BIEBERGEMÜND

Vincent Kretz (12) bestellt sich heimlich einen Sessellift in der Schweiz

Vincent Kretz (12) - Foto: Grob


Freitag, 15.05.2020

BIEBERGEMÜND - Wer die Geschichte für einen verspäteten Aprilscherz hält, der weiß nicht, welche Leidenschaft und Energie in einem zwölfjährigen Buben stecken kann. Vincent Kretz aus Bieber hat seit Kurzem seinen eigenen Sessellift im Garten – mancher meinte schon angesichts der Bauarbeiten, dass dort eine ganze Seilbahn auf den Burgberg gebaut wird. So weit ist es dann aber doch nicht gekommen. Der Sessellift stammt aus dem Lieblingsskiort des jungen Bieberers – dort wurden diese verkauft, um Platz zu machen für eine neue Bahn und Lifte.

Schon als Baby haben ihn seine Eltern zum Skifahren nach Graubünden in den Ort Savognin mitgenommen, „da ist er schon in diesem Sessellift nach oben geschwebt und hat wohl seine erste Leidenschaft für Bergbahnen entwickelt“, erklärt Mutter Simone Kretz. Seitdem ging es jedes Jahr in die Schweiz. „Da bin ich dann sehr oft mitgefahren“, erzählt Vincent. „Er hat schon immer großes Interesse an Liften und Lifttechnik, und wir mussten an jedem Lift stehen bleiben“, erklärt seine Mutter.

Vincent stellt das gleich unter Beweis, denn von seinem Sessellift kennt er jedes Detail: „Die Bahn wurde 1987 als erste Bahn im Ort Savognin gebaut und führte auf den 1.600 Meter hohen Tigingnas, eine hochleistungskuppelbare 4er-Sesselbahn. Für die Zeit damals war es eine der leistungsstärksten Sesselbahnen im Alpenraum.“ Vincent weiß auch, dass die Bahn anfangs mit 60 Sesseln bestückt war, die stetig auf zum Schluss 160 Sessel erweitert wurden –, und dass am 31. März 2019 der letzte Betriebstag seiner Lieblingsbahn war. So war die Familie auch 2019, wie jedes Jahr, in ihrem Lieblingsskiort. „Auf der Webseite habe ich schon gesehen, dass da eine ganz neue Gondelbahn gebaut werden soll“, erklärt Vincent. Das weckte natürlich das Interesse des Buben. Beim Skifahren entdeckte er dann ein Schild: „Ich bin zur Seite gegangen und habe gesehen, da stand Sessellifte zu verkaufen drauf. Ich hab es mir genau durchgelesen und die Telefonnummer gemerkt“, erzählt Vincent.

Eltern wussten nichts davon

Zu Hause angekommen, ließ ihm die Sache keine Ruhe mehr. „Es war so um den Rosenmontag herum, da hab ich eigenständig angerufen und mir einen Sessel reserviert. Die Nummer durfte ich mir aussuchen.“ Von seinem Plan erzählte er seinen Eltern erst einmal nichts und zur Beichte kam es auch nicht rechtzeitig. Am Aschermittwoch – Vincent war in der Schule – klingelte das Telefon und seine Mutter hob ab. „Da rief ein Mann aus der Schweiz an und wollte eine E-Mail Adresse wissen, zwecks Zusendung der Rechnung“, erklärt die damals völlig verblüffte Mutter. Anfangs seien sie schon etwas geschockt gewesen, hätten sich dann aber gefreut, denn: „Wir waren ja auch so richtige Fans der Bahn.“ Dann kam die Frage nach dem „Wie“ auf – aber auch dafür sollte es eine Lösung geben.

Bald darauf kam für Vincent die erlösende Nachricht – am 8. April war der Lift abholbereit. „Wir haben uns gefragt, wie wir das Ding nun hierher schaffen sollen“, berichtet Vater Stefan Kretz. Zwei Teile mit einem Gewicht von 230 Kilogramm waren zu befördern. Schnell war klar, dass das nur mit einem großen Hänger zu machen ist. Der wurde von einem Bekannten geliehen. „Das war ein ganz großer Zweiachser, der durfte 100 Kilometer die Stunde fahren“, erinnert sich Vincent. Los ging es mit dem Turbohänger dann an einem Freitagnachmittag Ende April auf die 700 Kilometer weite Strecke.

Eigene Konstruktion

Vorher mussten noch ein paar Zollformalitäten erledigt werden. Mit 200 Schweizer Franken hatte der Liftsessel keinen großen Wert mehr und konnte unverzollt über die Grenze gebracht werden. Bei Bregenz wurde auf der Hinfahrt übernachtet, und am frühen Samstagmorgen ging es Richtung Schweiz. „Da lagen dann auf der neuen Baustelle die ganzen Liftsessel, von den 160 wurden so um die 70 verkauft“, weiß Vincent noch. „Papa hat den Lift dann auf den Hänger geschafft, fest verspannt, und dann sind wir wieder heimgefahren.“ Zu Hause war einiges los, denn da wartete schon das Empfangskomitee: Freunde und Nachbarn halfen, die ungewöhnliche Sitzgelegenheit abzuladen. Blieb die Frage, wie sie aufgestellt werden sollte. „Es gab viele visionäre Projekte“, erklärt Vater Stefan Kretz. „Angefangen von einer Seilbahn bis zum Galgenberg, bis hin zu einem großen Galgen, an dem wir den Sessel aufhängen sollten, war alles dabei.“  

Die rettende Idee kam im vergangenen Skiurlaub. „Dort haben viele Einheimische Liftsessel, und die haben ein Gestell eingegraben, wo sie den Lift draufgestellt haben“, hat Vincent entdeckt. Die Konstruktion wurde vom Familienrat schlussendlich akzeptiert und Papa musste zwei große Löcher für ein ordentliches Fundament in die Erde buddeln. Dort wurden dann zwei starke Metallstützen einbetoniert und Vincents Sessellift fest verschraubt. „Ich bin sehr zufrieden mit der Konstruktion“, sagt der stolze Sesselliftbesitzer. „In Bieber mag das ja etwas Besonderes sein, aber in dem Skigebiet stehen ganz viele Gondeln in den Gärten.“

Wegen des Coronavirus muss die Einweihungsparty nun ausfallen, aber klar, dass der erste Bieberer Skilift mit einer ganz großen Fete eingeweiht wird – spätestens zum ersten Schneefall 2020. (GNZ)+++

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