MAIN-KINZIG-KREIS

Gesundheitsdezernentin Simmler im K.N-Interview: So bekommen wir die Krise in den Griff!

Susanne Simmler in ihrem Büro - Fotos: Moritz Pappert, Archiv


Dienstag, 19.01.2021
von MORITZ PAPPERT

MAIN-KINZIG-KREIS - Die Lage im Main-Kinzig-Kreis ist weiterhin angespannt. Hohe Corona-Zahlen, volle Kliniken und viele Todesfälle - eine Besserung ist nicht in Sicht. Wir haben im K.N-Interview mit Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler (SPD) über die aktuelle Situation, den Sommer im Main-Kinzig-Kreis und die Öffnung der Impfzentren gesprochen:

Frau Simmler, was erwartet uns im Main-Kinzig-Kreis in diesem Jahr? Wie wird unser Sommer?

"Ich glaube nicht, dass es derzeit irgendjemandem möglich ist, über einen so langen Zeitraum hinweg schon jetzt eine verlässliche Voraussage zu treffen. Das hängt ganz davon ab, was wir in den nächsten drei bis vier Wochen erleben werden, wie sehr wir alle uns weiterhin an die Regeln des Abstandes, der wenigen Kontakte und der Hygiene halten und es hängt auch davon ab, wie gut wir die Menschen motivieren können, sich impfen zu lassen. Beim Impfen hängt es natürlich auch von der Frage ab, wie schnell genügend Impfstoff kommt, um den Bedarf decken zu können. Im Sommer wollen wir, glaube ich, alle einige Schritte näher an dem Leben sein, das wir kennen und das sich für uns normal anfühlt. Wobei ich davon ausgehe, dass wir auch im Sommer weiterhin Einschränkungen erleben werden und auch weiterhin die Hygieneregeln einhalten müssen. "

Rückblickend betrachtet, wie ist der Main-Kinzig-Kreis bisher durch die Krise gekommen?

"Für jeden Menschen, der im Kreis Todesfälle in der Familie oder im Freundeskreis zu verzeichnen hat oder schwere Krankheitsverläufe erlebt hat, sind wir natürlich nicht gut durch die Krise gekommen. Besonders tragisch waren und sind die Ausbruchsituationen in Pflegeheimen. Für jeden Unternehmer, der seit Wochen in einer mehr als schwierigen Situation ist und jeden Arbeitnehmer, der vielleicht auch seit Monaten schon in Kurzarbeit ist oder der nicht weiß, wie es weiter gehen soll, sind wir ganz individuell nicht gut durch die Krise gekommen. Ich glaube, wir sind uns auch alle einig darüber, dass wir uns all das schon lange anders wünschen würden. Die Bewertung ist also für viele Bereiche ganz individuell. Aber insgesamt gesehen haben wir, glaube ich, hier vor Ort, in den Städten und Gemeinden, im Kreis und insgesamt in unserem Land mehr richtig als falsch gemacht. Alle gemeinsam. 

Es gibt ein interessantes Darstellungsmodell aus der Schweiz, das besagt, dass mindestens 50 Prozent aller Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus auf der Eigenverantwortung und dem Verhalten von uns allen beruhen. Und da haben sich wirklich viele Menschen gemeinsam vorgenommen, das in den Griff zu bekommen und verhalten sich auch so. Das halte ich für eine gute Nachricht. Das werden wir aber auch noch ein paar Wochen, vielleicht auch Monate mehr miteinander tun müssen. Es liegt wirklich an jedem Einzelnen und seinem Verhalten, wie wir weiterhin durch die Pandemie kommen. Ist das Virus erstmal in einem Pflegeheim oder einem Krankenhaus angekommen, dann zieht es im schlimmsten Fall seine Kreise und wir müssen hart daran arbeiten, eine weitere Ausbreitung zu verhindern. "

Wann öffnen die Impfzentren?
Wann öffnen die Impfzentren?
v.l.: Susanne Simmler, Oberbürgermeister Claus Kaminsky und Landrat Thorsten Stolz
v.l.: Susanne Simmler, Oberbürgermeister Claus Kaminsky und Landrat Thorsten Stolz

Was hätten Sie anders gemacht, mit dem Wissen, das sie jetzt haben?

"In so einer Situation gibt es rückblickend immer Dinge oder Entscheidungen, wo man sagt, das hätten wir anders machen können oder sollen. Aber in so einer Situation wie dieser Pandemie war bisher keiner von uns – weder wir hier im Kreis, noch im Land oder im Bund, kein Arzt, kein Unternehmer, kein Politiker. Es ist ein stückweit immer wieder ein Abwägen: Was sagen die Experten, wie ist die rechtliche Situation, welche Prognosen gibt es, welche Einschätzungen – was ist umsetzbar? Deshalb will ich auch keine pauschale Kritik üben, weil es für uns alle eine neue Situation ist. Im Herbst glaube ich, hätten wir schon viel früher und vielleicht sogar noch härter das öffentliche Leben herunter fahren müssen. „Vor die Lage kommen“ – das ist nur schwer zu erreichen, aber wir müssen es glaube ich noch mehr und immer wieder alles dafür tun. Auch mit Blick auf die nächsten Wochen. Was ich gut und wirklich ermutigend fand, ist das Zusammenspiel auf kommunaler Ebene – die Städte und Gemeinden und wir als Kreis. Das hat immer sehr gut funktioniert. Das beweist auch nochmal unsere Stärke – nah am Problem, aber auch nah an einer guten Lösung wo möglich."

Der MKK galt ja lange als Hotspot, woran hat das gelegen?

"Ich versuche das Wort Hotspot zu vermeiden, denn das macht immer erstmal Angst. Hotspot hat sich ja wohl in der Öffentlichkeit etabliert als Ort oder Region mit hohen Inzidenzahlen – also gemeldeten Infektionen in den letzten sieben Tagen in Relation zu den Einwohnern einer Region. Aber das pure Fokussieren auf eine Zahl sagt zu wenig aus, um das Geschehen auch fachlich zu beurteilen und daraus notwendige Maßnahmen abzuleiten. Da schauen sich die Kollegen im Gesundheitsamt und wir die Altersstrukturen an, die Infektionsketten, die Ausbruchsgeschehen und einiges mehr. Und da gilt für unseren Kreis – wie auch für andere Regionen - wir haben eine sehr unterschiedliche Struktur auch an verdichteten Räumen. Aber die Aussage „das ist ein Problem der Städte“ – ist falsch. Wenn ein Infizierter mehr als einen weiteren Menschen ansteckt – also exponentielles Wachstum zu erkennen ist, dann explodieren die Zahlen. Das war und ist leider wieder der Fall. Doch auch die wirtschaftlichen und sonstigen Verflechtungen haben dem Virus in die Karten gespielt – umso wichtiger ist zum Beispiel das Thema Kontaktreduzierung. 

Die Infektionsketten zum einen zu unterbrechen oder gar nicht entstehen zu lassen. Man muss natürlich aber auch immer sehen, wo das Ausbruchsgeschehen in größerem Maße gerade stattfindet. Vor Weihnachten waren das bei uns leider besonders auch die Pflegeeinrichtungen. Deshalb ist es immer wichtig, nicht nur den Inzidenzwert selbst zu betrachten, sondern auch zu schauen, was steckt dahinter. Leider habe ich derzeit die Befürchtung, dass wir es wieder mit steigenden Zahlen zu tun haben. Diesmal aber nicht nur in Pflegeheimen oder Kliniken, sondern in Situationen, wo eher wieder auch jüngere Menschen betroffen sind. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir alle verinnerlichen, so wenig Kontakte wie möglich und so viel Abstand wie nötig zu haben, keine Ansammlungen und die Hygieneregeln einhalten. Das ist bei allem Schauen auf den Impfstoff weiterhin die Grundlage."

Woran liegt das, dass gerade jetzt die Zahlen wieder steigen. Haben die Menschen einfach keine Lust mehr auf Corona und Regeln?

"Gerade am Wochenende und bei gutem Wetter wollen viele Menschen raus. Ich kann jeden verstehen, der sagt: Wenn wir jetzt irgendwo hinfahren, dann macht das doch keinen Unterschied. Das Schwierige ist jedoch, wenn das sehr viele Menschen sagen. Und dann hat man Situationen, in denen viel zu viele Menschen aufeinandertreffen. Oder ich höre oft – ja ich hab ja nichts. Auch da ist das Virus leider trügerisch – und verbreitet sich auch schon, wenn man noch keine Symptome hat oder nur leichte. Also auch hier ist Vorsicht geboten. Uns allen wäre es doch am liebsten, wenn wir sagen könnten: Ja, wir sind durch, wir haben es geschafft. Das liegt aber leider nicht in unserer Hand als Politik alleine, sondern in der Hand eines jeden einzelnen. Für den Main-Kinzig-Kreis kann ich sagen, dass die Menschen, die hier leben, zu einem ganz großen Teil ein hohes Verständnis für die Einschränkungen haben und sogar mehr: Sie machen mit und halten sich an die Regeln. Hier gibt es ein hohes Bewusstsein dafür, dass jeder für sich auch eine Verantwortung für seinen Mitmenschen trägt. Das stimmt mich schon zuversichtlich – auch für die nächsten Tage und Wochen."

Vor Weihnachten waren die Pflegeheime besondere Brennpunkte. Welche Hotspots gibt es gerade im Kreis?

"Vor Weihnachten haben wir bereits die Schnellteststelle für die Besucher von stationären Pflegeeinrichtungen eingeführt. Außerdem haben wir einen kleinen Pool an Fachkräften geschaffen, um auf Ausbrüche in den Pflegeheimen reagieren zu können und diese am Laufen zu halten. Wir haben Task-Forces gebildet. Dieses Regelsystem hilft ein stückweit in der Pflege. Zum einen, um zu schützen und zum anderen, um bei konkreten Ausbruchssituationen zu unterstützen. Ein anderer wichtiger Punkt sind die Schnelltests in den Pflegeeinrichtungen. Auch dort wollen wir unterstützen. Aber auch in Gemeinschaftsunterkünften kann es zu Ausbrüchen kommen. Wichtig ist dann, schnell zu agieren, umfassend zu reagieren und dann die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sehr große Ausbruchsgeschehen gibt es aktuell nicht. Wir sind mit den derzeitigen Neuinfektionen, dem sich leider wieder steigenden Infektionsgeschehen, aber mehr als ausgelastet."

Eine der ersten Impfungen: Dr. med. Florian Unbehaun, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme im Klinikum Hanau - Foto: Stadt Hanau
Eine der ersten Impfungen: Dr. med. Florian Unbehaun, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme im Klinikum Hanau - Foto: Stadt Hanau
Das Klinikum Hanau
Das Klinikum Hanau
Das St. Vinzenz Klinikum in Hanau
Das St. Vinzenz Klinikum in Hanau

Wie ist die Lage in den Kliniken und Pflegeheimen?

"Die Krankenhäuser der Region haben weiterhin eine sehr angespannte Situation zu verzeichnen. Wir haben in den Kliniken eine weiterhin hohe Belastung. Nicht nur auf den Intensivstationen, auch auf den Covid-Stationen für infizierte Menschen. Betroffen sind überwiegend ältere Menschen, aber da sind durchaus auch jüngere darunter, die medizinische Hilfe benötigen. Eine Überlastung des derzeit ohnehin schon unter großer Anspannung stehenden Gesundheits- und Pflegebereichs müssen wir verhindern. Gelingt uns das nicht, hat das auch Auswirkungen auf Menschen, die wegen einer anderen Erkrankung oder Verletzung behandelt werden müssen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir alle daran arbeiten, diese nach wie vor zu hohen Infektionszahlen nach unten zu bekommen."

Die beste Möglichkeit, das Virus in den Griff zu bekommen wäre durch schnelleres Impfen. Wann öffnen die Impfzentren im MKK?

"Am liebsten würde ich verkünden, dass die beiden Impfzentren in Hanau und Gelnhausen gleich morgen den Betrieb voll aufnehmen, denn sie sind ja schon seit 11. Dezember startklar. Unsere Forderung an das Land Hessen ist, dass möglichst dezentral und dass möglichst bald geimpft wird. Ich halte das vor allem deshalb für sehr wichtig, um die Akzeptanz und Motivation der Menschen für das Impfen aufrechtzuerhalten. Es ist aus unserer Sicht falsch, nur an zentralen Orten zu impfen, da unsere älteren Menschen hierfür zum Teil sehr lange Anfahrtswege zurücklegen müssen, was sie ohne Hilfe oft gar nicht bewältigen können. Wenn es nach uns ginge, könnten wir morgen starten. Es ist alles fertig eingerichtet, das Personal ist da und die Logistik steht. Wie es weitergeht, liegt jetzt in der Hand des Landes Hessen."

Das Problem ist aber, dass zu wenig Impfstoff da ist. Macht es dann überhaupt Sinn, alle Impfzentren zu öffnen?

"Man könnte durchaus die Kontingente, die für Menschen aus dem Main-Kinzig-Kreis bestimmt sind, direkt in die Impfzentren vor Ort geben. Wir müssen ja nicht von 7 bis 22 Uhr aufmachen. Wenn es wenig Impfstoff ist, verringern wir eben die Öffnungszeit. Das ist überhaupt kein Problem, würde für die älteren Menschen aber eine große Erleichterung bedeuten und wir müssten niemanden aus Schlüchtern oder Sinntal ins weit entfernte Frankfurt schicken, sondern wären mit der Entscheidung für die Impfzentren im Main-Kinzig-Kreis nah an der Lebensrealität der Menschen."

Großes Streitthema waren und sind die Schulen, wie bewerten sie das Vorgehen des Kultusministeriums?

"Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich die Kultusminister nicht rechtzeitig Gedanken darüber gemacht haben, wie es weiter gehen soll und vielleicht der Gedanke vorherrschte: Naja es wird schon irgendwie. Und das ist ein Vorwurf, den man durchaus machen kann. Ich glaube, dass da vieles nicht so abläuft, wie es der Lebensrealität der Kinder, der Lehrer, der Eltern entspricht. Genauso, wie wir für die über 80-Jährigen verantwortlich sind, sind wir verantwortlich für unsere Kinder, damit diese nicht zur „Generation Corona“ werden und langfristig Nachteile erleben."

Was geben Sie den Bürgern mit für das Jahr 2021?

"Jedem, der die Möglichkeit erhält, einen Termin für eine Impfung zu bekommen, würde ich persönlich raten, diesen auch zu nutzen. Und nicht abzuwarten oder zu denken: Es geht auch so vorbei. Wenn jemand nicht weiß, wie er zum Ort der Impfung kommen soll, kann er ein Taxi rufen. Das Land Hessen hat zugesagt, die Kosten zu übernehmen. Jeder Geimpfte bedeutet einen kleinen Schritt, um das Licht am Ende des Tunnels zu erreichen. Die Impfung möglichst vieler Menschen wird uns in nächster Zeit eine deutliche Verbesserung der Situation bringen. Deshalb meine Bitte: Es geht nur gemeinsam, jeder ist dazu aufgerufen, Eigenverantwortung zu übernehmen. Nur dann können wir das schaffen. Ich bedanke mich bei allen, die diesen notwendigen Weg gemeinsam mit uns gehen, die dafür notwendigen Einschränkungen machen keinem von uns Spaß." +++


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