Wie kann Katastrophe vermieden werden?

Hochwasserschutz-Infoveranstaltung: Aufwachen, Verstehen und schnelles Handeln

Fotos: Walter Dörr


Donnerstag, 25.08.2022
von WALTER DÖRR

SINNTAL - Bei hochsommerlichen Temperaturen, einem brottrockenen Boden und einem der niedrigsten Gewässerwasserstände, auch bei der Schmalen Sinn, die ihrem Namen leider voll gerecht wird, einen Informationsabend über Hochwasserschutz zu veranstalten, das ist eine große Nummer. Da muss aktuell was im Argen sein, wenn die Bürgerliche Wählergemeinschaft Sinntal (BWG) die Sinntaler aus Hessen und Unterfranken in das Dorfgemeinschaftshaus Mottgers einlädt.

“Die Bürgerlichen“ nahmen den Jahrestag der Flutkatastrophe im Ahrtal zum Anlass, gemeinsam zu überlegen, wie eventuelle Katastrophen durch Hochwasser vermieden werden können und welche Vorkehrungsmaßnahmen getroffen werden könnten, um gerüstet zu sein. Durch weiter fortschreitende dramatische Klimaveränderungen könne nach Trockenheit mit großer Wasserknappheit unbändiger Starkregen kommen. 

Besonders in den Ortsteilen Altengronau, Neuengronau, Mottgers und Weichersbach richtete in der Vergangenheit Hochwasser schwere Schäden an. Der stellvertretende BWG-Vorsitzende Frank Kohlhepp begrüßte 35 interessierte Bürger, darunter der 1. Bürgermeister des Marktes Zeitlofs, Matthias Hauke, die BBB-Fraktionsvorsitzende der Schlüchterner Stadtverordnetenversammlung, Silke Schröder, die Kreistagsmitglieder Carsten Kauck und Heinz Breitenbach, und natürlich der BWG-Bürgermeisterdirektwahl kandidat Sinntal, Daniel Klee. Was alles zum Themenkomplex „Hochwasserschutz“ schon mit bescheidenen Mitteln realisiert werden könnte, dafür habe die BWG einen kompetenten Referenten eingeladen. Der pensionierte Forstamtmann Klaus Schlegelmilch aus Schwarzenfels, der sich schon viele Jahre besonders mit Möglichkeiten des vorbeugenden Hochwasserschutzes beschäftigt. 

Die verschiedenen Möglichkeiten, Hochwasserschutz zu betreiben, zählte Schlegelmilch auf: Anlage von Gräben, Beipässe an Fließgewässern, tatsächliche Neustrukturen durch Rückbauten begradigter Bach- und Flussbette, kleine und große Rückhaltebecken bis zu Stauseen, natürliche Retentionsflächen, Gewässerableitungen, usw. Schlegelmilchs Grundidee ist, den schnellen Abfluss bei hohen Niederschlägen so lange wie möglich abzubremsen und über große Flächen zu verteilen. Dies muss schon in den Oberläufen von kleinsten Bächen treppenartig erfolgen. Anders als Wasserstau über Rückhaltebecken mit Staumauern. Bei denen das Wasser wieder abgelassen wird, verbleibt der Niederschlag auf der Ursprungsfläche und kommt durch das Absickern dem Grundwasser zugute. Der natürliche Abfluss über Bachläufe müsse staustufenartig nacheinander ausgebremst werden. Erst wenn eine gezielt angelegte Stufe mit Wasser angereichert ist, läuft der Überfluss in die nächste Retentionsfläche. Durch den treppenartigen Rückstau kommt Hochwasser in den nachfolgenden Stufen später an. Hochwassersteigungen könnten verschoben werden. Nach Schlegelmilch ist es leicht möglich, dass erst nach Tagen eine weiter unten liegende Fläche angereichert wird, während in den oben liegenden Flächen das Wasser schon wieder vor Ort in das Grundwasser versickert. 

Für einen solchen Versuch mit Beurteilung von Fachleuten sei der Main-Kinzig-Kreis mit Sinn- und Jossatal beginnend bestens geeignet – unter Einbeziehung des bestehenden Stausees bei Ahl. Hier könnte man leicht errechnen, ob ein solches Rückhalteverfahren günstig ist. Schlegelmilch vermutet, dass sich der Wasseranstieg um Tage verschiebt und erheblich weniger Wassermenge kommt. Ein Nebeneffekt: die Flächen an dem Stausee sind länger mit weniger Wasser bestückt und damit viel länger den Lemikolen (Vogelarten, die ihre Nahrung in Schlamm und Flachwasser finden) im Frühjahr und Herbst zugänglich. Auch die Landwirtschaft profitiere vom Stauen. Da zusätzliche Mahden in den überfluteten Retentionsflächen möglich wären. Ein Nebeneffekt sei auch, dass durch die flächenmäßige Wasserverteilung Müll abgelagert und ein Wegschwemmen durch Bäche und Flüsse bis ins Meer verhindert werde. Einen natürlichen Wasserrückhalt sah Schlegelmilch beim Biber. 

Anhand von Fotos zeigte er, wie ein Flutgraben bis zur Höhe der angrenzenden Fläche zwar angestaut wird, von auftretendem Hochwasser werde der Damm überflutet und das Wasser auf den angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen verteilt. Für große Retentionsflächen reiche eine Anhebung um 1 bis 2 Metern, die kaum auffallen und auch ohne Einschränkungen bewirtschaftet werden können. Als weitere Maßnahmen schlägt der Referent das Auffangen von Regenwasser an Gebäuden in Zisternen vor (keine Belastung der Kläranlagen, Sparen von Trinkwasser beim Gießen). Mit 1.000 Liter-Fässer hinter Sportlerheimen könnte Wasser für die Sportplätze gesammelt werden. Es sollte kein Brachwasser mehr zum Beregnen von Fußballflächen verwendet werden. Die Wasserbiotope mit wenig Wasser würden durch die Wasserentnahmen zusätzlich belastet und die Fischfauna gefährdet. Volle Fässer als Löschwasserreservoir sieht Schlegelmilch. Zisternen auf Friedhöfen könnten den Trinkwasserverbrauch drastisch reduzieren. „Im Main-Kinzig-Kreis muss in Sinntal angrenzend zur Rhein-Weser Wasserscheide begonnen werden. Hier beginnen die oberen Flussläufe der Sinn Richtung Main abfließend und die Quelle der Kinzig westlich nach Hanau abfließend,“ sagte Klaus Schlegelmilch.

 „Auch, falls das Hochwasser hier vielleicht noch nicht als Problem erkannt wird, es ist Wasser, das nachfolgende Orte überschwemmt. Unmittelbar nach der Wasseranreicherung (Quellgebiet) muss mit den Maßnahmen begonnen werden. Schnelle und entscheidende gesetzliche Vorgaben zur Überflutungsmöglichkeit von Flächen jeglicher Besitzart müsse zur Hochwassersituation von der Politik geschaffen werden. Schlegelmilch: „Aufwachen, Verstehen und schnelles Handeln sind gefragt.“ Eine Trinkwasser-Situation beleuchtete der Referent in seinem Powerpoint-Vortrag ebenfalls: Die Grundwasserabsenkung im Vogelsberg durch die Wasserentnahme der Stadt Frankfurt. Ein Austrocknen der Böden, schneller Wasserabfluss, eine erhöhte Waldbrandgefahr und hohe Schäden in der Land- und Forstwirtschaft. Dass ein „Anzapfen“ im Spessart in den 1970er Jahren verhindert wurde, sei ein Verdienst einer Bürgerinitiative und in der Person von Irmgard Schultheis aus Marjoss. „Kaum zu glauben, nichts gelernt“, verurteilte Schlegelmilch das Beregnen von Sportplätzen (die Fontänen auf dem FC-Sportplatz vor dem Dorfgemeinschaftshaus sprühten…).

Die BWG richtet sich an alle Bürger, die ihr natürliches Umfeld für die nächsten Generationen erhalten wollen. Es könne nicht sein, dass das Thema Hochwasserschutz erst auf die Tagesordnung gehoben wird, wenn das Kind in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist. Die BWG wolle das Thema in den Blickwinkel von Politik und Gesellschaft transportieren und ihm so einen neuen Stellenwert geben, nicht erst, wenn zum Handeln gezwungen wird.  

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