Corona-Pandemie: Landrat Thorsten Stolz im KN-Interview über Ausgangssperre, Schulen und Hanau

Donnerstag, 10.12.2020
von HANS-HUBERTUS BRAUNE
GELNHAUSEN - Gerade in den sozialen Medien werden die Corona-Maßnahmen im Main-Kinzig-Kreis diskutiert. Warum wird Hanau nicht extra bewertet, die Stadt würde die Zahl der Neuinfektionen im gesamten Main-Kinzig-Kreis beeinflussen? Ist eine Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr im gesamten Main-Kinzig-Kreis sinnvoll? Die Meinungen gehen weit auseinander.
Landrat Thorsten Stolz (SPD) erklärt im KINZIG.NEWS-Interview die Zusammenhänge und macht klar, dass die Corona-Pandemie den gesamten Main-Kinzig-Kreis betrifft. Ein weiteres Thema ist der Wechselunterricht an den Schulen. Dieser wird im Main-Kinzig-Kreis seit mehreren Wochen bereits praktiziert.
KINZIG.NEWS: Auch im Main-Kinzig-Kreis soll es eine Ausgangssperre zwischen 21 Uhr und 5 Uhr geben. Kann diese Maßnahme aus Ihrer Sicht wirkungsvoll helfen, die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus zu reduzieren?
Thorsten Stolz: Die durch das Land Hessen angeordnete nächtliche Ausgangssperre ist mit Sicherheit ein Instrument, um einem weiteren Anstieg von Neuinfektionen entgegenzuwirken. Ich betrachte das aber nicht als „Allheilmittel“. Eine solche Maßnahme hat natürlich eine gewisse Symbolkraft, um hoffentlich auch „dem Letzten“ klar zu machen, dass die Situation ernst ist und ein Bewusstsein für die aktuelle Lage zu schaffen. Sie ist ein klares Signal dahingehend, jetzt noch achtsamer zu sein und vor allem private Kontakte zu reduzieren und am Abend eben nicht mehr zu einer Feier im privaten Umfeld aufzubrechen. Mit Sicherheit wird die Ausgangssperre einen Beitrag zur Reduzierung von vermeidbaren Kontakten leisten. Und hier setzt ja auch das Verbot von Alkoholkonsum im öffentlichen Bereich und die Abgabe von Alkohol zum sofortigen Konsum an.
KINZIG.NEWS: In den sozialen Medien wird häufig kritisiert, dass die Zahl der Neuinfektionen und die Sieben-Tages-Inzidenz von Hanau und den ländlichen Regionen im Main-Kinzig-Kreis zusammengefasst werden. Halten Sie eine Differenzierung zwischen Hanau und dem "Rest" vom Main-Kinzig-Kreis für sinnvoll und zielführend?
Thorsten Stolz: Zunächst muss man wissen, dass in der Bewertung immer der gesamte Landkreis betrachtet wird. Natürlich schauen wir uns im Kreis aber jeden Tag auch das Geschehen in allen Städten und Gemeinden unseres Landkreises an. Und natürlich hat die Stadt Hanau in absoluten Zahlen mehr Neuinfektionen als kleinere Städte und Gemeinden und natürlich einen überdurchschnittlichen Inzidenzwert, der aktuell bei über 300 liegt. Aber, und das ist ganz wichtig: Das Infektionsgeschehen im Main-Kinzig-Kreis ist nicht auf Hanau oder den westlichen Teil des Landkreises alleine zurückzuführen oder darauf beschränkt, was immer wieder falsch dargestellt wird. Wir haben ein sehr dynamisches Infektionsgeschehen über den gesamten Landkreis hinweg verteilt. Und zwar in städtisch und ländlich geprägten Strukturen gleichermaßen. Ich will das an einigen Kommunen und den aktuellen Inzidenzwerten deutlich machen: Bad Soden Salmünster (312), Birstein (307), Erlensee (205), Gelnhausen (258), Maintal (258), Nidderau (244), Schlüchtern (289), Sinntal (316) und Wächtersbach (261). Genau das zeigt, wie sich das Infektionsgeschehen über den Landkreis verteilt darstellt, was aber durch die Vernetzungen und Verflechtungen mit der Rhein-Main-Region normal ist. Und genau deshalb ist es auch notwendig, dass Maßnahmen nicht auf Hanau alleine beschränkt werden, sondern natürlich der gesamte Landkreis betrachtet werden muss.
KINZIG.NEWS: Im Main-Kinzig-Kreis wird in den Schulen der viel diskutierte Wechselunterricht angeboten. Hat sich diese Maßnahme auf die Zahl der Neuinfektionen messbar ausgewirkt?
Thorsten Stolz: Absolut richtig. Was andernorts jetzt erst diskutiert oder umgesetzt wird, ist im Main-Kinzig-Kreis bereits seit Wochen Realität: Der Wechselunterricht ab der Jahrgangsstufe 7. Wir haben dies bereits vor Wochen verfügt, als sich das Infektionsgeschehen insgesamt verschärft hat. Das haben wir nicht getan, weil es ein großes Ausbruchs- und Infektionsgeschehen an den Schulen selbst gegeben hätte, sondern um Kontakte durch durchgängigen Präsenzunterricht zu reduzieren, die Situation an den Schulen zu entspannen und auch im Bereich der Schülerbeförderung zu entzerren. Wir haben das aber auch getan, weil natürlich jede einzelne Infektion an Schulen auch immer arbeitsreiche Folgen für unser Team „Schule und Kitas“ im Gesundheitsamt hat und eine große Herausforderung darstellt: So haben wir zwar aktuell gerade einmal 70 Infektionen unter Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften an insgesamt 44 betroffenen Schulen, aber es sind mehr als 677 Kontaktpersonen in Absonderung und 1.015 unter Beobachtung. Das macht die Herausforderung in den Schulen deutlich.
Natürlich kann ich heute nicht sagen, wie die Entwicklung in den Schulen verlaufen wäre ohne die Umsetzung des Wechselunterrichts, aber ich glaube, dass dies unter der Abwägung aller Aspekte die richtige Entscheidung war. Aber auch das sage ich an dieser Stelle sehr deutlich: Gerade im Hinblick auf die Schulen werden sie es niemals schaffen, allen Bedürfnissen, Erwartungshaltungen und Interessenlagen gleichermaßen gerecht zu werden.
KINZIG.NEWS: Wie kann es gelingen, die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen weiter zu erhöhen?
Thorsten Stolz: Ich habe dafür ehrlich gesagt kein Patentrezept, aber wichtig ist es, immer und immer wieder zu erklären. Wir als Main-Kinzig-Kreis machen dies fortlaufend und ich als Landrat versuche ebenfalls immer wieder Zusammenhänge aufzuzeigen, zu erklären und natürlich Halt und Orientierung in dieser sehr herausfordernden Zeit zu geben.
Wichtig ist das Bewusstsein in den Köpfen von uns allen, dass die erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie nicht alleine in den Händen von Verantwortungsträgern im Bund, im Land oder auf der Ebene des Main-Kinzig-Kreises liegt, sondern jeder durch sein eigenes Verhalten und Zutun einen Beitrag leisten muss. Am Ende ist es mit Sicherheit ein Mix aus Rücksichtnahme und Achtsamkeit im Alltag, der Reduzierung der persönlichen Kontakte, das Nichtnachlassen bei der Kontaktnachverfolgung und auch der Beginn der Impfungen.
Ich weiß, dass dies auch für die Menschen im Main-Kinzig-Kreis eine schwierige Zeit ist und dass auch einige an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geraten. Aber gerade deshalb sind Solidarität und Zusammenhalt wichtiger denn je, Schuldzuweisungen und Vorwürfe helfen uns in dieser Situation kein bisschen weiter. Wir bekommen das nur gemeinsam hin!
KINZIG.NEWS: Welche weiteren Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht notwendig, um die Zahl der Neuinfektionen deutlich zu senken?
Thorsten Stolz: Jeder, der einen Einblick in das Geschehen hat, der weiß, dass - neben den aktuellen Maßnahmen - nicht mehr viel kommen kann. Wenn es nicht gelingt, die Zahl der Neuinfektionen zu senken und somit die Krankenhäuser und Kliniken zu entlasten, und zwar deutschlandweit, kann es nach den jetzt zusätzlich ergriffenen Maßnahmen in einem letzten Schritt nur noch zur Schließung von Geschäften, Schulen und Betreuungseinrichtungen kommen. Und genau das will niemand! Deshalb: Lasst es uns gemeinsam anpacken! +++