WIESBADEN

Boris Rhein: "In einer Demokratie lassen sich Krisen am besten bewältigen"

Der Landtagspräsident Boris Rhein (CDU). - Archivfoto: Kinzig.News/Hendrik Urbin


Montag, 18.01.2021

WIESBADEN - Nach zwei Jahren im Amt sieht der Hessische Landtagspräsident Boris Rhein (CDU) das Parlament gestärkt. Dennoch sorgt er sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und warnt vor einem Erstarken des Rechtsextremismus.

Seit zehn Monaten dominiert die Corona-Krise unser Leben. Ist die Demokratie überhaupt noch betriebsfähig? 

Boris Rhein: "Ja. In der Corona-Pandemie hat die Demokratie bewiesen, dass sie eine krisenfeste Staatsform ist. Sie sorgt dafür, dass die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung die nötige Akzeptanz finden. In einer Demokratie muss alles, was eine Regierung tut, in einem Parlament erläutert und diskutiert werden. Das unterscheidet sie von autoritären Systemen: Dort müssen die Menschen alles einfach schlucken. Die Demokratie ist deshalb die Staatsform, mit der sich Krisen am besten bewältigen lassen."

Werden die Parlamentarier in der ganzen Flut von Corona-Exekutivverordnungen ausreichend eingebunden?

Rhein: "Es gab ja auch in Hessen die Diskussion, ob die Krise die Stunde der Exekutive ist und ob die Parlamente genügend eingebunden werden. Daraufhin gab es zum Thema Beteiligung des Parlamentes zwei Gesetzesentwürfe, einen Entwurf von den Oppositionsfraktionen SPD und FDP und einen Entwurf der Regierungsfraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen. Beide haben sich am Ende glücklicherweise nur in Nuancen voneinander unterschieden. Das zeigt die große Einigkeit der Abgeordneten in dieser Frage. Bevor die Regierung Maßnahmen erlässt, muss sie die Parlamentarier informieren. Die Legislative kann jederzeit alles, was die Regierung macht, also auch jede Verordnung, ins Parlament holen."

Im vergangenen Jahr hat das Parlament 34 Mal getagt, fünf Mal mehr als im Jahr 2019.

Rhein: "Das Parlament hat sich selbst in die Lage versetzt, in der Krise aktiv zu sein und eine wichtige Rolle zu spielen. Wir haben eben nicht gesagt: Es ist jetzt unangenehm, sich mit 137 Abgeordneten in einem Plenarsaal zusammenzusetzen. Stattdessen haben wir unter erheblichen Anstrengungen die Hygiene- und Abstandsregeln optimiert und gesagt: Wir müssen tagen, wir müssen sogar Sondersitzungen machen, wir müssen die Regierung befragen und mit der Regierung den besten Weg diskutieren. Wenn wir beispielsweise den Haushalt nicht beschließen, dann gibt es kein Geld für Virusforschung, dann gibt es kein Geld für Polizei und Krankenhäuser, dann steht das Land still."

Wie hat sich die Pandemie auf die Atmosphäre im Hessischen Landtag ausgewirkt? Ist die Stimmung wegen der Belastung durch Corona aggressiver?

Rhein: "Die Krise hat die Abgeordneten enger zusammengebracht. Das Bewusstsein ist gewachsen, dass wir an einem Strang ziehen müssen, weil wir die Krise nur gemeinsam bewältigen können. "

Das Land Hessen ist in jüngerer Zeit mehrfach hart getroffen worden: der Mord an Walter Lübcke, die Morde von Hanau mit zehn Todesopfern, der Anschlag in Volkmarsen, der Suizid von Finanzminister Thomas Schäfer, die NSU-Drohmails. Machen Sie sich Sorgen um die Gesellschaft?

Rhein: "Ich mache mir in der Tat Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und ich mache mir Sorgen um unser politisches System und die Institutionen, die dieses System tragen. Es gibt Kräfte, vor allem aus dem rechtspopulistischen und rechtsextremen Spektrum, die unsere Demokratie mehr und mehr infrage stellen. Die Morde von Hanau und der Mord an Walter Lübcke zeigen, dass die Gefahr von rechts zunimmt. Wir haben Rechtsterrorismus und Rechtskriminalität in Hessen immer ernst genommen und uns stark aufgestellt. Nichtsdestotrotz haben wir ein verstärktes Aufkommen von ganz besorgniserregenden Taten, die uns zeigen, dass das Problem von Rechtsextremismus und von rechtsterroristischen Straftaten auch in Zukunft auf keinen Fall unterschätzt werden darf. Deshalb war es auch richtig und wichtig, dass das Parlament im vergangenen Sommer den Untersuchungsausschuss zum Mord an unserem Freund Walter Lübcke eingerichtet hat."

Da kommen jetzt bald die Akten.

Rhein: Ja. Das ist gut. Denn dann kann die inhaltliche Arbeit des Ausschusses beginnen. Die Abgeordneten werden sich bis zu den Osterferien in die sehr komplexe Materie einlesen. Danach können dann die ersten Sitzungen mit der Befragung von Sachverständigen und Zeugen stattfinden. Und es war auch richtig, dass wir Plenarsitzungen gemacht haben, in denen wir uns sehr bewusst mit dem Thema Rechtsterrorismus befasst haben.

Wegen der schrecklichen Morde im Hanau haben Sie die Plenarsitzung vorzeitig beendet – das ist in der Geschichte des hessischen Parlaments kaum einmal geschehen. Wie kam es zu der Entscheidung?

Rhein: Wir haben in der Nacht alle das Geschehen in Hanau gebannt und geschockt verfolgt – von den ersten Schüssen, die fielen, bis hin zu dem furchtbaren Attentat auf die Shisha-Bar. Noch in der Nacht habe ich mich mit den Parlamentarischen Geschäftsführern der Fraktionen kurzgeschlossen. Früh am Morgen haben wir dann vereinbart, dass wir die Plenarsitzung kurz eröffnen und sie dann mit Hinweis auf die Geschehnisse aus Respekt vor den Opfern von Hanau nicht fortsetzen werden. Wir konnten und wollten an einem so schrecklichen Tag nicht weitermachen wie üblich. 

In Ihrer Antrittsrede am 18. Januar 2019 haben Sie gesagt, dass Sie mit Ihrem Amt die Aufgabe verbinden, Politik besser wahrnehmbar für alle zu machen. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?

Rhein: Sehr positiv. Ich habe festgestellt, dass der Landtagspräsident eine Möglichkeit hat, politisch zu wirken, die die Landesregierung nicht hat. Er kann überparteilich agieren und über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg Themen und Menschen miteinander verbinden. Ich freue mich sehr darüber, dass das Amt des Landtagspräsidenten so viel Vertrauen und Wertschätzung erfährt. Das gibt jedem amtierenden Präsidenten viel Kraft und viele Möglichkeiten, in die Gesellschaft zu wirken und sich um das Sichtbarmachen von Politik zu kümmern.

Was konkret haben Sie veranlasst?

Rhein: Wir haben zum Beispiel die Aktivitäten zur politischen Bildung erheblich verstärkt und die Broschüren komplett modernisiert. Ich halte politische Bildung für ein ganz, ganz, ganz wichtiges Thema. Wer die Demokratie stärken will, wer den Parlamentarismus fördern will, wer die Vorteile dieses einzigartigen politischen Systems bewahren will, der muss so früh wie möglich politische Bildung betreiben. Deshalb haben wir da investiert: Nur wenn die Materialien gut sind, wird auch mit ihnen gearbeitet. Wir haben außerdem neue Publikationen gemacht, wir beginnen mit Angeboten zur politischen Bildung jetzt schon im Kindergarten – mit einem passenden pädagogischen Programm. Mit neuen Angeboten und mehr digitalen Formaten erreichen wir einen breiteren Adressatenkreis. Und wir gehen mit unseren Angeboten raus aus dem Landtag und hinein in die Wahlkreise und Schulen.

Die Pandemie hat im vergangenen Frühjahr auch die Landtagsverwaltung zu einer raschen Erneuerung der eigenen IT gezwungen, um Homeoffice zu ermöglichen. Wie läuft das mittlerweile?

Rhein: Weil das eine völlig neue Situation war, ist das natürlich nicht ohne Reibung angelaufen. Teilweise fehlten uns so profane Dinge wie Laptops, mit denen sich die Leute im Homeoffice in das Landtagsnetzwerk einwählen können. Es fehlten auch Kameras auf den PCs, um Videokonferenzen vernünftig abzuhalten. All das haben wir sofort veranlasst, als die Pandemie losging und wir merkten, wir müssen völlig neu kommunizieren. Uns war klar: Jetzt muss sofort gekauft werden. Das war im Frühjahr 2020 auch eine Frage der Verfügbarkeit. Wir sind eine öffentliche Verwaltung und können nicht einfach in den nächsten Elektromarkt gehen und 100 Laptops kaufen. Mittlerweile kann aber wirklich jeder ins Homeoffice gehen.

Wegen Corona fallen die meisten Veranstaltungen aus. Was machen Sie eigentlich mit den ungewohnt vielen freien Abenden? 

Rhein: Es ist auch für mich eine neue Entdeckung, dass man auch ohne die ganzen Veranstaltungen leben kann. Manchmal fehlt mir das schon ein bisschen, aber manchmal kann ich es auch genießen, einfach zu Hause zu sein.

Welche Ziele haben Sie als Landtagspräsident für die nächste Zeit?

Rhein: Ganz wichtig ist es mir, klar zu machen, wie die Aufgabenteilung zwischen Exekutive und Legislative ist. Und die Aufgabenverteilung ist doch sehr klar: Das Parlament ist die Volksvertretung aller Hessinnen und Hessen und damit das höchste Verfassungsorgan. Wir bestimmen die Richtlinien und treffen die grundlegenden Entscheidungen. Und die Regierung hat das dann auszuführen und umzusetzen. Es ist sehr wichtig, deutlich zu machen, wie wertvoll diese Aufgabenverteilung ist. Die Bürgerinnen und Bürgern müssen wissen, dass das in ihrem Namen geschieht und in ihrem Sinne ist. Nur dadurch bekommen wir eine hohe Akzeptanz für politische Entscheidungen. Allein das Parlament ist in der Lage, transparent zu erklären, warum eine Entscheidung in diesem Land so und nicht anders gefällt wird. (pm) +++

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