Familie und Beziehung in der Corona-Krise: Zeit strukturieren und Chancen entdecken

Donnerstag, 23.04.2020
von JOANA GIBBE
REGION - Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote und Schutzmaßnahmen beherrschen unseren Alltag in Zeiten der Corona-Pandemie. Statt zur Arbeit oder in die Schule, geht es für einen Großteil der Menschen ins Homeoffice und Homeschooling. Viel Zeit zu Hause also, in der wir überwiegend von unseren Mitbewohnern umgeben sind. Ob mit der Familie, den Kindern oder dem/r Partner/in, 24/7 aufeinander zu hocken, kann schon mal anstrengend werden. KINZIG.NEWS hat genau darüber mit Familientherapeut Matthias Jasper gesprochen.
Neben Ängsten um Existenz und Gesundheit, macht sich bei vielen Menschen nämlich auch die Angst breit, der Situation und dem Stress nicht gewachsen zu sein. Während manche Eltern „Angst haben, dass die Kinder zu Hause durchdrehen“, „freuen sich andere aber über die Zeit und nutzen diese auch aktiv und bewusst“, erklärt Jasper. Sicherlich hängt der Umgang mit der aktuellen Situation auch von „äußeren Bedingungen“, wie dem verfügbaren Raum in der Wohngemeinschaft, ab.
Zeiten strukturieren, um allen gerecht zu werden
„Je enger wir aufeinander hocken“, umso wichtiger ist es also, sich auch Zeit für sich selbst zu nehmen. Man könne die Familie als unterschiedliche Länder betrachten: „Das Ich-Land, das Paar-Land und das Familien-Land“, die alle bewohnt und versorgt werden müssen. Kommt ein Land zu kurz, „wirkt sich das auch auf die anderen Länder negativ aus“. Wichtig ist daher, dass „jeder Zeit für sich verbringt“, aber auch Zeit zusammen verbracht wird. Damit alle Familienmitglieder genügend Zeit für sich bekommen und auch die gemeinsame Zeit nicht außer Acht lassen, empfiehlt der Experte eine Art Stundenplan einzurichten.
Damit die Zeit mit dem Partner oder der Familie dann nicht in Streitigkeiten ausartet, rät Jasper zu Nachsicht und Verständnis. „Wir sollten uns immer wieder daran erinnern, in was für einer Situation wir alle gerade sind.“ Um dieses Verständnis auch von unseren Familienmitgliedern zu erhalten, empfiehlt der Familientherapeut „weniger in Du-Botschaften“ zu sprechen und zu trainieren, „Worte für das eigene Erleben zu finden, damit ich es so kommunizieren kann, dass mein Gegenüber einen Zugang dazu finden kann“.
„Jede Krise beinhaltet auch eine Chance“
„Ein grundlegendes Phänomen von fast jedem Menschen ist, dass wenn negative Gedanken auftauchen, sie die volle Aufmerksamkeit bekommen und es schwer ist, sich dem zu entziehen“, erklärt Jasper. Gerade in der jetzigen Situation „besteht die Gefahr, nur noch auf die Sorgen zu schauen und damit auch gesundheitliche Probleme zu entwickeln, denn mit negativen Gedanken schwäche ich nachweislich mein Immunsystem“. Umso wichtiger sei es deshalb, sich abzulenken und besser noch, mit sich selbst und seinen „wesentlichen Werten“ auseinander zu setzen.
„Was ist in diesem Moment für mich und für uns wesentlich? Wenn ich mich immer wieder mit dieser Frage konfrontiere, kann genau diese Frage der Schlüssel zu meinen tiefsten Bedürfnissen sein“, führt der Familientherapeut fort. Dann könne aus der Krise auch eine Chance entstehen. Indem wir dem Automatismus, in dem wir leben, ein Stück entfliehen und uns damit beschäftigen, was uns wirklich wichtig ist. +++