğçe unterwegs war und der Gruppe eines damals gerade mal 18-jährigen Serben gekommen sein. Dann eskalierte die Situation und der bereits vorbestrafte Schulabbrecher schlug zu – so heftig, dass Tuğçe in ein Koma fiel, aus dem sie nicht mehr aufwachte. Nachdem der Täter wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt wurde, wurde er 2017 nach Serbien abgeschoben und ein achtjähriges Wiedereinreiseverbot verhängt. +++

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