HANAU

Was macht die Corona-Pandemie mit unseren Kindern und Jugendlichen?

Die Corona-Pandemie macht auch den Kindern und Jugendlichen zu schaffen - Foto: picture alliance / chromorange


Samstag, 21.11.2020
von HANS-HUBERTUS BRAUNE

Die Corona-Pandemie beschäftigt die Menschen in ihrem Alltag. Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Corona-Virus ist nach wie hoch, derzeit gilt ein "Lockdown light" mit zahlreichen Einschränkungen.

Es wird viel über die Situation in den Kindergärten und Schulen gesprochen. Ist es sinnvoll, den Präsenzunterricht anzubieten? Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht sich für massive Kontaktbeschränkungen aus. So sollen sich Kinder und Jugendliche lediglich mit einem Kumpel, einer Freundin treffen dürfen. Ziel ist, die Infektionsketten zu unterbinden und damit ein deutlicher Rückgang der Neuinfektionen.

Doch wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die seelische Verfassung von Kindern und Jugendlichen aus? KINZIG.NEWS hat sich mit Jörg Lüders-Heckmann unterhalten. Er ist stellvertretender ärztlicher Direktor in der neuen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie von Vitos Herborn am neugebauten Standort in Hanau. Neben einer Tagesklinik und ambulanter Behandlung hat die Klinik drei Stationen mit insgesamt 48 Betten. Vor wenigen Tagen wurde die erste Station für 16 Kinder und Jugendliche eröffnet.

Der stellvertretende ärztliche Direktor Jörg Lüders-Heckmann informiert über die Situation von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie - Foto: privat

Der stellvertretende ärztliche Direktor Jörg Lüders-Heckmann informiert über die Situation von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie - Foto: privat

"Die Haut wird dünner", beschreibt Lüders-Heckmann die aktuelle Situation. Kurze Krisenzeiten seien kein Problem. Doch die Corona-Pandemie beschäftigt die Menschen immer mehr. "Die Nerven liegen blank", sagt der stellvertretende ärztliche Direktor. Gerade auch Kinder und Jugendliche brauchen gewohnte Strukturen, diese würden jedoch immer weniger. Ob Schulausfall, keine Chorstunde, kein Vereinssport - die sozialen Kontakte fehlen. Das drücke auch bei den jungen Menschen auf die Stimmung und verstärke oft bereits vorhandene Depressionen. Viele Kinder und Jugendliche bewegen sich weniger, Gewichtszunahmen seien ein nicht unerhebliches Problem. Auch bei junge Menschen mit Vorbelastungen - etwa Schulangst oder Schulphobie - wachsen die Herausforderungen, mit der Situation zurechtzukommen.

"Der Ausgleich gerade auch bei Stresssituationen fehlt"

Der Ausgleich gerade auch bei Stresssituationen fehlt. "Wenn es mir schlecht geht, bin ich ins Fitnessstudio gegangen", erzählt Lüders-Heckmann von Aussagen junger Menschen. Das ist derzeit nicht möglich. "Wir nennen das Skills, die Möglichkeit, sich selbst zu beruhigen", sagt der stellvertretende ärztliche Direktor.

Was die Situation zusätzlich erschwert: Viele Eltern seien in ihrem Erziehungsverhalten verunsichert und vermitteln dadurch weniger klare Grenzen, die professionelle Fremdbetreuung fehle vermehrt. Dazu kommen Ängste vor wirtschaftlicher Not, vor Arbeitslosigkeit oder Quarantäne. Deshalb sei der Präsenzunterricht elementar. Für die Fachleute spielt dabei neben der Bildung vor allem das "soziale Lernen" in der Gruppe beispielsweise auf dem Schulhof eine wichtige Rolle. Auch zu erkennen, dass mir von Mitmenschen geholfen werde - das soziale Miteinander.

Was Lüders-Heckmann deutlich macht: "Die Kinder und Jugendlichen bekommen mehr mit, als wir uns vorstellen können." Es sei viel Aufklärung notwendig. Etwa, warum in der Schule Abstand gehalten werden müsse, im Bus dies aber gar nicht möglich sei. Das seien verwirrende Regelungen, welche die jungen Menschen zusätzlich beschäftigen.

Fotos: Joana Schneider
Fotos: Joana Schneider
Die neue Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Hanau
Die neue Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Hanau

Die Kleinen im Kindergarten kommen mit der Situation besser klar, sie sind sehr motiviert. Jedoch sei unklar, wie sich mögliche Spätfolgen auswirken können. Schwer umsetzbar sei der Vorschlag von Kanzlerin Merkel mit der "Ein-Freund-Regel. "Kinder und Jugendliche probieren sich aus, müssten dann aber entscheiden, mit welchem Freund, mit welcher Freundin sie sich treffen wollen. Dadurch drohen Außenseiterrollen", sagt Lüders-Heckmann. Dies stehe zudem im Widerspruch mit den Klassengrößen - die jungen Menschen fragen sich, wie das zusammenpasst.

"Struktur, Struktur, Struktur"

Doch wie kann es gelingen, die Auswirkungen der Corona-Pandemie besser zu überwinden? "Struktur, Struktur, Struktur", sagt der Facharzt. Jedoch beobachtet Lüders-Heckmann häufig ein geringes Strukturniveau. "In einer Gesprächsrunde vor der Corona-Pandemie mit zehn Jugendlichen habe ich gefragt, wie oft ihr zu Hause zusammen esst? Ein, zwei Jugendliche haben gesagt, dass sie regelmäßig zusammen in der Familie am Essenstisch sitzen, meistens dann abends", sagt Lüders-Heckmann. Das sei viel zu wenig, er war über die Aussagen erschrocken. Die Eltern müssten sich selbst mehr Strukturen schaffen, das bringe für sie persönlich Entlastung, aber auch für die Kinder und Jugendlichen gibt es Halt. Gemeinsam zu essen, zu reden - das helfe. Auch der Austausch mit anderen Familien kann die innerfamiliären Spannung verringern helfen.

Und versuchen, eine positive Haltung zu entwickeln, zu lernen, dass die Corona-Pandemie zu bewältigen ist. Zudem wichtiG: Sich trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Etwa in den Erziehungsberatungsstellen oder bei den Fachärzten und Einrichtungen wie die Kinder- und Jugendpsychiatrie. "Es ist besser, früher Hilfe in Anspruch zu nehmen." Das Team um Lüders-Heckmann beobachtet, dass die Rate der Konflikte innerhalb der Familien ansteige. Alarmzeichen seien, wenn Gewalt und Schreie die Folge seien. Oder wenn sich Jugendliche extrem zurückziehen.

Vielen Menschen belastet die Corona-Pandemie in ihrem alltäglichen Leben. Dies ist längst kein Einzelfall. Niemand muss denken, er sei schwach, die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen geht vielen Menschen an die Substanz. Gemeinsam die Corona-Pandemie durchzustehen, auch wenn die sozialen Kontakte oft fehlen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Fachleute wie Jörg Lüders-Heckamnn und die rund 60 Mitarbeiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie von Vitos und viele weitere Beratungsstellen können und wollen helfen. +++

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