MAIN-KINZIG-KREIS

Kliniken an Belastungsgrenze: Corona-Alltag zwischen Geldproblemen und Personalmangel

Dieter Bartsch, Geschäftsführer der Main-Kinzig-Kliniken - Foto: Main-Kinzig-Kliniken


Montag, 01.02.2021
von MORITZ PAPPERT

MAIN-KINZIG-KREIS -

Voll belegte Intensivstationen, Betreuung rund um die Uhr und Schichten unter schwersten Bedingungen: das Personal in den Kliniken arbeitet seit Monaten hart an der Belastungsgrenze. Als wäre das schon nicht genug, kommt noch dazu, dass sich auch das Personal teilweise mit Corona infiziert hat - es kommt zu Engpässen. 

"Seit Mitte Oktober sind wir in Gelnhausen und Schlüchtern intensiv mit der Versorgung von COVID-Patienten beschäftigt. Seit Beginn der zweiten Welle haben wir an beiden Standorten rund 470 Patienten mit einer COVID-Erkrankung behandelt, davon benötigten etwa 130 Patienten eine intensivmedizinische Versorgung. Im Vergleich dazu haben wir in der ersten Welle im Zeitraum März bis Juni 2020 gerade mal knapp 70 Corona-Patienten behandelt, rund 20 davon auf der Intensivstation", sagt Dieter Bartsch, Geschäftsführer der Main-Kinzig-Kliniken gegenüber KINZIG.NEWS. Aktuell versorge man insgesamt 37 Patienten mit einer Coronavirusinfektion, acht davon auf der Intensivstation (Stand: 27.01.2021).

Dazu kommt eine angespannte Personalsituation in den Kliniken in Schlüchtern und Gelnhausen. Das führe dazu, dass man sich seit Mitte November auf die Versorgung der COVID-Patienten sowie die Akut- und Notfallversorgung konzentriere. "Patienten, die eine absolut dringliche Behandlung benötigen, werden aber selbstverständlich aufgenommen."

"Wir brauchen nicht nur Betten, sondern auch ausreichend Mitarbeiter, die die Patientenversorgung gewährleisten können. Und aus diesem Zusammenspiel heraus haben wir uns frühzeitig entschieden, uns auf die Akut- und Notfallversorgung sowie dringliche Eingriffe zu konzentrieren", sagt Dieter Bartsch.

10 Prozent der Mitarbeiter infiziert

Ein Grund für die angespannte Personalsituation ist, dass sich auch Pflegepersonal mit dem Coronavirus infiziert hat. "Etwas mehr als 10 Prozent unserer Belegschaft ist bisher positiv auf das Coronavirus getestet worden. Von den über 2.500 haben sich bis heute rund 260 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert", sagt Bartsch.

Die Krankheitsverläufe des Personals seien dabei sehr unterschiedlich gewesen. "Es gab die gesamte Bandbreite, wie sie sich auch in der Gesellschaft zeigt: Von Mitarbeitern, die komplett asymptomatisch, also ohne jegliche Symptome geblieben sind, über milde Verläufe bis hin zu Kollegen, die mit und ohne Vorerkrankungen, jüngere wie Ältere, auf der Intensivstation behandelt werden mussten", so der Geschäftsführer. Inzwischen seien glücklicherweise nur noch wenige Mitarbeiter betroffen, sodass man personell wieder gut aufgestellt sei.

Die Intensivstationen sind überfüllt - Symbolbilder: Pixabay
Die Intensivstationen sind überfüllt - Symbolbilder: Pixabay
Weniger OPs, mehr Corona Patienten aktuell
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Erst ein Impfstoff bringt Besserung
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Mehr Arbeit, höhere Ausgaben

Doch nicht nur der Personalmangel macht den Kliniken zu schaffen. Auch die finanziellen Folgen der Pandemie bekommen sie zu spüren. "Für Krankenhäuser gibt es eine sogenannte Einzelfallvergütung. Das bedeutet, wir werden pro behandeltem Patienten bezahlt. Das ist so lange gut und richtig, solange Patienten da sind. Doch das System fängt dann an zu schwanken, wenn sie ausbleiben, die Leistungen in den Kliniken aber weiterhin vorgehalten werden. Die Notaufnahmen sind trotzdem 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche besetzt, in anderen Bereichen sind trotz der ausbleibenden Patienten Mitarbeiter im Bereitschaftsdienst", sagt Bartsch.

Aktuell haben die Main-Kinzig-Kliniken im Januar eine Auslastung von etwa 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2019, für Februar erwartet man ähnliche Zahlen. "Somit fehlen uns 30 Prozent der Patienten. Auf der anderen Seite haben wir aber dieselbe Anzahl an Mitarbeitern beschäftigt, die auch gebraucht werden, und durch die Versorgung der COVID-Patienten deutlich mehr Arbeit und höhere Ausgaben", so Bartsch.

Bei der ersten Welle sei das noch zu stemmen gewesen. Jetzt aber wird es brenzlig. "Seit Mitte November gibt es eine Ausgleichszahlung, die um 10 Prozent im Vergleich zum Frühjahr reduziert wurde. Somit fehlen uns 35 bis 40 Prozent der Patienten und die Ausgleichszahlung ist auch noch geringer, während wir auf der anderen Seit in der zweiten Welle deutlich mehr zu tun haben: Das passt nicht", mahnt Bartsch.

Die Krankenhäuser seien seit Jahren unterfinanziert. "Uns standen nie wirtschaftliche Reserven zur Verfügung. Die Pandemie macht nun deutlich, wo die eigentlichen Probleme liegen: Es sind bei weitem nicht die Anzahl der Krankenhäuser bzw. deren Spezialisierungsgrad, wie 2019 diskutiert wurde. Vielmehr wurden die Kliniken durch massive Fehlentwicklungen im Finanzierungssystem runter gespart und zugleich die Bürokratie auf ein vollkommen inakzeptables Maß angehoben."

Großes Hindernis: Die Bürokratie

Teilweise müssten Ärzte und Pflegekräfte 30 bis 40 Prozent ihrer Arbeitszeit für Bürokratieaufgaben opfern. "Jede Reduzierung der Bürokratie würde mehr Zeit für Patienten bedeuten. Hier muss sich dringend etwas ändern", so der Geschäftsführer der beiden Kliniken.

Aber was muss geändert werden? "Wir müssen weg von der Einzelfallvergütung hin zu einer Budgetpauschale für Notfallstandorte. Wir wollen ausreichend gute Ärzte und Pflegekräfte einstellen können und dabei die Gewissheit haben, dass diese Mitarbeiter auch 24/7 dauerhaft finanziert sind; unabhängig, ob Patienten nachts als Notfall kommen oder nicht", sagt Bartsch.

"Wir brauchen ein neues Finanzierungssystem. Ein Finanzierungssystem, das die Krankenhäuser unterstützt, die durchgängig das gesamte Jahr, tagsüber wie nachts, für die Bevölkerung da sind; also ein Finanzierungssystem, das die Menschen – Patienten wie Mitarbeiter – im Blick hat. Das ist heute nicht so", gibt Bartsch zu bedenken. +++