GELNHAUSEN / WIESBADEN

Exklusiv: SPD-Generalsekretär Christoph Degen im Interview mit KINZIG.NEWS

Christoph Degen im Gespräch mit Reporter Moritz Pappert - Fotos: Lena Eberhardt


Donnerstag, 07.11.2019
von Moritz Pappert

GELNHAUSEN / WIESBADEN - Christoph Degen wurde vergangenes Wochenende zum neuen Generalsekretär der hessischen SPD gewählt. Der 39-jährige Neuberger war bis zu seinem Eintritt in den hessischen Landtag 2014 an der Frida-Kahlo-Schule in Bruchköbel als Förderschullehrer tätig. KINZIG.NEWS hat Christoph Degen getroffen und mit ihm in einem exklusiven Interview über seine neuen Aufgaben als Generalsekretär, die Krise der SPD und Rechtsruck gesprochen.

Hätten Sie je damit gerechnet einmal Generalsekretär der hessischen SPD zu werden?

Vor 20 Jahren bestimmt nicht. Ich bin aber jemand, der an seinen Aufgaben wächst und schließe selten etwas aus. Die Aussicht das Amt des Generalsekretärs zu übernehmen hat sich tatsächlich erst vor zwei Wochen herauskristallisiert. Eigentlich hatte ich mich als stellvertretender Landesvorsitzender beworben. Frau Faeser hat mich dann gebeten diese noch ein Stück weiter hervorgehobene Position zu übernehmen. Wir sind schon lange ein gutes Team und werden in unseren neuen Rollen noch enger zusammenarbeiten. Das kann ich mir gut vorstellen, deshalb habe ich nach kurzer Bedenkzeit zugesagt.

Was sind Ihre neuen Aufgaben? Was ändert sich jetzt?

Ich werde noch mehr Zeit in Wiesbaden verbringen. Der Generalsekretär leitet die Landesgeschäftsstelle und zeichnet sich für die innere Organisation der Partei verantwortlich, während die Vorsitzende stärker in der Öffentlichkeit steht. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit wird die Organisation von Wahlkämpfen sein, allem voran die Kommunalwahl 2021. 

Können Sie sich auch ein Amt auf Bundesebene vorstellen?

Die Bundesebene hat mich nie gereizt, da Bildungspolitik schon immer mein Schwerpunkt war, auch wenn ich mich künftig noch stärker auch zu anderen Themen äußern werde. Bildungspolitikmacht man aufgrund der föderalen Struktur am besten im Land. Da habe ich die besten Möglichkeiten meine Vorstellungen von guter Schule, die individuell fördert und kein Kind zurücklässt, zu verwirklichen. 

Sie haben auf dem Parteitag in Baunatal gesagt, dass Schwarz-Grün die kommunalfeindlichste Regierung ist. Wie meinen Sie das?

Bereits die schwarz-gelbe Regierung von 2009-2013 hat den Kommunen immer mehr Geld aus dem kommunalen Finanzausgleich entzogen. Unter Schwarz-Grün geht es leider weiter. Seit fast 30 Jahren geben die Kommunen ein Teil der Gewerbesteuer für den Aufbau Ost ab. Das läuft jetzt aus und die Kommunen hätten eigentlich wieder selbst über diese rund 400 Millionen Euro frei verfügen können. Stattdessen gehen davon jetzt aber ca. 300 Millionen Euro ans Land, das es gutsherrenartig verteilt oder für eigene Projekte ausgibt. Das Geld fehlt vielen Kommunen. Zudem dadurch wird die kommunale Selbstverwaltung außer Kraft gesetzt.

Die SPD steckt Bundesweit in einer Krise. Das wurde gerade nach der Thüringen-Wahl nochmal deutlich. Woran liegt diese Talfahrt Ihrer Meinung nach?

Es gibt nicht den einen Grund. Unsere Gesellschaft hat sich immer weiter individualisiert. Es ist heute schwieriger Zielgruppen von Parteien zu definieren. Außerdem habenen wir jetzt zum zweiten Mal in Folge eine große Koalition auf Bundesebene. Da fällt es schwerer, sich voneinander abzugrenzen. Die SPD hat aber auch eigene Fehler gemacht. Sie war nicht immer glaubwürdig und hat auf der Führungsebene ungeschickt agiert. Auch die Themen, für die die Menschen sich interessieren, haben sich verschoben. In letzter Zeit ging es mehr um Klima und Asyl als um Bildung, Arbeit, Wohnen und Infrastruktur. Unsere Kernthemen waren also weniger gefragt.

Haben Sie einen Favoriten für den neuen SPD-Vorsitz?

Meine ursprünglichen Favoriten stehen nicht mehr zur Wahl. Für die Stichwahl habe ich mich noch nicht endgültig festgelegt, neige aber zum Team Geywitz/Scholz, weil ich es gerade in der aktuellen Situation wichtig finde, dass sich auch Ostdeutschland personell an der Spitze der SPD wiederfindet.

Ist die SPD noch zu retten?

Die SPD muss gar nicht gerettet werden. Zugegeben, es läuft gerade nicht rund. Wir sind dabei die GroKo zwischenzubilanzieren. Ich glaube das, was in diesem kurzen Zeitraum geleistet wurde seitdem die FDP vor der Regierungsverantwortung geflüchtet ist, kann sich sehen lassen. Alleine wie viele Gesetzesinitiativen seitdem auf dem Weg gebracht wurden, das ist rekordverdächtig. Auf SPD-Initiative wurden gerade erst die Mindestausbildungsvergütung für Auszubildende und bessere Arbeitsbedingungen für Paketdienstleister auf den Weg gebracht. Das Problem ist, dass gerade durch die Personaldebatten des letzten Jahres wenig über unsere Inhalte gesprochen wurde, sondern nur über die Köpfe. Ich habe die Hoffnung, dass wenn diese Personalentscheidung getroffen ist, man mehr einen Blick dafür hat worum es geht und nicht wer es verkündet.

Gerade nach dem Anschlag in Halle sind die Menschen verunsichert. Wie kann man jetzt wieder ein Sicherheitsgefühl und vertrauen in die Politik aufbauen?

Ich nehme das so nicht wahr. Ich glaube, wir sind nach wie vor ein sehr sicheres Land. So tragisch dieser Anschlag war, 100-prozentige Sicherheit wird es nie geben. Es kann immer etwas passieren egal, ob auf Märkten oder Festen. Das muss man leider einfach akzeptieren. Halle ist für mich ein Beispiel, woran man sieht, wie Polemik und Hassreden bestimmte Menschen anheizen Grenzen zu überschreiten. Auch im Internet. Meine Lehre daraus ist, dass wir viel mehr darüber reden müssen und auch Regeln aufstellen müssen, wie wir miteinander umgehen und was okay ist und was nicht, ob im Netz oder in der Realität. Das gilt auch für Politiker.

Hätte die Politik da früher gegen Rechtsextremismus einschreiten müssen?

Gerade Programme gegen Rechts und Aussteigerprogramme werden wieder viel stärker unterstützt. Am Ende hat man immer einen gewissen Prozentsatz, dass bestimmte Menschen solche Tendenzen haben. Die Frage ist, ob man sich traut, dass auszuleben und am Beispiel Wächtersbach oder Halle dann auch zu schießen. Oder ob man solche Gedanken hat und sich nicht traut, da man weiß, dass damit Grenzen überschritten werden. Und das geht schon im Bereich der Schule und der geschichtlichen und politischen Bildung los. Hier muss mehr Aufklärung geleistet werden. Da kann der Staat noch mehr unterstützen, auch Anlaufstellen bieten. Einschreiten müssen am Ende aber alle Menschen, auch in der Kneipe, wenn jemand Menschenverachtendes äußert oder gar eine Tat ankündigt.

Hat man als Politiker, gerade nach dem Mordfall Walter Lübcke, Angst kritische Aussagen zu machen?

Wenn wir so anfangen, dass wir uns zurückhalten, dann hätten die Rechten gewonnen. Das darf auf keinen Fall passieren. Wenn wir anfangen uns in den Häusern zu verstecken und nicht mehr den Mund aufzumachen, dann wäre die Demokratie wirklich gefährdet. Ich vertraue aber in unsere Sicherheitsbehörden, auch wenn so manches, gerade im Verfassungsschutz reformiert werden muss.

Wurden Sie schon einmal bedroht?

Hin und wieder bekomme ich wirklich böse Post, aber Morddrohungen, wie dies zurzeit bei anderen Kollegen der Fall ist, zum Glück nicht. 

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft? Was steht noch an?

Dass es spannend bleibt. Ich hatte nie den Plan, Abgeordneter oder Generalsekretär zu werden. Das hat sich immer ergeben. Ich bin in Dinge reingewachsen, die sind gut gelaufen, ich habe mich offenbar bewährt und dann hat sich irgendwo eine andere Tür aufgetan. Jetzt darf ich dieses neue Parteiamt ausführen, vor dem ich großen Respekt habe, und ich hoffe, dass ich das gut machen werde. Mein großes Glück ist, dass ich einen Job als Förderschullehrer habe, der zwar derzeit ruht, aber wo ich immer wieder zurückkommen kann und den ich jederzeit wieder gerne und von ganzem Herzen ausüben würde, falls ich die Politik aus welchen Gründen auch immer verlassen sollte. Wenn ich irgendwann nicht mehr Politik machen will, kann ich dahin zurück. Das ist ein gutes Gefühl und macht mich unabhängig in jeder meiner politischen Entscheidungen. +++

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