STEINAU A. D. STRASSE

Ulrich Tukur auf musikalischer Mond-Mission

Ulrich Tukur im historischen Amtshof in Steinau. - Fotos: Walter Dörr


Freitag, 05.07.2019
von Walter Dörr

STEINAU A. D. STRASSE - Ulrich Tukur wird seit November 2010 quasi frei Haus geliefert. Als Hauptkommissar Felix Murot ermittelt er nämlich beim Landeskriminalamt Hessen in der Tatort-Reihe des Hessischen Rundfunks. Tukur (Jahrgang 1957) spielt adrett gekleidet die ruppige Figur, meist als Einzelgänger, bestenfalls mit Unterstützung seiner Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp). 

Der renommierte Schauspieler (Studium der Germanistik, Anglistik und Geschichte an der Universität Tübingen, Musik und Darstellende Kunst an der Hochschule Stuttgart) wirkte aber auch in zahlreichen Filmen mit, die mit Fernseh- und Filmpreisen ausgezeichnet wurden. Den Oberstleutnant der DDR-Staatssicherheit Anton Grubitz verkörperte Tukur im Oskar-preisgekrönten Film „Das Leben der Anderen“. Große Theaterbühnen engagierten Tukur für erfolgreiche Inszenierungen. Selbst die Salzburger Festspiele buchten ihn drei Jahre für die Titelrolle des Jedermann von Hugo von Hofmannsthal. Die Schauspielerei ist ein Teil des erfolgreichen künstlerischen Schaffens. 

Ulrich Tukur ist auch leidenschaftlicher Musiker. Erfahrungen sammelte er als Straßenmusiker in der Studentenzeit. 1995 gründete Tukur seine Band „Ulrich Tukur und die Rhythmus Boys“. Stilistisch Unterhaltungsmusik voller Leidenschaft der Goldenen Zwanziger. Tukurs Mitstreiter sind ebenfalls Profis: Günter Märtens (Musiker und Schauspieler, Kontrabassist, Sänger), Ulrich Mayer (Studium empirische Kulturwissenschaften, Theater- und Filmautor, Gitarrist, Sänger) und Kalle Mews (Studium Theologie und Musik, Schauspieler, Schlagzeuger, Sänger). 

Im Rahmen des Kultursommers Main-Kinzig/Fulda und mit Förderung durch die Kreissparkasse Schlüchtern und die VR-Bank Fulda konnte das KuKi (Kultur und Kino) Schlüchtern e.V. „Ulrich Tukur & die Rhythmus Boys“ am Donnerstagabend zu einem Open-Air-Konzert „Grüß mir den Mond“ in den Amtshof in Steinau verpflichten. Mit „Eine abenteuerliche Reise ins mondbeschienene Herz der Musik“, warb das Kuki im Vorfeld für den Event. Und dass die Herren in den Abgrund der Melodien, den Tiefsinn der Harmonie, den Wahnsinn des Kontrapunktes, den Irrsinn des kryptometrischen Rhythmus und den betörenden Feinsinn der Aleatorik führen würden. Die deshalb hohen Erwartungen wurden aber mehr als erfüllt.

Tukur, ein Schauspieler und Musiker (oder musizierender Schauspieler?) in Kombination mit der „brüchigen Herrencombo“, die nicht nur Rhythmus im Blut hat, sondern bei Solis und witziger Stand-up-Comedy überzeugte, das war ein stimmiges Unterhaltungspaket. Bei Sonnenschein und angenehmen 25 Grad Sommertemperatur – aber ohne Mond am Himmel – begann das Konzert im historischen Amtshof, flankiert vom 1562 erbauten Brüder-Grimm-Haus, in dem die Grimms (die bedeutendsten Geistespersönlichkeiten der deutschen und europäischen Kulturgeschichte, erlangten durch ihre Kinder- und Hausmärchen-Sammlung zu Weltruhm, Jacob und Wilhelm Grimm, die Brüder Ferdinand, Karl und Ludwig Emil Grimm, die sich als Zeichner und Radierer der Romantik einen Namen gemacht haben sowie Schwester Charlotte Amalie Grimm, die hier 1793 geboren ist, mit Vater Philipp Wilhelm Grimm und Mutter Dorothea geborene Zimmer) ab 1791 wohnten.


Alle 650 weißen Plastikstapelstühle waren von erwartungsvollen Gästen der Ü-30-Generation besetzt. Im Gänsemarsch suchten sich die „Rhythmus Boys“ den Weg zur Bühne, mit ernster Miene, im feien Zwirn und ganz in Schwarz gekleidet, fast wie Sargträger bei einer Beerdigung. Einen auf fit machte Ulrich Tukur, der sich über die Beschallungsboxen auf der Bühnenvorderseite auf die Bretter schwang, auf denen er sich sichtlich wohlfühlt. „Gute Nacht“ sein Gruß – aber zum kollektiven Schlafen waren die Konzertbesucher nicht gekommen - ein rhetorischer Gruß. Mit dem „Mondnacht“-Gedicht von Joseph von Eichendorff eröffnete Tukur das Programm, in dem noch mehrere Köstlichkeiten von Wilhelm Busch, Joachim Ringelnatz und Co. zum Besten gegeben wurden. Bei zum Teil langen launischen, literarisch gewürzten, witzigen Moderationen ließ Tukur den fähigen Charakterschauspieler raushängen und bei Erzählungen von seinen Freunden – allesamt historische Persönlichkeiten – ließ er sich auch schon mal von dem märchenhaften Ort inspirieren, aber das Publikum amüsierte sich köstlich und „nahm es ihm ab“.

Zum Beispiel, dass Astronaut Neil Armstrong ein Sohn vom legendären Jazztrompeter Louis „Satchmo“ Armstrong sei, und dass der erste Mann nicht am Mond, sondern in den Universum-Filmstudios aufgenommen wurde. Oder dass der Komponist und Arrangeur der Swing-Ära, Glenn Miller, eigentlich Gerald Müller hieß und aus Großkrotzenburg stammt. Tukur kann alles verkaufen. Der Mond könne laut Tukur im Laufe eines Menschenlebens wegen der kleinen Entfernung von nur 384.400 Kilometern quasi zu Fuß erreicht werden. Die Moonlight-Serenade (1939) von Glenn Miller war auch das musikalische Opening. Die Filmmusik „Night & Day“ von Cole Porter, legendäre Swing-Klassiker von Duke Ellington und „Mit der letzten Straßenbahn“ von Ilse Werner intonierten die Tukur-Rhythmiker mit einmalig schönen Arrangements.

Die Anmoderation für eine Ferdinando Buscaglione-Nummer machte Tukur natürlich sehr emotional auf Italienisch. Der gefühlt Ein-Meter-Drummer Kalle Mews, der bei seiner Zwergen-Körpergröße viel zu früh stop gesagt haben muss, wagte mit dem Zwei-Meter-Gegenteil Günter Märtens ein durchaus ansehnliches Tänzchen. An seiner Schießbude hatte Mews bei „Everybody loves my Baby“, dem 1924 von Spencer Williams komponierten Klassiker, ein langes Solo. Die „Traummusik“ von Peter Kreuder wurde gefühlvoll gespielt und auch mit einer Disco-Glitzerkugel optisch in Szene gesetzt. Französisch ein „Ordinär Schontee“ anzukündigen, das kann Turkur und über die „ethymythologische Geschlechtigkeit der Planeten“ zu philosophieren. Sonne und Mond unter einem besonderen Gesichtspunkt und der finalen Erkenntnis, dass „Il Sole“ nichts mit Schuhen zu tun hat. „Das Nachtgespenst“ von Peter Ingelhoff aus den 1930er Jahren wurde musikalisch und optisch gespenstisch zelebriert – neben skurrilen Klaviertönen „erklang“ auch eine Eisenkette.

Bei Vogelgezwitscher durch die Verstärkerboxen konnten sich die Besucher in der Pause in dem malerischen Ambiente das eine oder andere Glas Rebensaft gönnen. Wettermäßig war es kühl geworden, sodass KUKI-Chef Hanspeter Haeseler blaue Kuki-Kuscheldecken offerierte. Mit "Let's spend the night together" der Rolling Stones kamen Ulrich Turkur und die Rhythmus Boys gut gelaut zurück – und in Schlafanzügen gekleidet. Als Ersatz-King of Rock’n Roll fegte Günter Märtens in Mick-Jagger-Manier sehr zur Freude der Konzertbesucher über die Bühne. „Die Puppenhochzeit“ – als Bauchredner-Nummer mit Holzkopf-Puppe angekündigt – entpuppte sich als eine lebendige und äußerst lustige Einlage vom großen Meister Günter Märtens mit dem kleinen Schlagzeuger Kalle Mews (alias Charles Frederick, dem Mitbegründer der Haute Couture). Die Hochzeit verlegten die Akteure nach Steinau und beim lokalen Textbezug kamen Hochzeitsgäste „aus Ulmbach“ groß raus. „Puttin’ on the Ritz“, der Titel des 1929 von Irving Berlin komponierten amerikanischen Jazzstandard, korrigierte Ulrich Tukur in „Putin in der Ritze“. Ein Werk der Berliner Sängerin und Kabarettistin Eva Busch, der Tochter der bekannten Opernsängerin Emmy Zimmermann, war im Mond-Programm, wie auch „Dream a little dream of me“ aus dem Jahr 1931.

Die Erfindung des Backpulvers von August und Elisabeth Oetker mit Koprolith (fossile Exkremente von Dinosauriern) schilderte Tukur sehr überzeugend. „Begin the beguine“ von Cole Porter aus dem 1935 uraufgeführten Broadway-Musical spielte Pianist Ulrich Tukur leidenschaftlich und perfekt – bis zum letzten Ton, den er nach mehreren (beabsichtigten) schrägen Fehlschlägen doch noch traf. Das letzte Lied des Programmes – die beiden Zugaben seien laut Tukur aber schon eingeplant – war von Gerhard Winkler "So wird's nie wieder sein", das einst Ilse Werner sang. Mit dem „Adieu“ eine Bilanz auch für das Konzerterlebnis. Die erste Zugabe „Von acht bis um acht“ vom unvergessenen Rudi Schuricke aus dem Jahr 1939. Und dann kam als absolutes Highlight in einer fantastischen Musikinszenierung „La Paloma“: sphärische Klänge, Dampfer-Schiffshorn-Klang aus dem Kontrabass, Möwen-Geschrei produzierte das Schifferklavier – und das Ganze in dunklem Meeresblau-Licht und Nebelschwaden. Da stellten sich so manche Haare, Stimmung pur bei den Landeiern in Steinau. Langer Applaus und stehende Ovationen zeigten, dass die Mond-Grüße gefallen haben. +++

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