Corona prägt den Arbeitsmarkt: Zwischen Kurzarbeit, Branchenwachstum und Einstellungsstopp
Dienstag, 16.03.2021
von JOANA SCHNEIDER
REGION - Seit einem Jahr beschäftigt uns die Corona-Krise nun schon. Auch und besonders der Arbeitsmarkt ist von der Pandemie betroffen. „Trotz der stabilisierenden Wirkung der Kurzarbeit kam es innerhalb kurzer Zeit zu einem eindeutigen Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Hessen“, berichtet Dr. Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion der hessischen Arbeitsagenturen, am Dienstag in einer virtuellen Pressekonferenz.
Während der Arbeitsmarkt vor der Pandemie noch von steigender Arbeitskräftenachfrage und damit einhergehend niedriger Arbeitslosigkeit geprägt war, stieg die Arbeitslosenquote 2020 auf 5,4 Prozent und damit um ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr an. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im Jahresdurchschnitt von rund 150.000 Personen in 2019 auf etwa 185.000 Arbeitslose in 2020 an.
Die damit einhergehenden großen arbeitspolitischen Herausforderungen seien aber nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie entstanden. Bereits in den letzten Jahren zeichnete sich eine herausfordernde Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ab, denn „der Arbeitsmarkt vor Corona war durch drei wesentliche Entwicklungen geprägt: zunehmende, demografisch bedingte Verknappung der verfügbaren Arbeitskräfte und damit erhöhter Bedarf an Fachkräfteeinwanderung, fortschreitende Digitalisierung sowie ein Strukturwandel in mehreren großen Branchen, wie der Automobilindustrie oder der Energieerzeugung.
Insbesondere der Fachkräfteengpass hatte schon in den letzten Jahren wachstumshemmende Auswirkungen. Gerade im Gesundheitswesen, aber auch im Handwerk wurde das besonders deutlich. Stellenbesetzungen wurden immer schwieriger oder dauerten deutlich länger“, erklärt Martin.
Deutliche Einstellungszurückhaltung – „Generation Corona“
Nichtsdestotrotz wirkte sich selbstverständlich auch die Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt und die Zahl der Arbeitslosen aus. Besonders auffällig dabei sei aber nicht einmal das Wachstum der Arbeitslosenzahlen, da „mögliche Entlassungen in großem Umfang durch Kurzarbeitergeld vermieden werden konnten“, sondern die deutlich geringere Einstellungsbereitschaft, die „die Rückkehr in den Arbeitsmarkt für Arbeitslose deutlich erschwert“, so der Leiter der Regionaldirektion Hessen. Der steigende Anteil der Langzeitarbeitslosen sei daher bedenklich. Denn während sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen aufgrund der guten Aufnahmefähigkeit und Einstellungsbereitschaft in den letzten Jahren deutlich reduzierte, sorgt der derzeitige Stillstand am Arbeitsmarkt für einen erschwerten Berufs- und Wiedereinstieg.
Gerade der Ausbildungsmarkt sei von fehlender Einstellungsbereitschaft geprägt, weil viele Unternehmen sich nicht trauen oder bereits selbst um ihre Existenz bangen. Darüber hinaus sei auch die Vermittlung von Ausbildungsstellen und gegebenenfalls Orientierungsveranstaltung in Zeiten von Corona schwierig, erläutert Martin.
Mit rund 85 Prozent der Bewerberanzahl zum Vorjahr sei trotz der Umstände zwar eine gute Anzahl an Bewerber:innen erreicht, die 15 Prozent seien aber dennoch kritisch, denn „angesichts dessen, dass in den nächsten Jahren mehr Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden, als hinzukommen, können wir es uns schlicht nicht leisten, die Zeit ungenutzt zu lassen und junge Menschen auf dem Weg in die Ausbildung zu verlieren“. „Wir sollten alles tun, um eine Generation Corona zu vermeiden“, betont der Leiter der Regionaldirektion.
„Sektorale Betroffenheit“ aber kein Stillstand in der hessischen Wirtschaft
Anders als bei der Finanzkrise 2008 wirkt sich die Corona-Krise nicht nur auf bestimmte Branchen aus, sondern „wir sprechen von einer sektoralen Betroffenheit. In der Corona-Krise leiden besonders das Gastgewerbe, der Tourismus, der Kulturbereich und der Handel“, berichtet Martin.
Andererseits haben „wir aber ganz viele Branchen, wie beispielsweise die öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht, Gesundheitswesen, Heim- und Sozialwesen, Information und Kommunikation, auch der Bereich Verkehr und Lagerei, die wachsen. Das heißt, das sind alles Branchen, die mehr Beschäftigte haben als noch vor einem Jahr. An der Spitze und am auffälligsten ist dabei das Baugewerbe mit einem Anstieg um 3.400 Beschäftigte – das sind etwa zwei Prozent mehr Beschäftigung als noch vor einem Jahr.
Das heißt, wir haben zwar einen Rückgang der Beschäftigung, aber dieser reduziert sich aktuell auf 0,6 Prozent weniger Beschäftigte, aufgrund der Tatsache, dass wir viele Branchen haben, die tatsächlich wachsen. Und einige wenige stark Betroffene – vor allem das Gastgewerbe und das verarbeitende Gewerbe, die nach unten gehen. Das führt letztlich dazu, dass wir keinen vollständigen Stillstand der hessischen Wirtschaft haben, sondern viele Branchen und Bereiche nennenswert weiterwachsen und tatsächlich Netto Beschäftigung in ihren jeweiligen Bereichen schaffen“.
Bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten hingegen sei ein stärkerer Rückgang zu verzeichnen. „Sie sind oft in den erwähnten, von der Krise besonders betroffenen Branchen tätig und haben unter anderem keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.“
Anders als die rund 472.500 Beschäftigten in 39.500 Betrieben, die im Mai 2020 Kurzarbeitergeld erhielten. Der durchschnittliche Arbeitsausfall lag in diesem Monat bei rund 47 Prozent, wobei die meisten Arbeitnehmer einen Ausfall von über 25 bis 50 Prozent verzeichneten. Ein gänzlicher Arbeitsausfall, also um volle 100 Prozent kam hingegen kaum – nur 0,1 Prozent – vor. Bis heute verzeichnet die Regionaldirektion Hessen somit rund 86.850 Anzeigen für fast 1,1 Millionen Menschen. Damit wurden bis einschließlich Januar 2021 etwa 2,1 Milliarden Euro Kurzarbeitergeld inklusive Sozialversicherungsbeiträge in Hessen ausgezahlt. Im Jahr 2019 waren es hingegen lediglich 12 Millionen Euro.
Wie geht es nach der Corona-Krise weiter?
„Die Herausforderungen, die es schon vor der Corona-Krise gab, werden uns auch danach beschäftigen“, ist sich Martin sicher. „Die Brisanz des beschleunigten Strukturwandels hin zu mehr Digitalisierung und Umweltschutz, eine alternde Gesellschaft und zu wenige junge Menschen, die nachrücken, sowie der Anspruch, ein attraktives Einwanderungsland für Fachkräfte zu werden, betrifft letztendlich alle:
Politik, Gewerkschaften, Verbände, Behörden oder Unternehmen. Wir alle müssen an einem Strang ziehen, damit die hessische Wirtschaft auch in Zukunft funktioniert.“
Absehbar sei aber jetzt schon, dass besonders auch der Ausbildungsmarkt in 2021 mit Sorge zu betrachten sei. Während der Ausbildungsmarkt 2020 noch mit „einem blauen Auge“ davongekommen sei, zeichne sich bereits ab, dass es dieses Jahr schwieriger werde. Sowohl die Kontaktaufnahme der Jugendlichen als auch die Bereitschaft der Betriebe, Ausbildungsstellen auszuschreiben sinkt, womit der Ausbildungsmarkt zu einem der „Hauptrisikofelder“ in der Corona-Krise wird. +++