Alt & Jung Chancenpatenschaften in der Pandemie

Mittwoch, 09.12.2020
HANAU - Das Projekt "Alt & Jung Chancenpatenschaften", das in Hanau im Rahmen des Bundesprogramms "Menschen stärken Menschen" seit vier Jahren umgesetzt wird, unterstützt jüngere Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Lebenserfahrene ehrenamtlich engagierte Seniorinnen und Senioren (Paten) unterstützen jungen Menschen (Patenkinder), die durch ihre Lebenslage, Alleinerziehung oder Migrationshintergrund, oftmals von sozialer Benachteiligung betroffen sind.
Die Paten und Patinnen unterstützen in allen Lebensbereichen: Hausaufgaben, Hilfe beim Schulübergang, Begleitung bei der Ausbildungssuche, bei der Kommunikation mit Behörden oder Ärzten, Wohnungssuche, Freizeitgestaltung und vielem mehr. Das Hanauer Seniorenbüro wird dabei in der Praxis von der Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros e.V. (BaS) begleitet und gefördert.
"Seit Start des Projektes 2016 sind zahlreiche Patenschaften entstanden und viele Projekte wurden gemeinsam umgesetzt", berichtet Barbara Heddendorp, Koordinatorin des Projekts beim Seniorenbüro. "Beispielsweise Kunst ohne Grenzen und Hochbeete in der Flüchtlingsunterkunft, Soziale Stadterkundungen für Einwanderer und der Babbeltreff, ein soziales Miteinander für alle die ihr Deutsch üben wollen", zählt sie auf. Mit Beginn der Corona-Pandemie habe sich jedoch auch das Projekt Alt & Jung Chancenpatenschaften neu aufstellen müssen, berichtet Heppendorp: "Wo immer es möglich war, wurden Treffen zwischen Patinnen und Paten und Patenkinder weiter fortgeführt, natürlich unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Corona-Maßnahmen", erzählt sie.
Schnell sei man aber auch auf die Möglichkeit der digitalen Kommunikation ausgewichen. "Die Bereitschaft der freiwillig Engagierten im Projekt an digitalen Fortbildungen und Konferenzen teilzunehmen ist sehr groß gewesen!", sagt Heddendorp und seitens des Seniorenbüros habe man diesen Prozess mit allen Mitteln tatkräftig unterstützt und verschiedene Schulungen zum Thema angeboten: "Testen, Ausprobieren, Fragen stellen, Lernen in kleinen Gruppen ohne Stress und Druck, mit Empathie und Geduld und Unterstützung bei der Technik tragen maßgeblich zur erfolgreichen Teilhabe an Digitalisierungsprozessen bei und an der Fortführung des Projektes Chancenpatenschaften", sagt Heddendorp.
"So gesehen hat die Corona-Pandemie hier als Beschleuniger gedient, denn ohne sie hätten wir sicherlich nicht so schnell versucht digitale Onlineformate umzusetzen" sagt Bürgermeister Axel Weiss-Thiel. "Unsere Aufgabe wird jetzt und in der Zukunft sein, Menschen mit der digitalen Technik vertraut zu machen, ihnen bei Bedarf Endgeräte zum Üben zur Verfügung zu stellen und Weiterbildung im digitalen Bereich für alle Altersgruppen zu ermöglichen." Das Seniorenbüro und die Freiwilligenagentur hätten sich hier bereits zu Beginn der Pandemie sehr erfolgreich auf den Weg gemacht, um mit Hilfe der digitalen Medien Engagement und Unterstützung von Menschen zu ermöglichen. "Da können andere sich ein Vorbild daran nehmen!", lobt der Bürgermeister.
Im Mai 2020 während des ersten Lockdown zu Beginn der Corona Pandemie startete das Seniorenbüro Hanau sogar ein neues Online-Projekt im Rahmen der Alt & Jung Chancenpatenschaften. Auslöser war eine E-Mail der türkischen Ärztin Fatma Fidan, die für sich und neun weitere Menschen, die aus der Türkei zugezogen sind und in Deutschland arbeiten möchten, virtuelle Gesprächspartner*innen suchte, mit denen sie ihre Deutschkenntnisse üben konnten. "Uns allen fehlt es an Möglichkeiten das Sprechen zu üben, denn es fehlen die Kontakte zu Deutschen – vor allem im Lockdown", berichtete Fidan.
Das Hanauer Seniorenbüro startete gemeinsam mit freiwillig engagierten Menschen innerhalb von kürzester Zeit ein Online-Sprachcafé mit dem Video-Konferenzprogramm Zoom. Seither trifft man sich virtuell: einmal wöchentlich von 17:45 Uhr bis 19 Uhr verabreden sich alle Teilnehmenden per Zoom um sich auszutauschen und die deutsche Sprache zu üben. "Das Online-Sprachcafé startet mit einem Austausch der ganzen Gruppe, manchmal auch mit einem gemeinsamen Spiel bevor es zum Lernen in die virtuellen Kleingruppen geht", berichtet Heddendorp. In virtuellen Kleingruppen, den sogenannten Breakout Sessions, übe eine ehrenamtliche Sprachmittlerin mit ein bis zwei Schülern. "Themen sind unter anderem anstehende Vorstellungsgespräche, Vorbereitung auf das Studium, Prüfungsvorbereitung, Austausch über Interessen, Informationen aus den Heimatländern, Redewendungen und alltägliche Lebenssituation."
"Zu Beginn des Sprachcafés im Mai beteiligten sich vier ehrenamtliche Frauen und neun Teilnehmerinnen. Heute sind es neun Engagierte und zwischen 10 und 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Türkei und aus Eritrea. Die Tendenz ist steigend und das Interesse sehr groß", berichtet Heddendorp. Aus diesem Grund freue sich das Seniorenbüro auch über weitere Freiwillige, die Lust hätten, an den regelmäßigen Zoom-Treffen teilzunehmen und mit den Lernwilligen im lockeren Gespräch die deutsche Sprache zu üben.
Fatma Fidan, die das Projekt angestoßen hat, ist Fachärztin für Pneumologie. Im Oktober dieses Jahres wurde ihr die Approbation als Ärztin erteilt. Sie übt zusätzlich zum Sprachcafé an einem weiteren wöchentlichen Termin mit der ehrenamtlichen Sprachmittlerin Gerda Methfessel. "Ich habe im Sprachcafé viel gelernt und dadurch meine Sprache sehr verbessert", berichtet Fidan. Methfessel habe mit ihr Arzt und Arzt-Patientengespräche geübt, die sie in der Praxis habe anwenden können. Aber auch Methfessel profitiert von dem Austausch: "Das Lernen mit Fatma Fidan macht mir sehr große Freude. Ich lerne viel von ihr, über ihre Kultur und wie es sich anfühlt in Deutschland als Ärztin zu arbeiten", berichtet sie.
Hamide Özdemir hat in der Türkei als Lehrerin gearbeitet und übt mit Sprachmittlerin Erika Grönegress. Sie hat in der Zwischenzeit ein Praktikumsplatz in einer Kindertagesstätte erhalten mit der Aussicht einer festen stundenweisen Beschäftigung." Mein Ziel ist es, mein Deutsch so zu verbessern", dass ich auch in Deutschland wieder als Lehrerin arbeiten kann. Erika unterstützt mich sehr und ich kann sie immer alles fragen", berichtet Hamide Özdemir. "Mir macht es großen Spaß, mit Hamide zusammenzuarbeiten und ihr behilflich zu sein. Die deutsche Sprache funktioniert ganz anders als Türkisch und es ist nicht leicht, sie zu erobern", erzählt Erika Grönegress .
Im August, als Lokale wieder geöffnet und die Covid-19-Zahlen niedrig waren, trafen sich die Teilnehmenden des Sprachcafés zum ersten Mal "live" bei einem gemeinsamen Abendessen. "Leider ist das im Moment nicht möglich, aber die Vorfreude sich bald wiedersehen dürfen, bleibt. So lange begegnen wir uns weiter im Online-Sprachcafé", sagt Organisatorin Heddendorp.
Wie Heddendorp berichtet, gibt es für 2021 viele Pläne: Geplant ist beispielsweise die Einrichtung eines Online-Lesecafés im Projekt Alt & Jung Chancenpatenschaften. Auch sollen Engagierte an iPads geschult und Endgeräte für die Hausaufgabenhilfe zur Verfügung gestellt werden. Ebenfalls vorgesehen ist der Start des Projektes ‚Generationen, Kulturen und Vielfalt‘ im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie Leben, das um Schnittstellen und Synergien zu den Alt&Jung Chancenpatenschaften nutzen wird und Aspekte davon aufgreift.
"Das Seniorenbüro mit seinen ehrenamtlich engagierten Seniorinnen und Senioren, tut viel, um die aktuellen Hürden in der Pandemie zu überwinden und Menschen auch in dieser schwierigen Zeit tatkräftig zu unterstützen!", sagt Bürgermeister Weiss-Thiel. Gleiches gelte auch für die Freiwilligenagentur der Stadt Hanau. "Ohne die unsere ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und ihren großen Einsatz für ihre Mitmenschen stünde die Stadt Hanau wesentlich schlechter da! Es ist hoch anzuerkennen, dass sie auch in schwierigen Zeiten so aktiv und engagiert bleiben", betont Weiss-Thiel. (PM) +++