Neue Wege bei der Integration

Erfahrungen teilen, Netzwerke schaffen: Bildungspartner Main-Kinzig starten interkulturelles Chorprojekt in Gelnhausen

Fiebern der ersten Probe entgegen (von links): Vera Mala, Wolfgang Runkel und Dirk Diedoba. - Quelle: Redaktion


Samstag, 29.03.2025
von Redaktion

MAIN-KINZIG-KREIS/GELNHAUSEN - Die Bildungspartner Main-Kinzig GmbH ist kreisweit der größte Anbieter von Sprachkursen für zugewanderte oder geflüchtete Menschen. Jetzt geht sie in puncto Integration neue Wege – mit einem interkulturellen Chorprojekt. Wer dahinter steckt und was es damit auf sich hat.

Juli 2024: Hunderte Besucher informieren sich bei der langen Nacht der Volkshochschule in Gelnhausen über die Bildungspartner mit ihren vielfältigen Angeboten zur gesellschaftlichen Teilhabe, zu Ausbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Und natürlich über das breite Spektrum der allgemeinen Kurse im Erwachsenenbildungsbereich.

Ein Höhepunkt des Abends: Der Auftritt des Chores der Internationalen Opernakademie Bad Orb mit seinem Leiter Wolfgang Runkel, der ein interessantes Nachspiel hat. „Viele Menschen aus verschiedensten Kulturen haben den Auftritt der Sängerinnen und Sängern mit glänzenden Augen verfolgt, und auch die Chormitglieder sind neugierig auf die Sprach- und Integrationskurse geworden und haben sich mit den Teilnehmern ausgetauscht“, sagt Runkel. Noch am selben Abend entwickelte er mit Vera Mala, Leiterin des Fachbereiches Deutsch und Alphabetisierung der Bildungspartner, die Idee, das Thema Integration weiterzudenken und ein interkulturelles Chorprojekt ins Leben zu rufen. Jetzt steht es kurz vor dem Start.

„Volkshochschulen haben einen Integrationsauftrag, das gilt für uns als größter Anbieter in der Sprachvermittlung besonders“, sagt Dirk Niedoba, seit Dezember neuer Geschäftsführer der Bildungspartner. „Neben der reinen Sprachvermittlung verbinden wir unsere Angebote generell um den Aspekt des kulturellen Lernens.“

Ein Lernprozess für beide Seiten. „Vor Weihnachten wird gemeinsam gegessen und gefeiert, zur Fastnachtszeit beschäftigen wird uns mit dem Karneval in unterschiedlichen Ländern“, nennt er zwei Beispiele. Integration, ist er sich mit Vera Mala einig, gehe über den Spracherwerb hinaus. „Es geht darum, Menschen zusammenzubringen und ihnen Möglichkeiten zu geben, sich zu vernetzen, freundschaftliche Beziehungen aufzubauen und Erfahrungen zu teilen“, sagt die Fachbereichtsleiterin. „Genau hier kann die Musik eine wichtige Rolle spielen“, ist Dirk Niedoba überzeugt.

„Gemeinsames Singen bietet ideale Voraussetzungen dafür, in Gespräche einzusteigen und Emotionen zu teilen“, meint Niedoba, der bei der langen Nacht im Juli – noch als Gast – den Auftritt des Chores der Opernakademie verfolgt hat, und der aktuell im Rahmen seiner Antrittsbesuche bei den Bürgermeistern im Main-Kinzig-Kreis intensiv für das neue Projekt wirbt. „Die Kommunen sind dafür sehr wichtig, denn sie können Menschen mit Fluchterfahrung gezielt ansprechen, die bislang noch nicht von unseren Angeboten profitieren.“

Die Räume der Bildungspartner eigneten sich nicht nur aufgrund ihrer Nähe zu den Gelnhäuser Flüchtlingsunterkünften als Ort für die Proben, sondern auch durch die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Denn: „Der Chor ist für alle interessierten Erwachsenen gedacht, mit oder ohne Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung“, sagt Vera Mala. „Denn es geht ja gerade darum, unterschiedlichste Menschen zu vernetzen, über kulturelle, konfessionelle und Altersgrenzen hinweg.“

Interkulturelles Chorprojekt in Gelnhausen: Geschützter Raum für emotionalen Erfahrungsaustausch

Wie gut das gelingen kann, weiß Wolfgang Runkel aus eigener Erfahrung. Er hat bereits in Rodenbach entsprechende Angebote für Kinder aus geflüchteten Familien begleitet und vor drei Jahren ein großes Elton-John-Projekt mit dem „German-American Community Choir“ in Frankfurt initiiert. Er übernimmt die Leitung des interkulturellen Chorprojektes. „Musik macht etwas mit uns, es gibt eigentlich keinen Menschen, der Musik nicht mag. Deshalb bin ich sehr gespannt, welche Dynamik sich in der neuen Gruppe entwickelt“, sagt der Dirigent, der unter anderem auch die Chöre der Klangfarben in Rodenbach leitet.

Gefragt, was für ihn eine gelungene Probe ausmacht, meint der erfahrene Chorleiter: „Wenn alle spüren, dass wir gemeinsam ein Stück weitergekommen sind, egal, ob wir uns vier Takte oder fünf Seiten erarbeitet haben. Genauso wichtig ist es für mich aber auch zu sehen, dass es den Menschen am Ende einer Probe besser als am Anfang geht, dass sich alle auf die Musik einlassen und dabei ihren Alltag ein Stück weit hinter sich lassen konnten. Dass sie lächeln oder auch herzhaft lachen können.“

Für die Auftaktprobe des interkulturellen Chors hat Runkel ein breites Repertoire vorbereitet. „Ich muss schnell und flexibel reagieren können, denn ich weiß ja aktuell noch nicht, wie die Besetzung aussieht und wie die Teilnehmer auf die einzelnen Stücke reagieren.“ Im Gepäck hat er internationale Volks- und Heimatlieder, aber auch Friedensstücke wie „We Shall Overcome“, „Imagine“ oder Songs von Elton John.

„Ich bin aber auch offen für Vorschläge der Teilnehmenden selbst“, sagt er. Das gilt auch für den Fall, dass sich unter ihnen Menschen mit besonderen musikalischen Fähigkeiten befinden. „Ich überlasse die Chorleitung für das eine oder andere Stück gerne auch jemand anderem“, meint Runkel. „Ebenfalls wäre es schön, wenn sich vielleicht interessierte Instrumentalisten in der Gruppe befänden, die an der Begleitung mitwirken möchten.“

Interkultureller Chor im MKK: Alles ist möglich

Alles ist also möglich. Auch intensive Reaktionen. „Ein Teil der Sängerinnen und Sänger hat mutmaßlich Fluchterfahrungen, viele haben traumatische Erlebnisse, viele haben alles aufgegeben, was sie kannten, um nach Deutschland zu kommen. Deshalb kann es sein, dass gerade durch die Musik Emotionen aufbrechen, und genau das soll das Projekt den Teilnehmern ermöglichen.“

Die entstehende Gruppe, sagt er, solle deshalb ein geschützter Raum sein, in dem Erfahrungen geteilt werden könnten. „Voraussetzungen sind natürlich das gegenseitige Vertrauen und auch das Vertrauen in uns als Verantwortliche“, sagt Vera Mala. „Das werden wir auf keinen Fall enttäuschen.“

Auch Wolfgang Runkel hebt die Bedeutung von Gesprächen hervor. „Den Kontakt zwischen den Teilnehmenden wollen wir auf jeden Fall fördern“, sagt er. „Deshalb werden wir auch in speziellen Abständen verkürzte Problem veranstalten und nach dem Singen gemeinsam essen und miteinander sprechen.“ Eine Funktion, die auch Vereine erfüllen, sagt Dirk Niedoba und betont: „Der interkulturelle Chor soll Gesangvereinen keine Konkurrenz machen. Ein sehr erwünschter Nebeneffekt des Projektes könnte es vielmehr sein, interessierte Sänger auch in bestehende Chöre zu vermitteln. Deshalb stehen wir auch in engem Kontakt mit dem Chorverband Main-Kinzig.“

Wovon alle drei überzeugt sind: Musik kann in der Sprachvermittlung eine essenzielle Rolle spielen. „Das Singen ist eine gute Möglichkeit, sich auf teils spielerische Weise einer Sprache bewusst zu werden“, sagt Runkel. Und Niedoba ergänzt: „Was wir aus der Erwachsenenbildung wissen, ist, dass die Motivation der entscheidende Schlüssel zum Erfolg ist. Und die Musik kann genau solche Erfahrungen von Sinnhaftigkeit ermöglichen, sie ist ein großer Motivator.“ Ebenfalls wichtig für die Motivation sind Ziele, sagt Vera Mala. Und ein solches liegt vor den Mitgliedern des Chorprojektes: „Im September planen wir einen Auftritt im Rahmen der interkulturellen Wochen. Und Ende August wollen wir bei der langen Nach der Volkshochschule singen. Also, genau dort, wo 2024 die Idee für den Chor entstanden ist“, meint die Fachbereichsleiterin.

Interkultureller Chor im MKK: Schon 40 Anmeldungen eingegangen

Und nach den Auftritten muss das Projekt nicht notwendigerweise beendet sein. „Momentan ist das Vorhaben für den Zeitraum bis September geplant. Eine Verlängerung oder auch eine Neuauflage schließen wir aber keinesfalls aus“, sagt Mala. Jetzt ist die Spannung groß: Am Donnerstag, 3. April, findet eine erste Kennlernprobe im Bildungshaus statt. Und das Interesse ist schon jetzt groß. „Wir haben bereits rund 40 Anmeldungen erhalten“, sagt Mala. „Ein Drittel der Interessenten sind Menschen mit Migrationshintergrund. Sei kommen aus Ländern wie England, Portugal, Brasilien, Kroatien oder Aserbaidschan.“ Auch Menschen aus Russland, Polen und Afghanistan haben sich angemeldet. „Ein Interessent kommt sogar aus dem Wetteraukreis“, meint die Fachbereichsleiterin lachend und fügt dann im Ernst hinzu: „Es wäre schön, wenn noch mehr Männer zu uns stoßen würden.“

Und: „Auch wer noch nicht weiß, wie er zu den Proben kommen kann, soll sich anmelden“, appelliert Niedoba. „Wir werden versuchen, Fahrgemeinschaften zu organisieren. Denn gerade darum geht es ja bei dem Projekt, dauerhafte Beziehungen aufzubauen.“ Eine Beziehung, von der die Organisatoren heute schon profitieren, ist die zur Sparkasse Hanau und den Kreissparkassen Gelnhausen und Schlüchtern, die als Sponsoren fungieren. „Natürlich sind uns auch weitere Unterstützer jederzeit willkommen“, sagt Vera Mala. Und: „Wer ein spezielles Lied fördern will, ist eingeladen, eine Notenpatenschaft zu übernehmen.“

Spracherwerb ist wichtigster Schlüssel zu Integration und Erfolg

Während die Finanzierung des Chorprojektes dankt der Sponsoren gesichert ist, blickt Bildungspartner-Chef Dirk Niedoba derzeit mit sorgenvollem Blick gen Berlin. Konkret geht es um die anstehenden Koalitionsgespräche auf Bundesebene. „Wie alle Volkshochschulen sind auch wir besorgt über die Bestrebungen, Geld für die Sprachvermittlung von Erwachsenen einzusparen. Wir hoffen nun, dass die neue Bundesregierung diesen Weg nicht beschreitet. Denn der Spracherwerb ist der Schlüssel zur Integration und der beste Schutz vor prekären Beschäftigungsverhältnissen.“

Hier leisten die Bildungspartner Beachtliches. Insgesamt 20 Integrationskurse bietet die gemeinnützige GmbH derzeit unter anderem in Maintal, Gelnhausen und Schlüchtern an. Dabei geht es unter anderem auch um Alphabetisierungskurse für Menschen, die aus Ländern mit anderen Schriftsystemen kommen oder überhaupt keine Schreibkenntnisse besitzen. Oft sind das Frauen, oft kommen sie aus Somalia, spricht Vera Mala eine große Bildungsungerechtigkeit an.

Interkultureller Chor im MKK: Am 3. April vorbeikommen und mitsingen

Die weiteren Kurse bauen auf dieser Grundlage auf. Insgesamt nehmen derzeit 360 Menschen die entsprechenden Angebote wahr, neun Monate lang mindestens drei Zeitstunden pro Tag. Ein wichtiges Standbein für die Bildungspartner, die ein Jahr nach der Gründung des Main-Kinzig-Kreises als Volkshochschule ins Leben gerufen wurden. Im Sommer wird deshalb ein Jahr nach dem Kreisgeburtstag das Jubiläum 50 Jahre Volkshochschule im MKK gefeiert, bei der langen Nacht der Volkshochschule. Und wer könnte ein geeigneteres Ständchen bringen, als der hauseigene interkulturelle Chor?

Alle Menschen, die Spaß am gemeinsamen Singen haben, sind eingeladen, am Donnerstag, 3. April, zur Kennenlernprobe zu kommen. Los geht es um 16.30 Uhr im Bildungshaus an der Frankfurter Straße. Die wöchentlichen Proben sollen immer dienstags stattfinden, die konkrete Uhrzeit wird gemeinsam festgelegt.

Die Teilnahme ist kostenlos, Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Um Anmeldungen per E-Mail an vhs@bildungspartner-mk.de oder unter Telefon 06051/9167927 wird gebeten. Weitere Informationen gibt es im aktuellen VHS-Programm auf www.bildungspartner-mk.de.

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