HANAU

Sekten-Chefin Sylvia D. (73) wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt

Sekten-Chefin Sylvia D. - Foto: Moritz Pappert


Donnerstag, 24.09.2020

HANAU - Um kurz vor zehn richten sich an diesem Morgen die Augen der anwesenden Pressefotografen zur Tür, durch die gleich Sylvia D. den Paul-Hindemith-Saal im CPH betreten wird, der wegen des großen öffentlichen Interesses heute nochmals als Gerichtssaal fungiert. Sie wird jenen nicht mehr als freier Mensch verlassen. Wenige Minuten später verkündet der Vorsitzende Richter Dr. Peter Graßmück das Urteil: schuldig. Nach Überzeugung der Kammer hat die Angeklagte am 17. August 1988 den damals vierjährigen Jan H. getötet und muss deshalb lebenslang hinter Gitter.

"Es gruselt einen, wenn man Revue passieren lässt, was um sie und ihre Gemeinschaft herum passiert ist", konstatiert Richter Graßmück, und tut in seiner zweistündigen Urteilsbegründung eben das: jene Ereignisse Revue passieren lassen, die dazu führten, dass an einem Augusttag vor 32 Jahren ein unschuldiges Kind starb. Er spannt den Bogen von der besonderen Rolle Sylvia D.s, ihrem Selbstverständnis als etwas Besonders, eine Auserwählte. Einen Menschen, in dem Gott wirkt, wie einst in Jesus Christus und der direkt mit ihm kommunizieren kann - und damit seine herausgestellte Position in der Gruppe, die nach Auffassung der Kammer zweifelsfrei eine Sekte ist, begründet und immer wieder einfordert.

Eine besondere Rolle sei dabei ihrer Auffassung von Kindererziehung zugekommen, wobei Graßmück hier von Indoktrination spricht. Schläge, Tritte, stundenlanges Eingesperrtsein, trockenes Brot als einzige Nahrung und enormer psychischer Druck, das bedeutete es, im Umfeld von Sylvia D. aufzuwachsen. Der Alltag als "Minenfeld", so hatte es ihr leiblicher Sohn Manuel vor Gericht genannt. Doch nicht nur er, sein Bruder Martin und die sogenannten Aussteiger, die sich laut Verteidigung der 73-Jährigen zu einer Rufmordkampagne zusammengetan haben, schilderten derlei "Erziehungsmethoden" - auch aus den Tagebuchaufzeichnungen und Briefen anderer Mitglieder der Gemeinschaft wurde ersichtlich, dass der Umgang mit Kindern von Gewalt und Zwang geprägt war - nach Lesart der Anhänger Sylvia D.s selbstredend zu deren Besten.

Auf dem Weg in die JVA: Nach Verkündung des Urteils erging ein Haftbefehl gegen Sylvia D - Foto: Schmidt

Auf dem Weg in die JVA: Nach Verkündung des Urteils erging ein Haftbefehl gegen Sylvia D - Foto: Schmidt

Mord durch Unterlassen

Eine besondere Rolle kam hierbei Jan zu, dem kleinen Sohn von Claudia und Helmut H., damals wie heute überzeugte Anhänger Sylvia D.s. Die "Reinkarnation Hitlers", ein "machtsadistisches Schwein" und ein Kind, das sich ganz bewusst für die "dunkle Seite" entschieden habe, habe Sylvia D. in ihm gesehen. Seit März 1985 befand sich der damals 15 Monate alte Junge dauerhaft in der Betreuung der Angeklagten - "und spätestens ab da nahm das Unglück für Jan seinen Lauf", sagt Graßmück. 

Das Kind wurde, das war im Rahmen der Beweisaufnahme herausgearbeitet worden, an Haaren und Ohren gezogen, in seiner uringetränkten Hose liegengelassen, kalt abgeduscht und zwangsgefüttert. All das hinterließ Spuren: Bei seiner letzten U-Untersuchung mit zwei Jahren war Jan ein deutlich untergewichtiges Kind. "Die Kammer ist felsenfest davon überzeugt, dass die Torturen, die Jan erdulden musste, seine normale Entwicklung behinderten", folgert Graßmück. 

Jans Situation innerhalb der Gruppe habe sich in den Monaten und Wochen vor seinem Tod immer weiter zugespitzt, seine Rolle als Störfaktor in der Gruppe immer deutlicher herausgearbeitet. 

Das Gericht folgte in seinem Urteil letztlich dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Anklage hatte der 73-Jährigen Mord durch Unterlassen an dem damals Vierjährigem vorgeworfen und eine lebenslange Haftstrafe gefordert. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Sie hatte mit einer „Hetzkampagne angeblicher Sekten-Aussteiger“ argumentiert. (nic) +++

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