FRANKFURT AM MAIN

Infektiologe Udo Götsch im Gespräch: "Haben Situation gut im Griff"

Infektiologe Udo Götsch - Foto: Stadt Frankfurt


Freitag, 01.05.2020

FRANKFURT AM MAIN - Dr. Udo Götsch (59) arbeitet seit 15 Jahren als Infektiologe im Frankfurter Gesundheitsamt. Im Interview erklärt der Mediziner, wie die Coronapandemie sein Berufs- und Privatleben verändert hat und wie er und seine Kollegen mit der aktuellen Situation umgehen.

Herr Dr. Götsch, wie sieht Ihr Arbeitsalltag seit Ausbruch der Coronapandemie aus?

UDO GÖTSCH: Ich fange in der Regel um 7 Uhr morgens an, bearbeite zunächst die zahlreichen Mails vom Vorabend und kümmere mich um neu eingegangene Meldungen. Danach findet um 8.30 Uhr die tägliche Stabssitzung statt. Es müssen auch Anfragen der Presse und von Bürgerinnen und Bürgern beantwortet werden. Das verlangt zum Teil intensive Recherchen. Schließlich werden Anträge zu Ausnahmeregelungen von Anordnungen der Landesregierung gestellt, die individuell zu entscheiden sind. Das zieht oftmals Einzelfallentscheidungen nach sich. Daneben kommt es immer wieder zu sehr speziellen Situationen, etwa bei Patienten, die in Haushalten mit bereits Erkrankten leben. In solchen Fällen fahren wir zu den Betroffenen und testen vor Ort oder in den Kliniken. Ein weiterer Teil unserer täglichen Arbeit besteht aus Telefonkonferenzen mit Vertretern von Flughäfen in ganz Deutschland und der dortigen Gesundheitsämter. Alles in allem bin ich derzeit etwa 12 Stunden am Tag im Büro, am Wochenende ebenfalls, wenn das erforderlich ist.

Wie wirkt sich die derzeitige Situation auf Ihr Privatleben aus?

GÖTSCH: In unserem Amt sind alle Urlaubsanträge storniert worden. Das muss natürlich irgendwann nachgeholt werden. Noch empfinde ich die Belastung aber als erträglich. Auch die Stimmung unter den Kollegen ist gut. Wir haben keine Ausfälle aufgrund von Erschöpfung, weil jeder von uns weiß, dass seine Arbeit wichtig ist und er gebraucht wird. Meine Frau ist ebenfalls Ärztin. Sie hat daher Verständnis für meine derzeitige Situation. Einkäufe erledige ich am Wochenende, alles andere wird zurückgestellt.

Mit welchen Aufgaben waren Sie zuvor im Gesundheitsamt betraut?

GÖTSCH: Vorher habe ich mich um die allgemeine Infektiologie und die Tuberkuloseberatung gekümmert. Vor rund einem Jahr habe ich die Sachgebietsleitung der Abteilung Infektiologie übernommen. Natürlich gab es auch früher immer mal wieder Krankheitsausbrüche etwa durch Masern oder Windpocken, auf die wir sehr spontan reagieren mussten. Auch die neuartige Influenza vor zehn Jahren oder die große Zahl an Geflüchteten, die 2015 zu uns kamen, waren krisenhafte Lagen. Dies alles war aber nichts, was uns so langfristig und nachhaltig wie die jetzige Lage beschäftigt hat.

Stellt solch eine Pandemie für Sie als Epidemiologe einen beruflichen Höhepunkt dar oder ist dies eher ein Ereignis, auf das Sie gerne verzichtet hätten?

GÖTSCH: Das ist in beruflicher Hinsicht schon ein absoluter Höhepunkt. Wir haben es hier mit einer Entwicklung zu tun, die selbst wir Fachleute zunächst schlecht einschätzen konnten. In Deutschland wurden daher in der Intensivmedizin sehr viele zusätzliche Bettenkapazitäten geschaffen. Jetzt sehen wir erfreulicherweise, dass wir diese Kapazitäten derzeit nicht in dem erwarteten Umfang benötigen. Wir wissen aber nicht, ob und wann es eine zweite Welle gibt. Das hängt natürlich damit zusammen, wann und in welcher Form wir Großveranstaltungen und den Schulbetrieb wiederaufnehmen. Covid-19 ist für alle eine Überraschung gewesen. Auch wir in Deutschland haben diese Krankheit zunächst anders eingestuft und sind davon ausgegangen, dass sie wie etwa MERS (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus, Anm. d. Red.) erst dann übertragbar ist, wenn Infizierte auch Symptome zeigen. Es gab Vieles, was wir erst lernen mussten und unser Verhalten daran anpassen mussten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Beurteilung der Wirksamkeit von Atemmasken.

Wie gut sind Sie und Ihre Kollegen auf die Bekämpfung des Coronavirus vorbereitet gewesen?

GÖTSCH: Ich glaube, dass wir die Situation in Deutschland und speziell in Frankfurt recht gut im Griff haben, da wir personell relativ gut ausgestattet sind und fast alle anderen Leistungen zurückgefahren haben. Sicher gab es temporäre Spitzen, in denen wir an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit gestoßen sind. Aber dadurch, dass jetzt 80 Personen allein in unserem Gesundheitsamt in der Fallbearbeitung tätig sind und wir Unterstützung durch Studierende der Goethe-Universität Frankfurt erhalten, haben wir Kapazitäten, um die anfallende Arbeit zu bewältigen. Das gelingt aber nur mit überdurchschnittlichem Einsatz aller Beschäftigten, auch am Wochenende und Verzicht auf Urlaub. Schuleingangsuntersuchungen, die Belehrungen für Beschäftigte im Lebensmittelbereich und andere Leistungen des Gesundheitsamtes mussten ausgesetzt werden.

Wie beurteilen Sie persönlich die Gefahr, die von dem Coronavirus für diese Gesellschaft ausgeht?

GÖTSCH: Ich glaube, dass die Lage von der Bedrohung her überschaubar ist. Ein Beleg dafür sind die insgesamt rückläufigen Erkrankungszahlen und die im Vergleich zu europäischen Nachbarländern relativ niedrige Zahl an Verstorbenen. Die besonders gefährdeten Gruppen wie Bewohner von Seniorenheimen müssen wir natürlich weiterhin so gut wie möglich schützen. Daher ist es unerlässlich, dass sich alle an die geltenden Distanz- und Hygieneregeln halten. Wenn das geschieht, wird unsere Gesellschaft sukzessive zur Normalität zurückkehren können. Gleichwohl kann man nur ganz schwer beurteilen, wie und in welcher Form Corona uns weiterhin beschäftigen wird. Erst ein Impfstoff wird alles ändern, weil dadurch die Zahl der empfänglichen Personen drastisch reduziert würde.

Welche Schlüsse gilt es aus dieser Pandemie zu ziehen?

GÖTSCH: Das Gesundheitsamt erfährt derzeit viel Wertschätzung, gerade im Kontakt zu Erkrankten und Kontaktpersonen. Wir werden aber auch für Vieles verantwortlich gemacht, etwa Quarantäneregelungen für Reiserückkehrer, die bundesweit gelten und die nicht von uns veranlasst wurden. Vorbestehende personelle Engpässe werden bei Ausbrüchen in manchen Bereichen noch deutlicher. Das betrifft auch die Altenpflegeheime. Die Krise zeigt vor allem, dass man den öffentlichen Gesundheitsdienst in der Fläche nicht ausdünnen darf. Diese Pandemie sollte zum Anlass genommen werden, die Gesundheitsämter personell und strukturell dauerhaft zu stärken. (pm) +++

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