Exklusive Fotos aus seiner politischen Karriere

Sascha Raabe (SPD): Ein Abschied von der Politik nach 19 Jahren im Bundestag

Sascha Raabe vor der Ronneburg - Foto: Moritz Pappert


Samstag, 18.09.2021
von MORITZ PAPPERT

MAIN-KINZIG-KREIS - Die Karriere von Politiker Sascha Raabe (SPD) ist eindrucksvoll: 25 Jahre hauptberuflich in der Politik, davon 19 Jahre in Berlin als Bundestagsabgeordneter. Im Gespräch mit KINZIG.NEWS blickt der 53-Jährige zurück, auf seine politische Karriere und erzählt, warum er nach so vielen Jahren der Politik den Rücken kehrt.

Warum hören Sie nach 19 Jahren als Abgeordneter auf?

„Ich bin jetzt insgesamt 25 Jahre hauptberuflich in der Politik. Ich bin sehr jung mit 28 Jahren Bürgermeister meiner Heimatgemeinde Rodenbach geworden, das war damals auch für mich überraschend. Meine Amtszeit als Bürgermeister hat mir viel Freude bereitet und war eine sehr gute Grundlage für meine Arbeit im Bundestag, in den ich dann 2002 mit 34 Jahren einzog. Das ist schon eine lange Zeit, ein Vierteljahrhundert hauptberuflich in der Politik zu sein. Da ich noch recht jung bin, für politische Verhältnisse, wird man oft gefragt, warum man aufhört.

 Aber die durchschnittliche Zeit für einen Bundestagsabgeordneten beträgt lediglich zehn Jahre. Und da bin ich mit fünf Legislaturperioden so lange im Bundestag wie mein von mir sehr geschätzter Vorgänger Bernd Reuter. Ich hatte dann anlässlich meines 50. Geburtstages bereits im Sommer 2018 angekündigt, dass ich am Ende dieser Legislaturperiode aufhöre. In meiner zweiten Lebenshälfte möchte ich wieder mehr Privatmensch sein und nicht mehr in der Öffentlichkeit stehen. Außerdem fühle ich mich zwar noch jung, aber ich finde, dass jüngere Kandidaten wie mein Nachfolger Lennard Oehl dem überalterten Bundestag sehr gut tun.“

Mit Musiker Bono (U2)
Mit Musiker Bono (U2)
Mit Bob Geldof (Live Aid)
Mit Bob Geldof (Live Aid)
Mit der Kanzlerin bei einer Dienstreise nach Südamerika
Mit der Kanzlerin bei einer Dienstreise nach Südamerika

Was waren besondere Erlebnisse in den letzten Jahren?

„Ich bin ursprünglich politisiert über die Entwicklungspolitik. Mich hat besonders in den 80er Jahren die Hungerskatastrophe in Äthiopien sehr bewegt. Ich dachte schon als Kind, das ich etwas dafür tun will, damit keiner mehr auf der Welt hungern muss. Das ist die Motivation für mein ganzes politisches Leben gewesen. Mein großes Ziel war hier, dass wir einmal 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit ausgeben (sogenannte ODA-Quote). Dieses Ziel hatten die Vereinten Nationen für die Industrieländer bereits 1970 vereinbart. Als ich 2002 in den Bundestag kam, lag die ODA-Quote nur bei 0,27 Prozent. Seitdem habe ich in den 19 Jahren immer hart für die Erhöhung der Entwicklungsgelder gekämpft und manchmal sicherlich auch genervt - mit Erfolg! Der Entwicklungsetat hat sich seit 2002 von 3,7 auf nun über 12,4 Milliarden Euro fast vervierfacht. Seit 2020 haben wir endlich die seit fünfzig Jahren angestrebte 0,7 Prozent ODA-Quote erreicht. Ich bin sehr dankbar und auch stolz, dass ich dazu wesentlich beitragen konnte.

Ein ebenso wichtiges Thema für mich war fairer statt freier Handel. Als 2013 in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza eingestürzt ist, war ich danach vor Ort und habe mit Überlebenden gesprochen. Die Näherinnen haben mir erzählt, dass sie in der Fabrik schon am Abend vorher Risse in den Wänden gesehen und dem Chef gesagt hatten, dass sie erst dann wieder in die Fabrik zurückgehen wollen, wenn die Schäden behoben sind. Da sagte der Chef, wenn ihr nicht morgen früh wieder zur Arbeit erscheint, seid ihr alle entlassen. Damals sind 1.135 Menschen gestorben und 2.500 wurden schwer verletzt. Ein Jahr danach sah man in dem Trümmerfeld noch, dass dort Preisetiketten von deutschen Firmen rausgeragt sind. Das war so erschütternd und bewegend, dass ich gesagt habe, es kann nicht sein, dass die Unternehmen da keine Verantwortung übernehmen. Wir müssen schauen, dass wir die Unternehmen gesetzlich verpflichten, dass sie auch, wenn sie im Ausland produzieren, Menschen- und Arbeitnehmerrechte einhalten. Ich habe dann viele Jahre hart für verbindliche statt freiwillige Regulierungen gekämpft. Und daraus sind dann zwei Gesetze herausgekommen: Die EU-Konfliktmineralienverordnung und das Lieferkettengesetz."

Mit Rudi Völler
Mit Rudi Völler
Mit Gerhard Schröder bei einer Wahlkampfveranstaltung in Hanau im Jahr 2005
Mit Gerhard Schröder bei einer Wahlkampfveranstaltung in Hanau im Jahr 2005
Mit Bill Gates
Mit Bill Gates

Was war ihr größter Erfolg als Bundestagsabgeordneter?

„Neben dem Erreichen der 0,7-ODA-Quote war das sicherlich das im Juni beschlossene Lieferkettengesetz, für das ich mich viele Jahre lang vehement eingesetzt habe. Schöner hätte für mich der Abschied aus dem Bundestag nicht sein können. Es war gegen den Widerstand von Wirtschaftsminister Peter Altmaier und des Wirtschaftsflügels der Union bis zum Schluss ein extrem harter Kampf dieses Gesetz durchzusetzen. Das Lieferkettengesetz ist ein historischer Meilenstein gegen Ausbeutung, Hungerlöhne und Kinderarbeit. Alle in Deutschland ansässigen größeren Unternehmen müssen künftig verbindlich weltweit auf die Einhaltung von Menschen- und Arbeitnehmerrechte achten, egal wo sie ihre Waren produzieren lassen oder einkaufen. Das wird den Kindern auf den Kakaoplantagen in Westafrika ebenso helfen wie den Minenarbeitern im Kongo oder den Näherinnen in Bangladesch. 

Das wird zum einen für viele Millionen Menschen in Entwicklungsländern das Leben deutlich verbessern. Zum anderen schützt es auch verantwortungsvolle und anständige Unternehmer vor Wettbewerbsnachteilen. Denn Ausbeutung darf kein Wettbewerbsvorteil und Anstand kein Wettbewerbsnachteil sein! Das deutsche Lieferkettengesetz erhöht im Übrigen wesentlich die Chance, dass es auch auf europäischer Ebene eine verbindliche Regulierung zur weltweiten Unternehmensverantwortung geben wird.

Mit Blick auf Afghanistan: Hat die Entwicklungspolitik dort versagt?

„Ich glaube nicht, dass die Entwicklungspolitik dort versagt hat. Wir konnten dazu beitragen, dass sich die Lebensverhältnisse deutlich verbessert haben. Nur ein Beispiel: Dank der Entwicklungszusammenarbeit gehen heute statt 1 Million Kinder 12 Millionen Mädchen und Jungen zur Schule. Das militärische Ziel, das von Afghanistan aus keine internationalen Terrorgruppen mehr operieren, wurde ebenfalls erreicht. Im Gegensatz zu anderen habe ich es immer skeptisch eingeschätzt, ob es uns am Ende gelingen wird, eine stabile Demokratie in Afghanistan zu etablieren. Es war die Anstrengung wert, aber am Ende hat es auch am mangelnden Willen eines Teils der Bevölkerung gelegen, sich gegen die Taliban zur Wehr zu setzen. 

Die furchtbaren Bilder vom Flughafen Kabul hätten auf jeden Fall vermieden werden können und müssen. Es war ein großer Fehler von US-Präsident Biden ein festes Abzugsdatum zu verkünden ohne vorher ein verbindliches Ergebnis der Verhandlungen mit den Taliban erzielt zu haben. Für mich ist es jetzt wichtig, dass wir die Menschen in Afghanistan nicht im Stich lassen. Wir müssen mit der neuen Regierung reden und für eine Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit die Einhaltung grundlegender Menschen- und Frauenrechte zur Bedingung machen. Falls dies gewährleistet wird, sollten wir weiterhin großzügig vor Ort helfen.“

Mit dem damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in New York bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates
Mit dem damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in New York bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates
Mit Olaf Scholz, als dieser noch Arbeitsminister war
Mit Olaf Scholz, als dieser noch Arbeitsminister war
Mit Kindern in Malawi
Mit Kindern in Malawi

Was hätten Sie gerne noch umgesetzt?

„Im Wahlkreis das Thema Reduzierung des Fluglärms. Da sind wir selbst mit den besten Argumenten im Verkehrsministerium gescheitert. Wir fordern ja von der Deutschen Flugsicherung ein kluges, höheres Anflugverfahren wie es an vielen anderen Flughäfen der Welt praktiziert wird, das deutlich weniger Lärm verursacht. Damals war ich mit Peter Tauber und Erich Pipa bei dem damaligen Staatssekretär im Verkehrsministerium Klaus-Dieter Scheurle. Der hat sich aber direkt dagegen gestellt und hat nicht mal die für unser Anliegen unterstützenden Unterschriften der Bürger angenommen. Kurze Zeit später ist Scheurle dann der hoch bezahlte Chef der Deutschen Flugsicherung geworden. Das hatte schon ein übles Geschmäckle. Ich finde schade, dass den Menschen im Kreis noch so viel unnötiger Fluglärm zugemutet wird.

Auf Bundes- bzw. Europaebene hätte ich gerne noch mit umgesetzt, dass in den EU-Handelsverträgen Menschen- und Arbeitnehmerrechte verbindlich und bei Verstößen sanktionierbar verankert werden. Denn das ist neben der Unternehmensverantwortung, die wir im Lieferkettengesetz festgeschrieben haben, die zweite Seite einer Medaille. Denn die Regierungen haben natürlich auch eine Verantwortung, dass in ihren Ländern Menschen- und Arbeitnehmerrechte eingehalten werden. Ich konnte immerhin erreichen, dass dies seit 2015 die offizielle Position der SPD ist. Aber mit der Union konnten wir da in der großen Koalition keine Einigung erzielen, so dass sich die Bundesregierung in dieser Frage in Brüssel immer enthalten musste.“

Was denken sie, wie wird die Bundestagswahl ausgehen?

„Olaf Schloz und die SPD liegen in den Umfragen klar vorne. Ich hatte bereits vor vielen Monaten, als die Umfragen für die SPD noch sehr schlecht waren, gesagt, dass bei dieser Bundestagswahl alles anders sein wird als bei den vergangenen drei Wahlen. Denn Angela Merkel tritt als Amtsinhaberin nicht mehr an und kann nicht wie bei den vorangegangenen Wahlen die großen Leistungen der SPD in der Regierung als ihren Erfolg im Wahlkampf verkaufen. Mal ehrlich: Es war doch immer die SPD, die in der großen Koalition die herausragende Arbeit gemacht hat. Und deshalb tut es jetzt gut, dass sich das diesmal bei Olaf Scholz und der SPD auszahlt. 

Entsprechend optimistisch bin ich auch, dass mein Nachfolger Lennard Oehl das Direktmandat hier im Wahlkreis gewinnen wird. Denn das Direktmandat und die Erststimmen hängen immer sehr stark von den Zweitstimmen für die Parteien ab. Wenn die SPD wie zurzeit prognostiziert mit 3 - 5 Prozent vor der Union liegt, wird Lennard mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch das Direktmandat gewinnen. Ich würde mich sehr darüber freuen, denn Lennard ist jung, aber kommunalpolitisch bereits sehr erfahren, beruflich kompetent und äußerst sympathisch. Ich bin sehr zuversichtlich, dass der nächste Bundeskanzler Olaf Scholz und der kommende direkt gewählte Abgeordnete im Wahlkreis 180 Lennard Oehl heißen wird.“

Mit dem damaligen Außenmister und Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier bei einer Wahlkampfveranstaltung 2009 in Erlensee
Mit dem damaligen Außenmister und Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier bei einer Wahlkampfveranstaltung 2009 in Erlensee
Mit Olaf Scholz und den SPD-Fußballern vom FC-Bundestag
Mit Olaf Scholz und den SPD-Fußballern vom FC-Bundestag
Mit vielen SPD-Bürgermeistern und derKreisspitze
Mit vielen SPD-Bürgermeistern und derKreisspitze

Worauf freuen Sie sich jetzt nach ihrer politischen Karriere am meisten?

„Darauf, dass ich mehr Zeit für meine Familie, Freunde und Eintracht Frankfurt habe.“

Was werden Sie jetzt machen?

„Eine Hauptmotivation für mein Ausscheiden aus der aktiven Politik war, dass ich keine Person des öffentlichen Lebens mehr sein möchte, sondern in meiner zweiten Lebenshälfte Privatperson bin. Deshalb bitte ich auch um Verständnis darum, dass ich der Öffentlichkeit auch nicht mitteilen werde, was ich künftig machen werde. Nur soviel sei verraten: Ich werde sicherlich weiterhin in irgendeiner Form meinem Lebensthema, meinem Engagement für die weltweite Überwindung von Hunger und Armut und für fairen Handel, treu bleiben.“

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