Wie Hanau die Trauer verarbeitet: "Wir stehen zusammen"

Donnerstag, 05.03.2020
von HANS-HUBERTUS BRAUNE
HANAU - Gegen 20:41 Uhr verließen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Congress Park in Hanau. Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen und angeführt von einer Polizei-Motorradstaffel setzte sich der Regierungstross in Bewegung. Die höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland nahmen sich nach dem offiziellen Ende der zentralen Trauerfeier noch weit über eine Stunde Zeit, um mit den Angehörigen zu sprechen. Während die Kanzlerin aus protokollarischen Gründen keine Trauerrede hielt, aber durch ihre Anwesenheit ebenfalls ein Zeichen setzte, fand der Bundespräsident passende Worte.
Wie aus Teilnehmerkreisen nachher zu hören war, lobten viele Angehörige der neun Opfer des Anschlags vom 19. Februar in Hanau die Rede des Bundespräsidenten. Insbesondere für seine Worte "Als Mann mit weißen Haaren und weißer Haut, dessen Mutter aus Breslau nach Westdeutschland kam, muss ich meine Zugehörigkeit zu unserem Land nicht begründen. Ich erlebe nicht, wie mich im Vorbeigehen abschätzige Blicke treffen, wie verletzende Bemerkungen fallen, herabsetzende Witze gerissen werden, wie Vorstellungsgespräche, Wohnungssuche und Behördengänge zum Spießrutenlauf werden. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, im Alltag ausgegrenzt zu werden - lange bevor es zu Gewalt kommt. Wie entmutigend es ist, ein Leben lang darum zu kämpfen, endlich ganz dazuzugehören. Wie zermürbend, immer und immer wieder - mal bewusst, mal nicht - als Fremder behandelt zu werden. Auch wer diese Erfahrung nicht teilen kann, muss dennoch um sie wissen. Ja, es gibt Rassismus in unserem Land - und das nicht erst seit einigen Wochen", sagte der Bundespräsident.
Emotionale Reden: "Wir spüren keinen Hass"
Er nannte ebenso wie Ministerpräsident Volker Bouffier die Namen der Opfer. Es war eine würdevolle, eine emotionale Trauerfeier. Neben den Spitzen aus Bundes- und Landespolitik waren unter anderem auch der türkische Botschafter, Kirchenvertreter verschiedener Glaubensrichtungen und die Außenministerin von Bosnien-Herzegowina vor Ort. Sie alle hörten die emotionalen Worte von Kemal Kocak, Ajla Kutovic und Saida Hashemi. Sie sprachen als Freunde und Angehörige der Opfer. Sie spüren keinen Hass. Aber Angst - dies wurde mehrfach deutlich.
Ihr Schmerz über den Verlust ihrer Angehörigen und Freunde ist greifbar. Viele haben Tränen in den Augen - auch im Presseraum herrschte Stille. Doch was bleibt nach diesem bewegenden Abend in Hanau? Wer in diesen Tagen Oberbürgermeister Claus Kaminsky beobachtet, weiß, dass er gerade in dieser schweren Zeit in seiner Heimatstadt eindrucksvoll für seine Bürgerinnen und Bürger da ist. Mit seinem Team setzt er alle Hebel in Bewegung, um den Angehörigen der Opfer, aber auch der gesamten Bürgerschaft zur Seite zu stehen. Gefühlt Tag und Nacht präsent, gewährt Kaminsky Einblicke in die vielfältige Hintergrundarbeit, zum Beispiel des Ausländerbeirats, welchen er als Helden bezeichnet. "Die Opfer waren keine Fremden", sagte Kaminsky als einer der Ersten. Er macht deutlich: "Hanau ist stark, weil es zusammenhält." Die Namen der Opfer dürfen nicht vergessen werden, eine Gedenkstätte ist geplant.
Oberbürgermeister Claus Kaminsky: "Wir sind mehr"
Das Leid und die Trauer der Opfer können sie nicht lindern - das haben alle Trauerredner deutlich gemacht. Doch alle haben nur einen Wunsch, dass so etwas nie wieder passiert. Egal ob in Hanau oder anderswo. Auch deshalb traten Kemal Kocak, Ajla Kutovic und Saida Hashemi ans Rednerpult - es fiel ihnen spürbar schwer. Ihre Worte sollen in Berlin nicht verhallen. Alle zusammen die Gewalt, den Hass und die Hetze verhindern, das ist ihr eindringlicher Appell. In Hanau wird der Alltag langsam wieder einkehren, doch diese rassistische Tat vom 19. Februar ist nun unweigerlich Teil der Geschichte dieser weltoffenen Stadt. "Dies tut unendlich weh", sagt der Oberbürgermeister. Sie wollen sich von diesem Hass nicht unterkriegen lassen und weiter die willkommene, offene Stadt für alle Menschen bleiben, die einfach nur in Frieden zusammenleben wollen.
Auf seiner Facebook-Seite schreibt der Oberbürgermeister am Donnerstagmittag unter anderem: "Allen Opfern werden wir posthum die goldene Ehrenplakette der Stadt Hanau verleihen. Denn sie starben für alle, die eine freie, offene und vielfältige Gesellschaft wollen. Hanau ist vielfältig. Wir glauben unterschiedlich, wir leben unterschiedlich, wir sprechen unterschiedlich, aber uns eint der Respekt vor den Mitmenschen, die Nächstenliebe, die Toleranz und die unerschütterliche Freude am Leben. Und deshalb sagen wir allen Rassisten, die mit ihren Parolen unser Land vergiften: Wir sind mehr! Und wir sind stärker als euer Hass", so Kaminsky. +++