BAD ORB

Zeitzeugen, Zeitzeugnisse und Helden: Ende der Nazi-Schreckensherrschaft

Vor 75 Jahren kam Bad Orb beim Einmarsch der Amerikaner dank mutiger Zeitgenossen glimpflich davon. - Fotos: Gelnhäuser Neue Zeitung


Mittwoch, 01.04.2020

BAD ORB - Am Ostermontag 1945 befreite die US-Army die Kriegsgefangenen im Stammlager der deutschen Wehrmacht (StaLag IXB) auf der Wegscheide. Ostern fiel damals auf den 1. und 2. April. Damit liegt das Ende der Nazi-Schreckensherrschaft in Bad Orb und dem Lager bei Bad Orb heute und morgen 75 Jahre zurück. Die GNZ blickt in einer zweiteiligen Serie auf die Ereignisse zurück. Teil eins befasste sich am Samstag mit der Geschichte des Lagers und der Befreiung. In Teil zwei werfen wir einen Blick in Chroniken und die Aufzeichnungen von Zeitzeugen. 

Folgende Passage findet sich in der handgeschriebenen Chronik der Martinus-Schule: „Am 1. April (1. Osterfeiertag) abends, 6 Uhr, standen die amerikanischen Panzer bei der Aumühle vor Orb. Oberstabsarzt Koch wollte Orb als Lazarettstadt kampflos übergeben. Er wollte in Begleitung eines französischen und eines englischen Kriegsgefangenen mit der weißen Fahne dem Feinde zur Verhandlung entgegengehen. Er wurde jedoch bei der Gastwirtschaft Fell vom Kommandierenden der Wehrmacht festgenommen, sodass die geplante Übergabe nicht erfolgen konnte. Die deutsche Wehrmacht hatte sich hauptsächlich am Langen Acker und auf der Ziegelhütte festgesetzt und eröffnete von dort aus das Feuer auf die feindlichen Panzer. So kam es um 18.30 Uhr zur Beschießung Orbs, bei der besonders die Häuser am Langen Acker und auf der Ziegelhütte schwer beschädigt wurden. In der Faulhaberstraße brannten zwei Scheunen und ein Wohnhaus ab. Bei eintretender Dunkelheit trat Ruhe ein, die nur hin und wieder durch einen Kanonenschuss unterbrochen wurde.“

Mit Bangen dem Morgen des 2. April entgegengesehen

Weiter heißt es: „Die Bevölkerung Orbs verbrachte die Nacht vom 1. auf den 2. April in den Kellern mit Bangen dem kommenden Morgen entgegen.“ Nachdem der Befehl zum Rückzug gegeben worden war, habe sich die Wehrmacht in Richtung Mernes abgesetzt. „Gegen 4 Uhr morgens wurde in der Stadt bekannt, dass die Stadt um 6 Uhr übergeben wird. So zogen am 2. April die feindlichen Panzer in die Stadt ein.” 

Sterbeurkunden belegen, dass bei der Beschießung der Stadt ein 36-jähriger Parkarbeiter in der Faulhaberstraße und eine 36-jährige Frau am Langen Acker durch Granatbeschuss getötet worden waren; jeweils in ihren Wohnungen. Das Kind, das die junge Mutter auf dem Arm trug, blieb unverletzt.

Aus Berichten von Zeitgenossen ist überliefert, dass am Ostersonntagabend ein Gerücht die Runde in der Kurstadt machte, dass alle deutschen Kampftruppen bis zum nächsten Morgen um 6 Uhr die Stadt zu verlassen hätten, andernfalls würden die Amerikaner ein Bombardement auf die bisher bis auf wenige beschädigte Gebäude, darunter die Martin-Luther-Kirche, unzerstörte Stadt beginnen.


Der Mann, der sich auf den Panzer setzte

Der gebürtige Bad Orber Alfred Heim (Jahrgang 1921) hatte die Befreiung des Lagers Wegscheide hautnah miterlebt und erinnerte sich 1995 bei Recherchen für die Befreiung der Wegscheide noch genau an die schicksalsschweren Tage über Ostern 1945. Am Karfreitag fuhr Heim, der im Krieg einen Arm verloren hatte, nach Wirtheim, wo die Amerikaner auf ihrem Vormarsch angelangt waren. Er habe den Amerikanern versichert, dass sie in Bad Orb keinen Widerstand zu erwarten hätten, sagte er. Der Einmarsch in Bad Orb sollte am Ostersonntag erfolgen. Aus der kampflosen Übergabe wurde zunächst nichts. Im Gedächtnis blieb Heim, dass sich „Parlamentäre“ mit Gefangenen aus dem Lager Wegscheide aufmachten, den Amerikanern entgegenzutreten. Mangels fahrbarer Untersätze sei auch ein Krankenwagen zum Einsatz gekommen. Und der hatte kaum Benzin, erinnerte sich Heim. Der Wagen rollte dann bis zur Drogerie Cullmann und wurde dort mit Reinigungsbenzin betankt. Drei Kriegsgefangene mit einer weißen Fahne folgten dem Wagen mit dem roten Kreuz. In der Frankfurter Straße 10 trafen die Fahrzeuge aufeinander. Es wurde versichert, dass die Stadt sich ergeben würde.

Die Parlamentäre und ihre Begleiter wurden von versprengten Truppenteilen festgenommen. Die vereinbarte Waffenruhe wurde noch einmal gebrochen, als die Amerikaner vorgerückt waren und das Feuer gegen sie eröffnet wurde. Erst am Sonntagabend gelingt es Heim, so seine Erinnerungen, die Wehrmachts-Truppe zu überzeugen, dass es sinnlos sei, Bad Orb zu verteidigen. Der ortskundige Karl Reis übernahm die Aufgabe, die deutschen Truppen aus der Stadt in Richtung Mernes zu führen.

Am 2. April 1945, am Morgen des Ostermontags, rückten fünf amerikanische Panzer in die Kurstadt ein. Alfred Heim, so in der GNZ vom 6. Mai 1995 zu lesen, rannte ihnen entgegen. Die Amerikaner trauten dem Frieden nicht und hatten Angst, wie tags zuvor, auf Gegenwehr zu stoßen. „Da musste ich mich auf den Panzer setzen.“ Große Angst habe er gehabt, von vereinzelten deutschen Soldaten, die noch im Wald lagen, erschossen zu werden. Heim blieb prägend im Gedächtnis, dass er als lebender Schutzschild im ersten amerikanischen Kettenfahrzeug mit zur Wegscheide fuhr. „Sehr diszipliniert wurden wir dort empfangen. Deutsche Wachmannschaften waren nicht mehr zu sehen.“ Ein Film über die Befreiung des Lagers wurde Tage später nachgestellt. (GNZ) +++

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