WIESBADEN/HANAU

"Man will nichts sagen und man kann nichts sagen": Degen von Antwort zur Wohnsiedlung am Kinzigheimer Weg enttäuscht

Bereits im Vorfeld hatte sich Degen mit Oberbürgermeister Claus Kaminsky ein Bild von der Situation in der Wohnanlage gemacht. - Foto: Privat


Dienstag, 21.04.2020

WIESBADEN/HANAU - So wichtig nimmt man das Thema Wohnen in Wiesbaden wohl nicht, diesen Eindruck hat der SPD-Landtagsabgeordnete Christoph Degen, nachdem seine Kleine Anfrage zur Verfahrensdauer der Wohnsiedlung am Kinzigheimer Weg in Hanau (Drucksache 20/2451) beantwortet wurde. 

„Man will hier nichts sagen und man kann hier nichts sagen“, schlussfolgert Degen aus der kürzlich erfolgten Antwort der Justizministerin. Im Großen und Ganzen scheine die Landesregierung nichts beantworten zu können, habe dazu keine Informationen und Schuld sind ohnehin immer die anderen. Das Verfahren um den Rückkauf der Wohnsiedlung ziehe sich derweil immer weiter in die Länge. Denn das zuständige Landgericht trage nach eigenen Angaben eine zu hohe Verfahrenslast und käme mit der Bearbeitung nicht nach, da Straf- und Haftsachen Vorrang hätten.

„Es ist einfach unverständlich, wie die Landesregierung seelenruhig zusieht, wie hier händeringend benötigter Wohnraum als Spekulationsobjekt zum großen Teil leer steht und verfällt. Zudem scheint es auch kein sonderliches Interesse daran zu geben, dass sich für die verbleibenden Mieter die Wohnbedingungen endlich wieder bessern“, so der Landtagsabgeordnete. „Stattdessen versteckt man sich hinter Zuständigkeiten und Nichtwissen.“

Erst kürzlich richtete sich der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky mit einem offenen Brief an die hessische Justizministerin. Darin weist er auf die Situation der Rechtspflege und der daraus resultierenden Auswirkungen auf eine Hanauer Wohnsiedlung am Kinzigheimer Weg hin. 

Die Kammern für Baulandsachen sind atypische Spruchkörper der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Zuständigkeit der Baulandkammern hat historische Gründe und folgt insbesondere aus der Regelung in Art. 14 Abs. 3 Satz 4 des Grundgesetzes, wonach für Verfahren über die Höhe einer Entschädigung nach einer Enteignung die ordentlichen Gerichte zuständig sind. Die Baulandkammern entscheiden in der Besetzung mit zwei Richtern des Landgerichts einschließlich des Vorsitzenden sowie einem hauptamtlichen Richter eines Verwaltungsgerichts. Die gemischte Besetzung mit Zivil- und Verwaltungsrichtern ist das Wesensmerkmal der Baulandkammer, weshalb eine Übertragung auf den Einzelrichter ausgeschlossen ist. Das Verfahren wird dabei teilweise nach einem speziellen, von der Zivilprozessordnung abweichend geregelten Prozessrecht durchgeführt. 

Zur Bündelung von Erfahrung und Kompetenz hat Hessen von der ihm durch Bundesgesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht und die Kammern für Baulandsachen bei den Landgerichten Darmstadt und Kassel konzentriert. Dies soll einer Förderung und schnelleren Erledigung  der Verfahren dienen. Bei den Landgerichten Darmstadt und Kassel geht jedoch jährlich nur eine einstellige oder geringe zweistellige Anzahl von Verfahren in Baulandsachen ein, so dass dieser Effekt nur eingeschränkt erreicht wird. 

Das Ministerium der Justiz ist sich bewusst, dass es sich bei der Zuständigkeit der Baulandkammern um eine Besonderheit handelt. Die Justizminister der Länder haben auf der Herbstkonferenz  am 17. November 2016 das Bundesministerium der Justiz gebeten, bei zukünftigen Gesetzgebungsvorhaben das Anliegen einer systemgerechten Rechtswegzuweisung wieder verstärkt zu berücksichtigen. Das heißt, dass verstärkt darauf geachtet werden sollte, dass es keine Rechtswegzersplitterung zwischen den Zivilgerichten und den Verwaltungsgerichten gibt. 

Zur schnelleren Bearbeitung von Baulandsachen könnte man auch über ein bundesgesetzliches  Vorrang- und Beschleunigungsgebot nachdenken.  

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt: 

Frage 1. Wie ist es zu erklären, dass der im offenen Brief genannte Rechtsstreit bereits mehr als zweieinhalb  Jahre andauert, ohne dass bisher eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat? 

Die Verfahrensgestaltung einschließlich der Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung unterfällt richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 GG). Die Landesregierung kann daher dazu  keine Stellung nehmen. 

Frage 2. Mit welcher Dauer ist in Hessen bei einem derartigen Rechtsstreit einer Baulandsache zu rechnen?

Die im Jahr 2019 von den hessischen Kammern für Baulandsachen erledigten Verfahren benötigten im Durchschnitt 6,4 Monate. Die durchschnittliche Verfahrensdauer schwankt aber wegen der  verhältnismäßig geringen Anzahl von Baulandsachen von Jahr zu Jahr erheblich. 

Frage 3. Ist es aus der Sicht der Landesregierung hinnehmbar, dass sich die Verfahrensdauer in Zivilsachen  wegen vorrangig zu bearbeitender Straf- und Haftsachen und daraus resultierender Arbeitsbelastung der Gerichte deutlich verlängert? 

Eine deutliche Verlängerung der Verfahrensdauer in Zivilsachen ist nicht feststellbar. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der Zivilsachen erster Instanz vor den hessischen Landgerichten belief sich im Jahr 2015 auf 13,0 Monate, im Jahr 2016 auf 11,0 Monate, im Jahr 2017 auf 11,1  Monate, im Jahr 2018 auf 11,8 Monate und im Jahr 2019 auf 11,6 Monate. 

Frage 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Aussage in dem Präsidialbeschluss des Landgerichts Darmstadt (Nr. 29/19 v. 18.12.2019), es sei unmöglich, „die erstinstanzlichen Zivilkammern personell  so zu besetzen, dass eine Überlastung der dortigen Dezernate vermieden oder sogar ausgeschlossen werden kann“? 

Der Beschluss des Präsidiums des Landgerichts Darmstadt erfolgte in richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 GG). Eine Bewertung durch die Landesregierung verbietet sich daher.

Frage 5. Ist die mangelhafte Personalausstattung am Landgericht Darmstadt ein Einzelfall in Hessen oder  gibt es Anhaltspunkte, dass die Personalausstattung der Gerichte auch an anderen hessischen Gerichten defizitär ist? 

Am Landgericht Darmstadt sind sämtliche Planstellen für Richterinnen und Richter besetzt. Die  ordentliche Gerichtsbarkeit in Hessen insgesamt weist einen Stellenbesetzungsgrad von 96,18 % auf (Stand: 29. Februar 2020). 

Frage 6. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um insbesondere die personelle Ausstattung der  Kammern für Baulandsachen (§ 220 BauGB) in einer Weise zu gewährleisten, die die rechtzeitige Entscheidung in den oft für den Immobiliensektor sehr relevanten Baulandsachen sicherstellt? 

Frage 7. a) Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bereits ergriffen oder plant sie kurz und mittelfristig, um die hessischen Gerichte sachlich wie personell wieder hinreichend auszustatten?

Die Fragen 6 und 7 a werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Kammern für Baulandsachen sind Spruchkörper der ordentlichen Gerichte. Im Zuge des Justizaufbauprogramms wurden seit dem Jahr 2017 in der ordentlichen Gerichtsbarkeit 395,5 Stellen  neu geschaffen, davon 130 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter. 

Frage 7. b) Wie werden sich diese Maßnahmen auf das Verfahren zur Wohnsiedlung am Kinzigheimer  Weg in Hanau auswirken? 

Das Präsidium des Landgerichts Darmstadt beschließt die Geschäftsverteilung und die Besetzung  der Spruchkörper in richterlicher Unabhängigkeit. Die Landesregierung kann daher nicht beurteilen, ob und wie sich die Maßnahmen auf konkrete Verfahren auswirken. (pm) +++