MAIN-KINZIG-KREIS

Der große KINZIG.NEWS-Report: Wie „rechts“ ist der Main-Kinzig-Kreis wirklich?

Der Tatort im Februar in Hanau, die Arena Bar - Fotos: Archiv


Freitag, 29.05.2020
von MORITZ PAPPERT

MAIN-KINZIG-KREIS - Genau drei Monate ist es mittlerweile her, dass Tobias R. aus rassistischen Motiven neun Menschen mit Migrationshintergrund in Hanau tötete. Danach soll der 43-Jährige auch seiner Mutter und sich selbst erschossen haben. Die Tat sorgte für Entsetzten. Am 2. Juni jährt sich außerdem der Mord an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Erschreckend ist: In den letzten Monaten und Jahren haben sich Vorfälle mit rechten Tendenzen gehäuft. Gibt es im Main-Kinzig-Kreis ein rechtes Netzwerk? Wie „rechts“ ist dieser Landkreis wirklich? 

März 2006

Unter der Federführung des Hessischen LKA wurde im März 2006, bei einer bundesweiten Razzia gegen „Combat 18“ (zu deutsch „Kampftruppe Adolf Hitler), bei sieben Personen aus Hessen das Haus durchsucht. Eine Person soll aus dem Main-Kinzig-Kreis kommen. Den Beschuldigten wurde vorgeworfen, Propagandamittel mit strafrechtlich relevantem Inhalt verbreitet und eine eigene Sektion der Vereinigung Combat 18 in Hessen aufgebaut zu haben. Von ihnen wurden in der Vergangenheit sogenannte Skinheadkonzerte veranstaltet sowie Tonträger mit teilweise volksverhetzenden Inhalten und dementsprechende Kleidungsstücke vertrieben. Ihr Ziel soll die Verbreitung der nationalsozialistischen Weltanschauung über die Musik mit der Gewinnung von Jugendlichen für die Ideologie des Nationalsozialismus gewesen sein. 

Februar 2017

Nach Angaben des hessischen Verfassungsschutzes gehe die Gruppierung „Freier Widerstand Hessen“ aus dem Main-Kinzig-Kreis hervor. Laut dem Nachrichtenportal op-online.de soll dies eine Nachfolgeorganisation von „Nationale Sozialisten Main-Kinzig“ sein. Diese Gruppierung stellte Anfang 2015 ihre Aktivitäten ein. Im Februar 2017 soll nach Angaben des Nachrichtenportals ein neuer Internetauftritt in Erscheinung getreten sein. Diesmal unter dem Namen „Freier Widerstand Main-Kinzig“. Als diese Seite nicht mehr zu erreichen war, soll eine Gruppe namens „Freier Widerstand Hessen“ aufgetaucht sein. Laut op-online.de schloss der Verfassungsschutz aus dem identischen Seiteninhalt daraus, dass sich die Gruppierung erneut umbenannt habe.  

Mai 2017

Am 1. Mai 2017 steigt ein Mann aus einem Auto in Halle (Saale) und macht Jagd auf eine zufällig vorbeikommende Wandergruppe, bewirft sie mit Steinen und schlägt mit einem dicken Stromkabel auf ein Mitglied der Gruppe ein. Der Täter ist Carsten M. aus Linsengericht. Er gilt als Anführer einer Neonazigruppe, gegen die die Generalbundesanwaltschaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, die "Aryans" (deutsch: Arier). Im Februar 2019 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. 

Januar 2018

In einem Wohnhaus in Wächtersbach findet die Polizei bei einem mutmaßlichen Reichsbürger ein Waffenarsenal. 13 Pistolen, Gewehre und Revolver und über 10.000 Schuss Munition sind bei dem SEK-Einsatz sichergestellt worden. Außerdem wurden im Keller ein Hitler-Bild an der Wand, Kerzen in Hakenkreuz-Form und andere Nazi-Devotionalien gefunden. Der 54-Jährige wurde zu einer 15-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. 

Juli 2018 

Ein erschütterndes Video taucht auf Facebook auf: Eine Fußballmannschaft aus Mühlheim wird während eines Trainingslagers bei einem Dorffest in Birstein ausländerfeindlich diskriminiert und vertrieben. Sätze wie "Ausländer raus", „Ihr Pisser" oder "Ihr seid alle tot" sind zu hören. "Wir wurden daraufhin wie Schafe von Wölfen ins Hotel getrieben und mussten uns jegliche Art von Beleidigungen und Androhungen anhören," schreibt ein Beteiligter auf Facebook. Die Polizei ermittelte wegen Volksverhetzung.  

Der Schütze von Wächtersbach richtete sich selbst
Der Schütze von Wächtersbach richtete sich selbst
Hier wurde der Eritreer angeschossen
Hier wurde der Eritreer angeschossen

Juli 2019

In Wächtersbach wird ein 26-jähriger Eritreer aus einem fahrenden Auto angeschossen. Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Der mutmaßliche Schütze Roland K. (55) flüchtet und tötet sich anschließend selbst. In seiner Wohnung wurden Waffen und Gegenstände aus der rechtsextremen Szene gefunden. Aus einem Abschiedsbrief geht hervor, dass er aus fremdenfeindlichen Motiven handelte. Bereits Monate zuvor soll er in einer Kneipe in Biebergemünd seine Tat angekündigt haben. Dort soll er Sprüche wie "Wenn ich geh, nehme ich einen oder mehrere mit“ gesagt haben. Laut Kneipenwirt Dirk R. war das nur „Kneipengebabbel.“ Medienberichten zufolge soll Roland K. wenige Stunden vor der Tat erklärt haben, er knalle nun einen Flüchtling ab. Anschließend setzte er sich in sein Auto und schoss drei Mal auf den 26-jährigen Eritreer. Er überlebte schwer verletzt. Nach den Schüssen kam Roland K. zurück in die Kneipe und trank Bier. Das berichtet der Kneipenwirt Dirk R. Auch er ist durch Posts in sozialen Netzwerken selbst in Verdacht geraten, zur rechten Szene zu gehören 

September 2019 

Mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP wurde in Altenstadt-Waldsiedlung (Wetterau) der stellvertretende hessische NPD-Landesvorsitzende, Stefan Jagsch, zum Ortsvorsteher gewählt. Sogar internationale Medien wie die „Washington Post“ berichteten darüber. Die Wahl löste bundesweite Empörung aus. Knapp sechs Wochen später wurde er wieder abgewählt. Zu seiner Nachfolgerin wurde die 22 Jahre alte CDU-Politikerin Tatjana Cyrulnikov gewählt. 

Dezember 2019

In der Silvesternacht wurde ein 24 Jahre alter Mann aus Biebergemünd in Darmstadt festgenommen. Er soll den Hitler-Gruß gezeigt haben und einen Mann mit einer Schreckschusswaffe auf den Kopf geschlagen haben. Wie das Nachrichtenportal echo-online.de berichtet, soll auch der Staatsschutz gegen den Mann ermitteln. 

Februar 2020

Am 19. Februar tötete Tobias R. neun Menschen mit Migrationshintergrund. Danach soll der 43-Jährige auch seiner Mutter und sich selbst erschossen haben. Tobias R. erschießt in der Shisha-Bar „Midnight“ am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt fünf Menschen. Dann fährt er weiter zum Kurt-Schumacher-Platz hier sterben weitere vier Personen. Ganz Deutschland war fassungslos. Fast alle Medien, selbst internationale, berichteten über die Tat. Bei der Trauerfeier wenige Wochen später waren sogar Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor Ort. Die Stadt steht noch heute unter Schock. 

Der ermordete Regierungspräsident Walter Lübcke
Der ermordete Regierungspräsident Walter Lübcke
Auf seiner Terrasse wurde der Regierungspräsident erschossen
Auf seiner Terrasse wurde der Regierungspräsident erschossen
Auch Ex-Landrat Erich Pipa wird bedroht
Auch Ex-Landrat Erich Pipa wird bedroht

Drohungen gegen Ex-Landrat

Dass rechtsextreme Drohungen keine Bagatelle sind, zeigt der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke am 2. Juni 2019. Auf der Terrasse seines Wohnhauses in der Nähe von Kassel wurde er aus kurzer Distanz mit einer Pistole in den Kopf geschossen. Der mutmaßliche Täter Stephan E. nennt als Tatmotiv positive Äußerungen Lübckes zur Aufnahme von Flüchtlingen 2015. Bereits dort erhielt er zahlreiche Anfeindungen und Morddrohungen.  

Auch der ehemalige Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Erich Pipa, wird seit Jahren bedroht. Nach dem Satz "Das Boot ist nicht voll“ und seinem öffentlichen Einsatz für Flüchtlinge bekommt er seit 2015 immer wieder anonyme Todesdrohungen. Auch 2019 soll er noch Drohungen wie "Wir kriegen dich doch noch" bekommen haben. Das berichtet hessenschau.de. Eine "Initiative Heimatschutz Kinzigtal" beschimpfte den ehemaligen Landrat mit "Kanaken-Landrat" und "stinkende Ratte". Ihm wurde angekündigt, man könne während des Rad-Events „Kinzigtal total“ "jederzeit jemanden in der Besucherschar platzieren, der dich aus dem Weg räumt". 2017 gab er schließlich das Amt ab. 

Der Tatort am Heumarkt in Hanau
Der Tatort am Heumarkt in Hanau
Der Tatort Arena Bar
Der Tatort Arena Bar
Der mutmaßliche Täter von Hanau Tobias R.
Der mutmaßliche Täter von Hanau Tobias R.

Im Main-Kinzig-Kreis bekam die AfD bei der Europawahl 2019 12,5 Prozent. Das sind 20.730 Stimmen für die AfD, 462 für die NPD, 38 für den III. Weg und 101 für die Rechte. Bei der Landtageswahl 2018 holte die AfD im Kreis 16,4 Prozent - im Sinntal sogar 23,1 Prozent. Im Kreistag des Main-Kinzig-Kreises sitzen derzeit 12 Abgeordnete der AfD. Auch die von der AfD zur Bundestagsvizepräsidentin vorgeschlagene Mariana Harder-Kühnel, die bei der Bundestagswahl 2017 auf Platz eins der hessischen Landesliste für die AfD antrat und seit 2017 für die AfD im Bundestag sitzt, stammt aus Gelnhausen.  

55 „rechte“ Taten im Jahr 2018

Laut statistischer Erfassung beim Hessischen Landeskriminalamt (HLKA) gab es im Jahr 2018 insgesamt 55 rechtsmotivierte Straftaten im Main-Kinzig-Kreis (MKK). In ganz Hessen waren es 600. Für das Jahr 2019 liegen noch keine Zahlen vor. „Insgesamt konnte jedoch bis 2018 eine Steigerung der Fallzahlen festgestellt werden“, so eine Polizeisprecherin des Polizeipräsidiums Südosthessen auf Nachfrage. Detaillierte Erkenntnisse über ein rechtes Netzwerk im Main-Kinzig-Kreis liegen dem Polizeipräsidium jedoch nicht vor. „Bis 2018 war die Gruppierung "Freier Widerstand Hessen" (FWH) aus dem Main-Kinzig-Kreis bekannt. Die Gruppierung fiel letztmalig im Juni 2018 durch eine Banneraktion, überwiegend im Bereich MKK und Wiesbaden, auf. Seit Juli 2018 konnten keine weiteren Aktivitäten mehr festgestellt werden. Auch auf den sozialen Medien ist der FWH seit August 2018 nicht mehr aktiv“, teilt die Pressestelle der Polizei auf Nachfrage mit. 

Weitere rechte Gruppierungen, die dem Main-Kinzig-Kreis zugeordnet werden können, seien nicht bekannt. Eine "rechte Bedrohung" gebe es derzeit im Main-Kinzig-Kreis nicht. „Bei den für den MKK registrierten Straftaten handelt es sich überwiegend um sogenannten Propagandadelikte beziehungsweise Hasskriminalität. Hierunter fallen zum Beispiel das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in den sozialen Medien“, so die Polizeisprecherin. Andere Delikte, insbesondere rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Gewaltdelikte, lägen im Bereich des Polizeipräsidiums Südosthessen seit je her auf sehr niedrigem Niveau. Dies gelte auch für den Main-Kinzig-Kreis. +++

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