Tradition vor dem Aus? Schausteller-Familien in der Corona-Krise
Montag, 11.05.2020
von JOANA GIBBE
HANAU - Zwischen dem Duft von Popcorn und gebrannten Mandeln, umringt von bunten Lichtern und fröhlichen Menschen, die Seele baumeln lassen – danach sehnen wir uns gerade in dieser Zeit wahrscheinlich besonders. Doch aufgrund der Corona-Pandemie sind auch Jahrmärkte und Volksfeste erstmal gestrichen. Bis vorerst 31. August müssen sich also die meisten der bundesweit rund 5.000 Schausteller-Familien gedulden und das Beste hoffen. Doch wie gehen sie mit dieser Zwangspause um? Und wie überstehen die Schausteller die Krise, leben sie doch eigentlich von Saison zu Saison? KINZIG.NEWS hat mit der Schausteller-Familie Eiserloh aus Hanau gesprochen.
Mit Eiswagen, Schokoladenfrüchten, gebrannten Mandeln und einem Kinderkarussell verzaubert die Familie Eiserloh bereits in der fünften Generation Menschen auf Festen rund um das Rein-Main-Gebiet und sogar darüber hinaus. Seit dem 18. März ist damit aber erstmal Schluss. Der vorerst letzte Markt war somit der Barbarossamarkt in Gelnhausen. Auch die 675. Jubiläums-Dippemess in Frankfurt musste ausfallen.
Statt „15 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und jede Woche woanders“, stehen Home-Schooling, viel Zeit zu Hause und der Versuch der „Schadensbegrenzung“ auf dem Plan, erklären Markus (42) und seine Ehefrau Monika (38). „Die Situation lässt es nicht zu und das sehen wir auch ein“, so Makus Bruder Wolfgang (50). Dennoch macht sich die Familie „viele Gedanken über die Situation“, da sie momentan noch „keine Perspektive“ sieht. Und auch wenn „die Branche nicht systemrelevant“ ist, ist sie doch „gefühlsrelevant für die Menschen“. Denn mit bundesweit rund 380 Millionen Besuchern auf Jahrmärkten und Volksfesten im Jahr, sei der Bedarf auf jeden Fall da.
Rettungsschirm für Schaustellerbetriebe?
„Wirtschaftlich stehen wir das schon irgendwie durch, für den Kopf ist es allerdings schwer, weil wir das Licht am Ende des Tunnels nicht sehen“, erklärt Markus. „Sollten die Einschränkungen aber weitergehen und vielleicht sogar der Weihnachtsmarkt in Frage gestellt werden, dann kommt unsere Branche allgemein an wirtschaftliche Grenzen, die den ein oder anderen Betrieb an die Existenzgefahr führen“, so Wolfgang. Denn in der Regel leben die Schaustellerbetriebe von Saison zu Saison. Die Weihnachtsmärkte 2019 waren somit für die meisten Schausteller die letzten Einnahmequellen. Und auch wenn meist ein gewisser Puffer existiere, seien die Frühjahrsmärkte natürlich sehr wichtig für die Kalkulation.
Auch die Familie Eiserloh hat ihre Kosten wegen der Krise nun weitestgehend heruntergeschraubt, ihre Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt. Doch „egal, wie gut ein Betrieb aufgestellt ist, irgendwann geht es nicht mehr, denn gewisse Kosten bleiben und Investitionen müssen refinanziert werden“.
Mit „einem Umsatz von 4,6 Milliarden Euro im Jahr“, tragen auch Schaustellerbetriebe ihren „Teil zur Wirtschaftlichkeit des Landes bei“, betont Wolfgang. Umso mehr wünscht sich die Familie von der Politik, „den Fortbestand der Schausteller zu garantieren und die 1200-jährige Tradition zu sichern“. Auch unzählige weitere Betriebe, wie Zulieferer und Techniker, seien von Veranstaltungen und Festen abhängig.
Insgesamt fühlt sich die Familie Eiserloh aber „ganz gut aufgehoben“, so der 50-Jährige. Zwar ist die „Soforthilfe nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und langfristig zu wenig“, dennoch „sind wir guten Mutes, dass sich Gedanken gemacht werden, es in naher Zukunft Ergebnisse geben wird und wir Unterstützung bekommen, um das Jahr zu überstehen“. Mit Steuern in Millionenhöhe ist die Branche immerhin ein „wichtiger Wirtschaftsfaktor, ich denke, dass weiß der Staat auch und wir fallen nicht durchs Sieb“, fährt Wolfgang fort. Sollte der Betrieb dieses Jahr allerdings mehr weitergehen und es „sollte kein Rettungsschirm kommen, wird es 50 Prozent der Schausteller nicht mehr geben“. Wie lange der Staat diese Krise finanziell übersteht, sei aber ebenfalls fraglich. „Diese Ungewissheit ist das größte Problem.“
Dass es einen Rettungsschirm geben muss, betont auch Thomas Roie, Vorsitzender des Schaustellerverbands Frankfurt Rhein-Main e.V.. Denn die Situation sei für die Schausteller eine Katastrophe und es „gilt Leben zu erhalten“. „Es ist eine komplexe Situation und wir haben vollstes Verständnis für die Maßnahmen der Regierung“, erklärt Roie. Dennoch müsse sich bald was tun, geht „den ersten doch bereits die Luft aus“. „Wir waren nie die Hilferufer und haben immer alles allein gestemmt, aber die Nummer kriegen wir nicht allein gemeistert“, betont der Vorsitzende. Rund 110 Schausteller-Familien in Frankfurt Rhein-Main und 5.000 Familien bundesweit, hoffen nun darauf, dass die Politik die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Lage erkennt.
Zwischen Schadensbegrenzung und Entschleunigung
Da Schausteller aber „von Beruf aus optimistisch“ sind, machen die Eiserlohs auch aus der aktuellen Situation das Beste. Statt „eng getakteter Termine“, haben sie aufgrund der „plötzlichen Entschleunigung, mehr Zeit für die Familie“, erklärt Markus. Und auch wenn „positive Aspekte sehr spartanisch“ sind, ist „die Zeit mit den Kindern schön“. „Wir haben noch nie so viele Gesellschaftsspiele gespielt“, verrät Monika und „ich habe mein Fahrrad wiederentdeckt“, berichtet Wolfgang. Gerade das schöne Wetter in den letzten Wochen sei aber ein großer Wermutstropfen, sei es doch perfekt für Volksfeste und Märkte.
Um „ein bisschen Schadensbegrenzung“ zu betreiben und ihre Kunden wenigstens weiterhin mit leckeren gebrannten Mandeln verwöhnen zu können, haben die Eiserlohs kurzerhand einen Onlineshop auf ihrer Website mandelbar.de eröffnet. Neben dem Mandelversand gibt es auf der Seite auch Infos über den aktuellen Standort der Mandelbar. Bereits in der letzten Woche öffnete der Mandelbar-Stand vor dem Bau- und Gartenmarkt BayWa in Hanau, dank des Geschäftsführers, der „Verständnis für unsere Situation gezeigt hat“, erklärt Monika. Zwar bringt das alles „keine große Wirtschaftlichkeit, aber immerhin ein wenig Beschäftigung“ für die Schausteller, für die es „nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebenseinstellung“ ist, so die 38-Jährige.
Auch in dieser Woche versüßt die Mandelbar ihren Kunden den Tag, diesmal vor dem Hessen-Center in Frankfurt. „Wir halten Augen und Ohren offen, was sich kurzfristig ergeben kann und versuchen flexibel zu sein“, erklärt die Familie. Besonders dankbar sind die Eiserlohs daher für jegliche Unterstützung, wie auch für die von Freundin Svenja Hettenbach, die die Leckereien der Schausteller in ihrem Restaurant „Ebbelwei-Schänke“ in Maintal-Hochstadt verkauft. +++