In Sterbfritz soll Erinnerungsstätte für Gefallene & Ermordete entstehen
Freitag, 18.10.2024
von WALTER DÖRR
SINNTAL - Der Sterbfritzer Ortsbeirat und das Chronikteam des Dorfvereins „Starwetz lebt“ stellten das Projekt „DENKMAL Sterbfritz - Den Gefallenen und den Opfern des Holocaust einen Namen geben“ bei einer Informationsveranstaltung in der Mehrzweckhalle Sterbfritz vor.
„Wir Sterbfritzer haben einen erheblichen Nachholbedarf im Erinnern und Gedenken an unsere 90 im Zweiten Weltkrieg gefallenen und die über 30 im Holocaust ermordeten Mitbürger. Diese Geschichtslücke wollen wir nun schließen. Später als die anderen, aber noch nicht zu spät“, sagte Ortsvorsteher Willi Merx.
Auf der Internetplattform „sterbfritz-online.de“ wird die vor der evangelischen Kirche geplante Erinnerungsstätte erläutert.
Alle anderen Ortsteile der Gemeinde Sinntal außer Sterbfritz und Züntersbach hätten schon seit Jahrzehnten die Erinnerung an ihre Gefallenen in Gedenktafeln wachgehalten, so Merx. „Es entspricht unserem Verständnis von Kultur und Menschlichkeit, dass die Namen der gefallenen Soldaten und der ermordeten Juden nicht in der Anonymität untergehen.“ Anhand der ergreifenden Schicksale von Heinrich Müller sowie von Josef und Klara Goldschmidt schilderte Heimatforscher Thomas Müller, wie notwendig ein längst überfälliges „Erinnerungs-, Gedenk- und Mahnmal“ in Sterbfritz sei. Gut nachbarschaftlich christlich-jüdisches Zusammenleben in Sterbfritz sei in Lebenserinnerungen dokumentiert und in Büchern von Max Dessauer, Heinz Schuster und Johann Georg Schwarz beschrieben.
Pläne wurden bereits gezeichnet
Architekt Carsten Kirst zeigte Pläne, wie ein künftiges Denkmal aussehen könnte. Demnach könnte es ein „geschichtliche Lehrpfad“ aus drei aufeinanderfolgenden Plätzen sein - einem Platz der Gemeinschaft, der Zerstörung sowie der Annäherung. Die Besucher sollen erfahren, wie 139 Männer des Ortes in zwei sinnlosen Kriegen fielen und wie die mehr als 300 Jahre bestehende christlich-jüdische Dorfgemeinschaft während der NS-Herrschaft durch die Ermordung von 32 jüdischen Bürgern vollkommen zertrümmert wurde. Das DENKMAL Sterbfritz soll ein Appell zur Verständigung und zum vorurteilsfreien Umgang miteinander sein – ein Ort des geschichtlichen Lernens, gegen den Krieg und für den Frieden. Von den 93 Bürgern jüdischen Glaubens, die 1933 in Sterbfritz lebten, wurden mehr als ein Drittel im Holocaust ermordet. Stellvertretend wurden Schicksale dargestellt. Für die 32 Holocaustopfer und für die 139 Männer, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg als Soldaten starben, soll das DENKMAL Sterbfritz errichtet werden. Biographische Informationen sind in der im Internet zugänglichen Sterbfritzer Chronik dokumentiert.
Am Kirchenvorplatz soll das bestehende, rund drei Meter hohe Steinmahnmal für die im Ersten Weltkrieg umgekommenen Soldaten erhalten bleiben. Unter dem preußischen Adler auf der Spitze sind Gedenktafeln mit den Namen für die „im Weltkrieg 1914 – 1918 gebliebenen Helden“ und die „Gefallenen und Vermissten des Krieges 1939 – 1945“. Auch bleiben die Sandsteinplatte mit einer Gedenktafel aus Bronze, die seit 20 Jahren an das christlich-jüdische Zusammenleben und dessen Zerstörung während der NS-Herrschaft erinnert. Der Entwurf des DENKMAL sieht drei aufeinanderfolgende Plätze vor: den Platz der Gemeinschaft, der Zerstörung und der Annäherung. Um das Mahnmal soll mit einem Außendurchmesser von vier Metern konzentrisch ein gepflasterter Rundweg am Platz der Gemeinschaft angelegt werden. Auf der Tafel der 49 Gefallenen (1914-1918) befinden sich fünf Männer jüdischen Glaubens, deren Namen nur nach dem Todesdatum sortiert werden sollen.
Tafeln und Kreise zum Gedenken
Der Platz der Zerstörung setzt sich aus mehreren konzentrischen Kreisen zusammen. Der äußere Kreis mit einem Durchmesser von sechs Metern symbolisiert das Dorf Sterbfritz. Nach einem schmalen Blühstreifen folgt ein Kreis aus verschieden hohen Stahlstäben, an denen 122 Tafeln aus rot-braunem Cortenstahl befestigt sind. Jede dieser Tafeln ist einem der 32 Holocaust-Opfer oder einem der 90 Gefallenen des Dorfes gewidmet. Der nächste Kreis bestehend aus grob behauenen Sandsteinblöcken verkörpert individuell die Menschen, die einmal als christlich-jüdische Gemeinschaft zusammenlebten. Zum Platz der Zerstörung führt ein Weg aus eichenen Eisenbahnschwellen – ein Symbol für die Zugtransporte in die Vernichtungslager und die Truppentransporte an die Front während des Zweiten Weltkriegs. Der zweigeteilte, kreisrunde Platz der Zerstörung zeigt, dass nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten die Dorfgemeinschaft aus Juden und Christen nicht mehr existierte, der einst geschlossene Kreis ist zerbrochen. Die linke Kreishälfte steht für die Opfer des Holocaust und für die jüdische Bevölkerung, gegenüber für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges und die christliche Mehrheitsgesellschaft des Dorfes. Die jüdische Gemeinde wurde unter dem Druck des nationalsozialistischen Terrors zersprengt und so sahen sich die Sterbfritzer Juden gezwungen, ihre Heimat, die Familienangehörigen und schließlich die Gemeinschaft selbst zu verlassen. Die 32 Namen derer, die nicht fliehen konnten oder wollten, stehen auf den Gedenktafeln des linken Halbkreises aus Stahlstäben, der den Opfern des Holocaust gewidmet ist. Ihm gegenüber befindet sich der Halbkreis aus Stahlstäben mit den 90 Namenstafeln für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs – nach Todesdatum sortiert.
Gemeinschaft wurde durch Kriege zerstört
Mehr als 300 Jahre bestand eine Gemeinschaft von Juden und Christen, die aber in wenigen Jahren zerstört wurde. Wir gehören zusammen – in Sterbfritz und in ganz Deutschland, so die Botschaft der Planer. Der Platz der Annäherung ist auch kreisrund mit einem Außendurchmesser von fünf Metern. Hier zum Nachdenken über die deutsch-jüdische Geschichte angeregt werden. Eine Bepflanzung ist Symbol für das Leben. Das DENKMAL Sterbfritz soll nicht bloß eine geschichtliche Erinnerungsstätte sein, sondern ein Ort des geschichtlichen Lernens gegen den Krieg und für den Frieden.
Weitere Informationsveranstaltungen
Folgende Infoveranstaltungen sind noch geplant: 26. Oktober, 15 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus „Die Zerstörung – der Judenbürgermeister und die Nazis“, Vortrag mit Dorfrundgang mit Thomas Müller und Dirk Ebenhöch, am 9. November, 19.30 Uhr in der Mehrzweckhalle „Der Krieg – Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg von Heinrich Euler“ mit Thomas Müller, 16. November, 19 Uhr, Konzert des Kirchenchores Con Dio mit Solisten „Lieder von Trost und Hoffnung“ und 17. November, 10 Uhr, Andacht und Gedenkstunde zum Volkstrauertag in der Evangelischen Kirche mit Krenzniederlegungen des Ortsbeirates, des VdK und der ARGE Sterbfritzer Vereine.